Entwurf der badischen Verfassung, unterschrieben vom Großherzog Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Das Haus der Geschichte präsentiert mit einem Online-Projekt Beispiele für Bürgerbeteiligungen zum Mitmachen

Stuttgart - Die Badener und die Württemberger sind aufmüpfige Leute, und das quer durch alle Bevölkerungsschichten.Und dieser Protest ist nicht nur auf einige politisch-gesellschaftliche Gruppen konzentriert, auch die so genannten braven Bürger zeigen ihren Unwillen öffentlich, zuletzt etwa bei den Demonstrationen zum Projekt Stuttgart 21.

Die Historiker wissen freilich schon lange darum, haben dazu auch etliche Belege aus jüngerer und früherer Zeit. Und präsentieren diese nun im Internet, um mit Text, Ton und Bild möglichst Viele dafür zu interessieren und zum Mitmachen aufzufordern. „Des Volkes Stimme: 200 Jahre – ein Kalender zur Partizipation“ heißt das Projekt, das ab sofort unter www.des-volkes-stimme.de abgerufen werden kann. Das Projekt startet ausgerechnet jetzt, da vor 200 Jahren am 22. August 1818 der badische Großherzog Karl in Bad Griesbach den letzten Entwurf der ersten badischen Landesverfassung unterzeichnete. Das Projekt endet nach dem heutigen Stand der Dinge am 25. September 2019, da wird an die Entstehung der ersten württembergischen Verfassung vor 200 Jahren erinnert.

Die badische Verfassung in Stuttgart

Zu diesem Anlass wurde der Original-Entwurf dieser Verfassung vom August 1818 mit Unterschriften von Karlsruhe nach Stuttgart ins Haus der Geschichte bewegt. Dort wird das Projekt betreut. Mit dabei: Wolfgang Zimmermann, Leiter des Generallandesarchivs Karlsruhe. Rein optisch macht dieser Entwurf an sich jetzt nicht sonderlich viel her, das Geschriebene ist in diesem Fall das Besondere.

Das Besondere dieser ersten badischen Landes erläutert Zimmermann: „Das war eine äußerst liberale Verfassung. Vor allem in Sachen Bürgerbeteiligung: Etwa 70 Prozent der Männer über 25 Jahren durften Vertreter ins Parlament wählen. Und jede Stimme zählte gleich viel. Das war ungewöhnlich, da die badische Bevölkerung schon damals ziemlich heterogen war etwa hinsichtlich der Religionszugehörigkeit.“ Dieser Satz belegt freilich auch, dass es noch viel nachzubessern galt bis zum Stand der demokratischen Beteiligung heute. Aber: Ein Anfang war gemacht. Und er hatte Bestand. Denn: „Der Herzog war damals im Prinzip pleite“, so Zimmermann: „Er benötigte deshalb Gedl von den Bürgern. Und um an das ranzukommen, musste er sie an der Macht beteiligen, die Bürger bekamen also ein Mitspracherecht.“ So entstand das erste Parlamentsgebäude auch in Karlsruhe, das im November 1822 eröffnete Ständehaus.

Freudenfeuer und Gottesdienste für eine neue Verfassung

Diese Verfassung bot die Grundlage für die Pressefreiheit, aber auch etwa für die Gründung von Vereinen der verschiedensten Arten. Ein Anlass, der damals landauf landab im großen Stil gefeiert wurde mit Gottesdiensten, Umzügen, Freudenfeuer, Dorf- und Stadtfesten, wie Thomas Schnabel, Leiter des Hauses der Geschichte, berichtet.

Heute wird anderes anders gefeiert, und das schafft eben auch den Raum für Projekte wie diesen Kalender der Partizipation. Der erste Eintrag gehört naheliegenderweise dem 22. August 1818 und der Unterschrift des Großherzogs unter diese Verfassung in Wort, Bild und einem erläuterndem Kurzfilm. Wie es sich für einen Kalender gehört, schreibt sich dieser Tag für Tag aufs Neue fort, verfolgt also nicht in erster Linie die Fortschreibung des einen oder anderen Themas. Das macht den Kalender bunt und abwechslungsreich. Der Eintrag am 29. August erinnert etwa an die Bürger von Boxberg und Umgebung im Main-Tauber-Kreis. Vor 25 Jahren sind diese erfolgreich nach Karlsruhe marschiert zum Bundesverfassungsgericht, um letzten Endes die geplante Daimler-Teststrecke auf ihrem Land und Boden verhindern zu können. Hier wurde die Bundschuh-Bewegung wieder entdeckt in Erinnerung an die Bauernaufstände des 16. Jahrhunderts in Süddeutschland, jetzt eben getragen von Bauern vor Ort, von Bürgern von außerhalb und von Jugendlichen, seien es antifaschistische Bewegungen oder Engagierte aus der Jugendhaus-Szene.

Gewerkschaftsbund und anonyme Beratung

Weitere Themen sind die Gründung des Gewerkschaftbunds Württemberg-Baden, die erste Beratung von Jugendlichen anonym per e-mail durch Ehrenamtliche in Freiburg oder die erste Eröffnung eines Mädchengymnasiums in Karlsruhe. „Wir wollen hier auch Erfolgsgeschichten vorführen, Engagements und Wertschätzungen“, so Schnabel, „und nicht nur Katastrophen. Wir wollen zeigen, dass Geschichte kein Automatismus ist, sondern ein Prozess, der immer offen ist für verschiedene Wege“. Etwa 140 Beiträge sind inzwischen vorbereitet, 200 sollen es werden, noch mehr können es werden. Das Land gibt dem Projekt einen gesonderten Zuschuss von 100 000 Euro für dieses und nächstes Jahr.

Denn das ist ganz nach dem Geschmack von Gisela Erler. 2011 hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann sie zur Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung ernannt. „Wir wollen mit diesem Projekt möglichst viele Leute erreichen, wir hoffen auf viele bunte und individuelle Beiträge aus der Bürgerschaft zu den Beiträgen, gerne auch mit viel Humor“, berichtet Veronika Kienzle von der Stabsstelle: „Für uns ist das ein Kooperationsprojekt, das wir inhaltlich mitgestalten. Wir sind hier nicht nur Auftraggeber.