Können nicht miteinander und nicht ohneeinander: Larissa Sirah Herden und Lars Eidinger in „I Did It My Way“ Foto: Staatstheater Stuttgart/Matthias Baus

Larissa Sirah Herden singt Nina Simone, Lars Eidinger Frank Sinatra. „I Did It My Way“ an der Oper Stuttgart erzählt das Drama eines Paares, das gleichzeitig das Drama Amerikas ist.

Sie singt schwermütig-leise Abschiedslieder, packt ihre Koffer, sagt „Goodbye“, macht die Tür hinter sich zu. Er schaut tatenlos zu, sitzt verloren unter einer Straßenlaterne, fragt sich, wann ihnen die Liebe abhanden gekommen ist. Sie können nicht miteinander und nicht ohneeinander. Immer wieder bewegen sie sich vor einer Häuserfassade, die aussieht, als ob wir uns in einem Edward-Hopper-Gemälde befinden, aufeinander zu und voneinander weg. Sie (Larissa Sirah Herden) ist Schwarz, er (Lars Eidinger) ist Weiß. Und ihre Geschichte erzählt das Musiktheaterstück „I Did It My Way“, das am Freitag an der Staatsoper Stuttgart Premiere gefeiert hat.

 

Frank Sinatras Konzeptalbum „Watertown“

Diese beiden Menschen haben keine eigenen Worte. Sie sprechen durch die Lieder Nina Simones und Frank Sinatras – und meistens aneinander vorbei. Wie das Menschen tun, die sich auseinandergelebt haben. Ausgangspunkt für Ivo Van Hoves Stück ist Frank Sinatras Konzeptalbum „Watertown“ (1970), das in opulenten Popsongs von einem Mann erzählt, der von seiner Frau verlassen wird: Sie zieht es in die große Stadt und in ein neues Leben, er bleibt in den Suburbs mit seinem alten Leben zurück. Es ist ein sentimentales Album aus der Perspektive eines Mannes, der nicht versteht, warum seine Frau ihm das antut. „I Did It My Way“ gibt nun der Frau in Form der Lieder Nina Simones eine Stimme.

Während man im ersten Teil dieses beeindruckenden Musiktheaterabends noch glauben kann, dass es hier nur um ein Paar geht, das sich trennt, wird im zweiten Teil deutlich – es geht auch um Amerika. Es entsteht ein seltsamer Balanceakt zwischen Beziehungs- und Gesellschaftsdrama: Denn die Schwarze Frau verlässt ihren Weißen Mann, um sich ihrer afroamerikanischen Geschichte zu stellen; die Lügen des weiß getünchten Vorstadtidylls aufzudecken.

Grenzen des Musiktheaters erweitert

„I Did It My Way“, das die Spielzeit am Stuttgarter Opernhaus eröffnete, versucht die Staatsoper wie mit Florentina Holzingers „Sancta“ oder „Der rote Wal“ von Vivian und Ketan Bhatti und Markus Winter die Grenzen des Musiktheaters zu erweitern. Bei diesem abseits der Lieder wortlosen Theaterstück (musikalische Leitung: Sebastian Schwab) singen statt Opernsängerinnen und -sängern eine Schauspielerin und ein Schauspieler. Und die Emotionalität, die zwischen den Zeilen der Songtexte lauert, wird in Tanzszenen übersetzt, in denen Marco Labellarte und Samuel Planas sowie Ida Faho und Sylvie Sanou das Innerste der Figuren, die Eidinger und Herden spielen, nach außen kehren (Choreografie: Serge Aimé Coulibaly). „I Did It My Way“ ist als Koproduktion der Ruhrtriennale mit der Stuttgarter Staatsoper und in Partnerschaft mit Faso Danse Théatre entstanden.

Dass hinter der melancholischen Grundierung des Stücks eine große Unruhe lauert, macht schon die Eröffnung deutlich: Die Ballade „Watertown“ beginnt mit einem gezupften Kontrabass. Und während Lars Eidinger in einer getragenen Gesangsmelodie behauptet, dass in dieser Kleinstadt nie wirklich etwas passiert, machen nervöse Holzbläser die Anspannung deutlich, die in Wirklichkeit hinter dieser Sixties-Vorstadt-Tristesse (Bühne und Lichtdesign: Jan Versweyveld) lauert.

Lars Eidinger singt mit Showman-Grandezza

Verstärkt durch eine vierköpfige Band verwandelt sich das Staatsorchester Stuttgart an diesem Abend in eine wunderbare Bigband, die souverän mit den opulent inszenierten Stücken (Arrangements: Henry Hey, Orchestrierung: David Menke und Boris Rogowski) die Geschichte des Paares vertont, deren Liebe nicht mit einem Knall endet, sondern mit einem Seufzen. „What now, my love, now there is nothing?“: Was jetzt, meine Liebe, nachdem nichts mehr übrig ist?

Lars Eidinger interpretiert Sinatra-Songs wie „What A Funny Girl (You Used To Be)“ oder „Goodbye (She Said Quietly)“, Larissa Sirah Herden Nina-Simone-Stücke wie „Everything Must Change“, „I Put A Spell On You“ oder „That Old Black Magic“. Beide meistern ihre schwere Aufgabe großartig. Auch wenn Eidinger nicht verbergen kann, dass er kein Sänger ist und in der Intonation hin und wieder Unsicherheiten zeigt, gleicht er das mit dem Charisma eines Showmans aus. Seinen größten Auftritt hat er zu Beginn des zweiten Teils, als er eine von Dur nach Moll verschobene Version von „My Way“ singt, die sich zwischendurch in eine Tanznummer verwandelt, und er dabei zwischen dem Publikum im Parkett auf den Stuhllehnen steht.

Geschichte der Schwarzen Selbstermächtigung

Gleichzeitig ist aber dieser Moment auch der, in dem die Perspektive der Frau ins Zentrum rückt, „I Did It My Way“ beginnt, die Geschichte einer Selbstbefreiung und Selbstermächtigung zu erzählen. Plötzlich geht es nicht mehr einfach um ein Paar, sondern um Amerika: Herden trägt eine Afroperrücke, singt Songs wie „Feeling Good“, eine Rede Martin Luther Kings wird raffiniert musikalisch vertont. Das Lied „Strange Fruit“, das davon erzählt, wie im Jahr 1930 zwei schwarze Männer in einer Kleinstadt in Indiana von einem aufgebrachten Mob erhängt wurden, entlarvt Sinatras Stück „The House I Live In“, das das Kleinstadtamerika, als einen Ort, in dem die Welt noch in Ordnung ist, als Mythos entlarvt.

Und auch wenn es im dritten Teil kurz so aussieht, als ob es ein Happy End geben könnte, wird das im Finale bei einer mit schmetternden Blechbläsern und schwelgenden Streichern verzierten Version von „My Way“ infrage gestellt, wenn er und sie in entgegengesetzten Richtungen von der Bühne gehen.