Josefin Feiler als Marzelline (Probenfoto) Foto: A. T. Schaefer

Zwei Jahre war die Sopranistin Josefin Feiler Mitglied des Stuttgarter Opernstudios. Seit dieser Spielzeit ist sie festes Ensemblemitglied – und singt in Beethovens „Fidelio“ die Marzelline – ihre erste große Partie.

Stuttgart - „Wenn ich“, sagt Josefin Feiler, „auf Partys erzähle, dass ich Opernsängerin bin, dann gucken die Leute oft erst ganz blöd. Und bemerken dann verwundert: ‚Hey, aber du bist ja gar nicht dick!‘“ Ja, da lacht die Sängerin: Mit Fett habe das Singen doch gar nichts zu tun, sondern mit Muskelarbeit! Sie lacht so, dass man ihr sofort glaubt, dass sie tatsächlich auf Partys geht, also nicht nur daheim sitzt mit Schal und Tee und ihre Stimme pflegt. „Ich will auch leben!“, sagt sie, und diese Haltung prägt tatsächlich nicht nur unser Interview, sondern auch die Art, wie sie auf der Bühne agiert.

So hat das Stuttgarter Publikum Josefin Feiler schon auf der Bühne erlebt: als jene Frau mit roten Schuhen, die sich in Herbert Wernickes Inszenierung von Bach-Kantaten („Actus tragicus“) fortwährend an- und wieder auszog, und als Papagena in der „Zauberflöte“. Was sie da vorführte, wirkte natürlich, kam von innen, hatte keinerlei aufgesetzte Kunst-Attitüde. „Ich bin eher der spontane Typ“: Das sagt Josefin Feiler ebenfalls – in einer Art, die keine Zweifel an der Richtigkeit ihrer Aussage aufkommen lässt. Die 27-Jährige ist das, was Theaterleute gerne als Rampensau bezeichnen. „Ich bin nicht eine, die vorher plant, was sie auf der Bühne machen will. Dort passiert viel auch in der Interaktion mit anderen, ganz plötzlich, und dann bin ich relativ mutig und frei“: Klar, so kann man das auch sagen.

Dabei beschäftigt sich die gebürtige Leipzigerin erst seit einem guten Jahrzehnt mit der Oper. Gesungen hat sie, seitdem sie vier oder fünf Jahre alt war, aber als sie älter wurde, waren ihr Jazz, elektronische Musik, die Rolling Stones und David Bowie viel näher als die klassische Musik, und bis heute ist Josefin Feiler nicht nur stolz auf ihre Vielseitigkeit, sondern würde, wenn sie sich als Besucherin zwischen Oper und Rockkonzert entscheiden müsste, oft sofort Letzteres wählen, „weil ich in der Oper nie mit freiem Kopf sitzen kann, da muss ich immer analysieren und bewerten“.

Von der Hochschule direkt ins Opernstudio

Oper: Für die Sopranistin ist das eine Kunstform zum Selbst-Mitmachen. So hat sie das jedenfalls in Stuttgart erfahren, wo sie von 2013 bis 2015 als Mitglied des Opernstudios „sofort auf die große Bühne geworfen“ wurde, „und das ist ganz anders als das Singen in der Hochschule: so unter der Käseglocke“. Im Opernstudio sei sie sofort konfrontiert worden „mit dem großen Orchester und mit großer Nervosität“. Dabei hatte Josefin Feiler durch die häufige Arbeit als Cover, also als Zweitbesetzung, die bei den musikalischen Proben dabei ist und die Partien auch szenisch mit den Regieassistenzen einstudiert, schon zweimal die Chance zu kurzfristigem Einspringen: als Ännchen in Achim Freyers „Freischütz“.

