Der Oberarzt Hansjörg Killguss überwacht den 450 Kilo schweren und 1,5 Millionen Euro teuren Medizinroboter Da Vinci. Foto: Gottfried Stoppel

Der Roboter Da Vinci hilft bei chirurgischen Eingriffen. Eindrücke einer Krebs-OP im Stuttgarter Katharinenhospital.

Stuttgart - Noch ein paar Minuten, dann verschmelzen Andre Schaudts Hände mit den Roboterarmen. Der Chirurg schmeißt seine blutigen Operationshandschuhe in den Mülleimer, setzt sich an die Steuerkonsole und schlupft aus seinen Gummischlappen. Er braucht jetzt nicht nur Gefühl in seinen Fingern, sondern auch in seinen Füßen.

Bis auf die schwarzen Socken trägt er von Kopf bis Fuß Grün. Mit den Pedalen gibt der Oberarzt gleich Strom auf die Fasszangen und Häkchen. So trennt er Gewebeschichten im kleinen Becken der 62-jährigen Patientin und präpariert den Tumor aus dem Enddarm. Bevor er an die Steuerarme fasst, lockert er seine Hände, als würde er sie trocken schütteln, und klimpert mit seinen Fingern in der Luft wie ein Pianist vor dem großen Auftritt. Und das siebenköpfige OP-Team ist sein Orchester.

„Die Instrumente sind scharf“, ruft sein Assistent. Andre Schaudt stützt seine Stirn an die Konsole, blickt durch den Sucher der Konsole auf das 3-D-Bild, legt Daumen und Mittelfinger in zwei Schlaufen, die wie eine liegende Acht aussehen, und fasst an zwei metallene Griffe. Jetzt sind seine Hände eins mit dem Roboter. Es ist 11.30 Uhr.

Im ersten Teil der OP am Stuttgarter Katharinenhospital hat er zwei Stunden zuvor draußen den ersten, zwei Zentimeter langen Schnitt neben den Bauchnabel gesetzt. An der Stelle ist die Bauchwand am dünnsten und die Organe sind am weitesten entfernt. Dann hat der Chirurg die Bauchdecke an zwei Fingern etwas nach oben gezogen und mit einer spitzen Kanüle vorsichtig durchgestoßen. Am stumpfen Ende befestigte er einen Schlauch, pumpte langsam Kohlendioxid in den Bauchraum. Der blähte sich auf, prall und rund wie ein Ballon.

Wie ein vierarmiger Krake mit hängenden Schultern

Umgeben von den grünen Abdecktüchern liegt der Bauch jetzt friedlich wie ein karger Hügel im flachen, sattgrünen Gelände. Schaudt drückt gegen die Haut, testet, ob sie ihm Widerstand bietet. Der Oberarzt ist zufrieden. Gleich braucht er Platz für seine Instrumente, das Gas im Bauch verschafft ihm einen Hohlraum und freie Sicht auf die Organe. Ihm gegenüber sitzt Oberarzt Hansjörg Killguss, mit dem er die nächsten viereinhalb Stunden operiert.

„Rektum-Ca., weiblich, 62, Saal 10“ steht im digitalen OP-Plan. Rektumkarzinom, Enddarmkrebs. Daumengroß schätzen die Ärzte den Tumor, klein genug, um ohne Strahlenchemotherapie auszukommen. Etwa 50 solcher Karzinome werden im Katharinenhospital pro Jahr operiert. Seit Kurzem unterstützt sie dabei ein Roboter: Da Vinci heißt der 450 Kilo schwere und 1,5 Millionen Euro teure Riese. Ausgeschaltet sieht er aus wie ein vierarmiger Krake mit hängenden Schultern. Große sterile Tücher schirmen ihn vom Saal ab, bis er gebraucht wird. Den ersten Schritt der minimalinvasiven Operation erledigen Killguss und Schaudt ohne ihn.

Die Chirurgen öffnen den Bauch nicht mit einem größeren Längsschnitt, sie operieren die Patientin über kleine Zugänge durch die Bauchdecke. Laparoskopie nennen das die Ärzte, eine Art „Schlüsselloch-OP“. Sechs solcher Öffnungen schneidet Schaudt in den Bauch. Zentimeter für Zentimeter erarbeitet er sich den Zugang. In die Öffnungen drücken Schaudt und Killguss längliche Trokare – dünne Hülsen, die als Schleusen für die Instrumente dienen. In wenigen Wochen erinnern nur winzige Narben an den Eingriff.

„Alles schön bei euch?“, fragt der Anästhesist in die Runde, während Schaudt, ohne den Blick von seinen Händen zu nehmen, die Kamera in den 37 Grad warmen Bauchraum schiebt. Obwohl das Objektiv leicht beschlägt, erscheint auf dem Bildschirm eine wellige, fleischige Landschaft aus mattem Gelb und dunklem Rot. Ein Operationsgebiet in Hochauflösung. Gut eine Stunde werden die Chirurgen den linksseitigen Dickdarm an seinen Verwachsungen lösen. Andre Schaudt fräst sich mit dem Ultraschalldissektor, einer Art Skalpell, Millimeter für Millimeter durch das Gewebe.

Winzige Haken, Scheren, Zangen

„Sooo, jetzt kannste mal langsam Da Vinci richten“, sagt Schaudt in Richtung OP-Pfleger, seine Stimme klingt etwas gedämpft durch den Mundschutz. Der Pfleger muss sich strecken, um die Roboterarme zu enthüllen, und schiebt den blinkenden Roboter neben das angewinkelte Bein der Patientin. Die Instrumente, die gleich an die Hightech-Arme gesteckt werden, sind klein wie Centstücke. Winzige Haken, Scheren, Zangen. Es ist kurz vor halb zwölf, als die Roboterarme an die Trokare docken.

