Vampire haben besondere Kräfte, in der Gegenwart aber auch sehr spezielle Probleme: Tilda Swinton und Tom Hiddleston in Jim Jarmuschs Blutfantasie "Only Lovers Left Alive". Foto: Pandora

Vom Fluch der Langeweile und den Tücken verunreinigter Nahrung: Jim Jarmusch zeigt in dem Drama „Only Lovers Left Alive“ Vampire als heimatlose Bohemiens.

Filmkritik und Trailer zum Kinofilm "Only Lovers Left Alive"

Stuttgart - „Das ist so was von Mittelalter“, sagt Vampirin Eve zu ihrem geliebten Adam, als die Blutquellen versiegen und sie in längst überwunden geglaubte Formen der Nahrungsaufnahme zurückgezwungen werden. Bis es so weit ist, wohnen die Zuschauer einer Was-wäre-wenn-Situation bei: Jim Jarmusch („Broken Flowers“) führt in aller Ruhe vor, mit welchen speziellen Problemen Vampire heute vielleicht zu kämpfen hätten.

In einer gottverlassenen Ecke Detroits haust Adam in einer vollständig abgedunkelten Abbruchvilla. Mit analogen Tonstudio-Gerätschaften aus dem 20. Jahrhundert nimmt er psychedelisch anmutenden Zeitlupen-Rock auf, in dem sich die ganze Melancholie eines Verlorenen spiegelt: Adam ist ein aus der Zeit gefallener Geist mit dem einzigen Daseinszweck, menschliches Blut zu trinken. Außenkontakt hält er nur über einen langhaarigen Dienstboten und einen korrupten Arzt.

Eve wohnt im marokkanischen Tanger, wo ihr ein illustrer Artgenosse roten Saft beschafft: Christopher Marlowe, den manche für den Autoren hinter Shakespeare halten. Als sie den schwindenden Lebensmut ihres Geliebten spürt, bucht sie einen Nachtflug. Doch kaum sind die feinsinnigen, kultivierten Liebenden wieder vereint, taucht nach 80 Jahren ihre chaotische Schwester Ava auf, die in nur einer Nacht eine ganze Welt auf den Kopf stellen kann.

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Jarmusch konterkariert den „Twilight“-getrübten Blick des Publikums auf Vampire. Er übernimmt bekannte Regeln, was Sonnenlicht angeht oder die Frage, ob Gebissene verwandelt oder gleich ausgetrunken werden; doch seine Vampire sind heimatlose Bohemiens, deren Schauerroman-Anmutung nur noch an den leicht toupierten Haaren zu erahnen ist, an seltsam leuchtenden Augen, an feinen Details.

Eves Bar-Treffpunkt in Tanger heißt symbolisch „1001 Nacht“, über allem schwebt der Fluch der Langeweile, den jahrhundertelanges Dasein mit sich bringt und den Simone de Beauvoir konsequent zu Ende gedacht hat in ihrem Roman „Alle Menschen sind sterblich“. Jarmusch, ein Meister der Langsamkeit, macht physisch spürbar, wie es sein muss, alle Zeit der Welt und kein Ziel zu haben; diesen Preis müssen alle Zuschauer bezahlen in diesem Film.

So zäh die Zeit in den Augen der Vampire dahintröpfelt, so dramatisch gestaltet sich die Blutbeschaffung. Dabei helfen ihnen auch übermenschliche Kräfte nur bedingt in der Gegenwart der „Zombies“, wie sie die Menschen nennen, deren Blut verunreinigt ist – ein Hieb gegen die Industrienahrung von heute, in der Antibiotika womöglich zu den harmloseren Bestandteilen gehören.

Tom Hiddleston (Loki in „Thor“) macht sich gut als neurotischer Adam, Tilda Swinton („Michael Clayton“) verleiht der blutleeren Eve ein loderndes Feuer, und Mia Wasikowska („Alice in Wonderland“) als Ava gibt eine hinreißende Femme fatale. Den Rest besorgt der Soundtrack mit Rockabilly, Soul, Paganini und Jarmuschs Band Sqürl, die dem Klang nach auch aus durstigen Blutsaugern bestehen könnte.

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