Denkanstoß von Michael Russ: Überbauung des Hegelsaals Foto: bildfreiheit/StN-Montage Yann Lange

Stuttgarts Opernhaus muss dringend saniert werden. Zugleich droht Stuttgart als Konzertstadt den Anschluss zu verlieren. Die Idee des Konzertveranstalters Michael Russ, das Kultur- und Kongresszentrum zu überbauen, wertet „Stuttgarter Nachrichten“-Titelautor Nikolai B. Forstbauer als notwendigen „Weckruf für Stuttgart“.

Stuttgart - Nirgendwo in Deutschland werden so viele kulturelle Angebote gemacht wie in Stuttgart. Platz eins bei der Kulturproduktion sichert Baden-Württembergs Landeshauptstadt 2016 zum dritten Mal in Folge nach 2012 und 2014 den Spitzenplatz im Ranking deutscher Kulturmetropolen. Das ist das Ergebnis einer Mitte September vorgestellten Studie des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und der Privatbank Berenberg.

 

Hier geht es zum Text: Warum nicht den Hegelsaal überbauen?

Fahrlässiges Desinteresse

Und wie reagiert Stuttgart? Man freut sich – und belässt es dabei. Anders lässt sich die Debatte um die Sanierung des Opernhauses nicht erklären. Außerhalb des Staatstheaters Stuttgart – als eines der weltweit größten Dreispartenhäuser mit Oper, Ballett und Schauspiel vor Ort von überragender Bedeutung und national wie international bestens positioniert – kann man den Stand der Diskussion nur so summieren: langatmig, mutlos, ideenlos und ein Stück freudlos. Fast nebenbei registriert man, dass die deutschsprachigen Kritikerinnen und Kritiker den Titel „Opernhaus des Jahres“ 2016 an die Oper Stuttgart vergeben haben. Ein fahrlässiges Desinteresse.

Warnungen werden überhört

Noch schlimmer aber: Warnungen werden überhört. „Unter den jetzigen Bedingungen kann ein Musikleben mit Qualität und Quantität auf Dauer nicht mehr funktionieren.“ Der Konzertveranstalter Michael Russ hat dies mit Blick auf eine hoffnungslos überbuchte Liederhalle gesagt. Bereits vor sieben Jahren. Und er sieht jetzt: Hamburg hat die Elbphilharmonie, München baut eine Konzerthalle – und Stuttgart denkt nach. Auch hier muss man fragen: Über was aber eigentlich?

Noch immer wird die Sanierung des Opernhauses gerne auf die technische Ausstattung im 1912 eröffneten Littmann-Bau verkürzt. Dabei bietet die dringend notwendige Sanierung des Opernhauses die Chance für eine städtebauliche Neuordnung des Staatstheater-Areals. Von einer Spielstätten-Reihung hin zu einem Kulturforum mit vielfältigen Vermittlungs- und Serviceangeboten. Und mit einem zunächst als Interimsbühne genutzten Konzerthaus als einem neuen Element, das dem Stuttgarter Ballett zugleich mehr Aufführungsmöglichkeiten geben würde.

Das eigentliche Thema heißt Kulturquartier

Das eigentliche Thema heißt Kulturquartier

Voreilig wird jetzt von der möglichen „Vollendung der Kulturmeile“ gesprochen. Das eigentliche Thema aber ist das Kulturquartier Stuttgart, ist das weite Geviert zwischen Staatsgalerie, Institut für Auslandsbeziehungen, Landesmuseum, Kunstmuseum, Kunstgebäude und weiteren Ankerpunkten – bis hin zu den nicht nur für das Internationale Trickfilmfestival unverzichtbaren Innenstadtkinos in der Bolzstraße. Das eigentliche Thema ist, den abstrakten Titel „Kulturhauptstadt“ über das identitätsstiftende Kulturquartier Stuttgart erlebbar zu machen.

Weckruf im besten Sinn

Noch wird geprüft und geplant. 2021 sollen die Arbeiten im Opernhaus beginnen. Für bis zu fünf Jahre brauchen Oper und Ballett ein Ausweichquartier. Nicht irgendeines und nicht irgendwo. „Wir wollen“, sagt Marc-Oliver Hendriks, Geschäftsführender Intendant des Staatstheaters Stuttgart, „auch in einem Ausweichquartier ,Opernhaus des Jahres‘ werden und die Spitzenposition des Stuttgarter Balletts ausbauen können.“ Konzertveranstalter Michael Russ setzt jetzt buchstäblich eins drauf. Sollte sich die Doppelfunktion aus Interimsbau und späterem Konzerthaus nicht in unmittelbarer Nähe des Staatstheaters realisieren lassen, schlägt er die Überbauung des Hegelsaals des Kultur- und Kongresszentrums Liederhalle vor. Eine abwegige Idee? Ein mutiger und freudvoller Vorstoß. Ein Weckruf im besten Sinn.