Schaudt setzt sich an die Konsole. Killguss bleibt neben der Patientin, überwacht die Roboterarme und assistiert so seinem Kollegen. Es ist erst die 14. roboterunterstützte Operation am Enddarm. Nervös sei er nicht, sagt Schaudt. Vollkommen konzentriert müsse er immer sein, da mache es keinen Unterschied, welche Technik er benutze. Er ist 42, von großer Statur, sein braunes Haar hat er komplett unter der OP-Haube versteckt. Ein Typ, bei dem man sich nicht vorstellen kann, dass er mal hektisch wird.

Ins Schwärmen gerät er, als er auf den 3-D-Monitor blickt. „Das ist, als wäre ich mitten im Bauch der Patienten.“ Die einzelnen Gewebeschichten sieht er gestochen scharf, darunter pocht die Schlagader, ein Stückchen weiter verläuft der Harnleiter. Dreidimensionale Sicht auf dem Bildschirm gibt es noch nicht lange im OP-Saal. Ähnlich fasziniert wäre wahrscheinlich ein Sternengucker, der mit einem neuartigen Teleskop die Chance erhält, dem Universum ein Stück näher zu kommen.

Er spüre zwar nur die metallenen Steuerknüppel und nicht die Instrumente, aber das fehlende Tastgefühl könne er visuell ausgleichen, erklärt Schaudt und steuert langsam die Roboterarme durch das Becken. „Du lernst, mit den Augen zu fühlen.“ Seine Bewegungen werden via Sensoren vom Computer erkannt und an die Instrumentenarme und Instrumente selbst weitergeleitet. Menschliches Zittern werde durch einen Filter unterdrückt, erklärt Schaudt. Eingriffe trainieren die Operateure an einem Simulator wie an einer Spielekonsole.

Die Nasa hat an der Entwicklung mitgewirkt

Entwickelt wurde das Da-Vinci-System in den achtziger Jahren von Technikern der US-Armee. Um keine Chirurgen in Kriegsgebiete schicken zu müssen, sollten Soldaten mithilfe des Roboters ferngesteuert von der Heimat aus operiert werden. Auch die amerikanische Weltraumbehörde Nasa hatte damals bei der Entwicklung mitgewirkt. Sie wollte Astronauten auf langen Weltraumflügen von irdischen Chirurgen operieren lassen. Beide Projekte sind gescheitert, weil weder das Militär noch die Nasa das Problem der Zeitverzögerung bei der Signalübertragung lösen konnten.

Zivil fand die Technik ihren Nutzen in Krankenhäusern. In Amerika werden inzwischen fast alle Prostata-Operationen mit Da Vinci vorgenommen. In Deutschland unterstützt der Roboter 65 Kliniken bei der Entfernung der Gebärmutter oder bei Eingriffen an der Prostata, Blase und Niere.

„Ich lass’ den Roboterarm jetzt los.“ Die Stimme von Killguss schallt laut wie eine Bahnhofsansage durch den OP-Saal. Er wacht über den letzten Trokar, der im Bauch verschwindet. Ein Mikrofon an Konsole und Roboter soll die Kommunikation der beiden Chirurgen möglichst einfach machen. „Das ist hier Teamwork, keine One-Man-Show“, sagt Schaudt, „wir müssen ständig miteinander sprechen.“ Er blickt durch seinen 3-D-Sucher und rutscht mit dem Hocker ein wenig näher an die Konsole. „Ich seh’ meine Instrumente nicht.“ Killguss verstellt sofort die Kamera. „Besser, aber jetzt ist das Ganze noch unscharf.“ – „Ja, wenn du jetzt einfach mal Geduld hättest, dann pack’ ich’s vielleicht“, antwortet Killguss. Man sieht sein Grinsen durch den Mundschutz. Seit sechs Jahren operieren die Männer gemeinsam und sticheln wie ein altes Ehepaar. „Wenn man so oft zusammenarbeitet, weiß man genau, was der andere will oder was er braucht“, sagt Killguss.

Die nächsten zwei Stunden lösen sie den Enddarm mit dem umliegenden Fettkörper samt dazugehörigen Lymphknoten aus dem Becken. Das geht nur sehr langsam, weil die Scheidenhinterwand, die Nerven der Blasen-und Sexualfunktion sowie der Enddarm eng beinander liegen und die Chirurgen nichts verletzen wollen. Mit seinem Steuerknüppel dreht Schaudt die Arme von Da Vinci. Seine eigenen Gelenke hätten längst aufgegeben. Die des Roboters sind beweglicher als die eines Menschen, zudem werden Schaudts Bewegungen von Zentimetern in Millimeter übersetzt.

Wie ein kleiner Schildkrötenmund frisst sich die Zange mit dem elektrischen Häkchen langsam durch das Fettgewebe. Andre Schaudt gibt Strom auf das Instrument, um das Gewebe zu trennen. Es qualmt ein wenig beim Veröden. Auf dem Bildschirm sieht man Wölkchen aufsteigen wie aus grauen, rieselnden Schneeflocken gemacht. Die Chirurgen fräsen sich Zentimeter für Zentimeter näher an das Karzinom heran.

Um 13.30 Uhr legt Andre Schaudt den Enddarm samt Tumor und Fettgewebe in die Schale. „Alles super gelaufen“, sagt er. Das Präparat kommt jetzt zur Untersuchung in die Pathologie, der Patientin legt er einen künstlichen Dünndarmausgang. Ihr Bauch hat wieder seine normale Form angenommen, nachdem das Kohlendioxid abgelassen wurde. Andre Schaudt sticht noch die letzten Nähte, dann streift er sich den Mundschutz ab. Da Vinci steht da schon längst mit hängenden Armen in der Ecke.