Premiere ohne Hauptperson: Jossi Wieler, Intendant der Staatsoper Stuttgart, erklärt den Medien, wie er sich die Inszenierung des Werks von Kirill Serebrennikow ohne Serebrennikow am 22. Oktober vorstellt. Foto: dpa

Die Stuttgarter „Hänsel und Gretel“-Premiere muss ohne ihren in Russland unter Hausarrest gestellten Regisseur auskommen. StN-Chefredakteur Christoph Reisinger sieht darin einen Musterfall für Putins autoritäre Herrschaft.

Stuttgart. - Das Gift der autoritären Herrschaft kriecht aus Russland ins Stuttgarter Opernhaus. Verkleistert dort den Spielplan, weil der in seiner Heimat im Hausarrest gefangene und unter weit hergeholte Betrugsanschuldigung gestellte Kirill Serebrennikow seine für den 22. Oktober geplante „Hänsel und Gretel“-Premiere nicht inszenieren darf. Plötzlich sind Mief und Muff dieses Gifts auch hierzulande unüberriechbar.

Putin-Versteher in Erklärungsnot

Das einzig Gute daran: Da Stuttgarts Oper ein Haus von nationalem Rang ist und Serebrennikow einer der profiliertesten Regisseure Russlands, wird es den Verharmlosern, Putin-Verstehern und Sanktionen-Kritikern schwerfallen, so zu tun, als seien Mief und Muff nicht da. Denn was immer sich die künstlerische Leitung wird einfallen lassen: Ohne Serebrennikow bleibt die Stuttgarter Aufführung ein Behelf. Aber einer, der Aufmerksamkeit auf das Schicksal von Künstlern lenkt, die der Regierung Putin missliebig sind. Zugleich auf Deformationen im Rechtssystem, ohne die keine autoritäre Herrschaft auskommt.

Das erinnert noch einmal an die Instinktlosigkeit eines Altkanzlers, der im finanziellen Kraftzentrum dieser Herrschaft sein Schäfchen ins Trockene bringen will. Es bestätigt all diejenigen in seiner SPD, denen das peinlich ist.

Nachbar von herausragender Bedeutung

Wer solche Peinlichkeit benennt, auf Serebrennikow verweist oder Russlands Auftreten als eine Macht problematisiert, die offiziell Grenzen in Europa verändern will, gilt schnell als ewig Kalter Krieger. Zu Unrecht. Denn wie im Fall Türkei gilt: großartiges Land, wunderbare Menschen und Kultur, wirtschaftlich und sicherheitspolitisch ein Nachbar von herausragender Bedeutung. In der aktuellen Verfassung aber ein Problem.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de