Überhaupt scheint bei dieser Sängerin ziemlich viel „ratzfatz“ zu gehen. Der Sprung von der Leipziger Musikhochschule nach Stuttgart klappte sofort und nahtlos („Ich wollte eigentlich erst mal nur vorsingen, um ein Feedback zu bekommen und die Vorsing-Situation auszutesten“), und nun freut sie sich darüber, dass sie von ihren Stuttgarter Sängerkollegen nicht nur freundlich aufgenommen, sondern „kollegial und gleichberechtigt“ behandelt wird, „denn das nimmt die Angst“. Auch jetzt im „Fidelio“, den Jossi Wieler und Sergio Morabito inszenieren.

Dass die Regisseure keinen einzigen Satz der vielen gesprochenen Dialoge von Beethovens Oper gestrichen haben, ja dass sie die Textpassagen zwischen den Musikstücken sogar zu einem besonders wichtigen Teil ihrer Interpretation machen, hat im Vorfeld schon für Diskussionen gesorgt. In einem Überwachungsstaat soll der neue Stuttgarter „Fidelio“ spielen, Existenzielles soll spürbar, das bei diesem Stück nahe liegende Abrutschen ins Biedermeierliche unbedingt vermieden werden.

Marzelline, so Josefin Feiler über ihre Partie, sei deshalb auch „kein süßes, naives Mädel, sondern durchlebt einen inneren Kampf: Sie ist zerrissen zwischen Jaquino, mit dem sie aufgewachsen ist, und Fidelio, in den sie sich verliebt hat. Und sie ist Teil eines Systems, das sie nicht durchschauen kann.“ Beim „Fidelio“ in Stuttgart hängen Mikrofone aus dem Schnürboden. „Man weiß nicht, was gehört wird“, sagt Josefin Feiler, „deshalb spricht man teilweise in Codes.“ Außerdem könne man so auf der Bühne natürlicher sprechen, als es ohne Verstärkung möglich sei; man könne auch flüstern oder schreien, und das nehme den Texten alles Altertümliche, Pathetische und Betuliche. Um deutlich zu machen, was sie damit meint, hebt sie Stimme und Arm, und dann kommt, was man so gewiss nicht mehr hören will, getragen, bedeutungsschwanger und in hohem Ton: „Der arme Jaquino dauert mich.“

Über die Bühne rennen und dabei ein hohes A singen

Die Alternativ-Variante dieses Satzes liefert die Sängerin gleich hinterher, und: Ja, so nimmt man ihr das Gefühl schon ab. Wobei verstärkend hinzukommt, dass Josefin Feiler nicht nur singen, sondern auch sprechen und spielen kann. Na klar, sagt sie selbst, das sei für Sänger immer wichtiger geworden: „Heute muss man über die Bühne rennen und dabei ein hohes A singen können.“

Wie das Ganze dann ausgeht? Im „Fidelio“ bleibe, so die Antwort, „vieles offen – wie es eben ist, wenn ein totalitäres System endet“. Also etwa wie beim Ende der DDR – eines Staates, den die Sängerin nur noch aus Erzählungen ihrer Eltern kennt. Als sie ihre Mutter einmal fragte, was diese beim Mauerfall empfunden habe, war die Antwort schlicht: „Angst – vor dem Unbekannten.“

Offen ist auch der Weg, den Josefin Feiler gehen wird. Ins „schwerere lyrische Fach“ würde sie gerne einmal wechseln. Die Agathe im „Freischütz“ singen. Verdi und Puccini liebt sie natürlich auch. Und die tschechischen Opern. Und, natürlich, die Tatjana in Tschaikowskys „Eugen Onegin“.

Erst einmal hat die Sopranistin nur einen Zwei-Jahres-Vertrag an der Oper Stuttgart – und wohnt in einer Fünfer-WG, wo sie „nur unter der Dusche und beim Kochen“ singt. Dennoch ist es ihr schon gelungen, ihre Mitbewohner zum Opernbesuch zu bewegen. Kompliment! „Ach was“, winkt Josefin Feiler ab, „Begeisterung steckt immer an.“