Sigrun Schmiedl-Hellwig kann jeden Hilfesuchenden in Deutschland beraten. Dazu braucht sie nur ihren Laptop. Foto: factum/Granville

Die Böblinger Psychologin Sigrun Schmiedl-Hellwig hilft Jugendlichen, die Stress mit den Eltern oder in der Schule haben oder unter Liebeskummer leiden. Auch Eltern berät sie in Erziehungsfragen. Die Sprechstunde ist online – per E-Mail und in Chatgruppen.

Böblingen - Bankgeschäfte, Einkaufen, Reisen buchen – längst erledigen viele Menschen solche Dinge selbstverständlich online. Dieser Wandel reicht aber weiter. Auch psychologische Beratungsstellen nutzen mittlerweile die Möglichkeiten der virtuellen Welt. Speziell an Jugendliche und Eltern richtet sich das die Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) mit ihrer Online-Beratung. Daran beteiligt sich seit anderthalb Jahren Sigrun Schmiedl-Hellwig von der psychologischen Beratungsstelle des Kreises Böblingen.

Frau Schmiedl-Hellwig, wer wendet sich an Sie?
Wir sind ein bundesweites Angebot, das die Jugendministerkonferenz bereits 2003 beschlossen hat. Seit anderthalb Jahren beteiligt sich der Kreis Böblingen mit mir von der Böblinger Beratungsstelle daran. Unsere virtuelle Beratung richtet sich an Jugendliche im Alter bis 21 Jahre und an Eltern mit Erziehungsfragen.
Welche Fragen haben die Jugendlichen?
Die meisten Nutzer sind 15 bis 18 Jahre alt. Es geht viel um das Thema Liebe und Sexualität. Aber auch um Stress in der Schule, Mobbing und Ausgegrenztwerden, Streit mit den Eltern. Es wenden sich auch viele mit Ängsten und Sinnfragen an uns.
Und die Eltern?
Da geht es um ganz klassische Erziehungsthemen. Viele Eltern wollen wissen, wie sie mit dem Medienkonsum ihrer Kinder umgehen können. Oder auch, wie sie reagieren sollen, wenn das Kind immer wieder ausrastet. Dauerbrenner sind Pubertätsprobleme und Trennung/Scheidung
Wie beraten Sie?
Wir haben verschiedene Formen. Es gibt die webbasierte Mailberatung. Da schickt man uns eine Mail mit seinem Anliegen, und wir antworten per Mail darauf. Daraus entwickelt sich häufig ein längerer Kontakt. Dann haben wir Chats: Beratung im Einzelchat, aber auch Gruppenchats – offene und themenbezogene, zum Beispiel zum Thema Drogensucht oder Schulstress. Daran können bis zu 15 Leute gleichzeitig teilnehmen. Die Termine werden auf der Webseite angekündigt. Die offenste Form sind Foren, in denen die Teilnehmer untereinander in Kontakt treten. Ähnlich einer Selbsthilfegruppe, die aber immer von einem Berater fachlich moderiert wird.
Was ist anders bei der virtuellen Beratung als bei der Face-to-face-Situation?
Ich erhalte keine direkte Reaktion auf das, was ich schreibe. Deswegen muss ich viel genauer formulieren und überlegen, wie meine Formulierungen ankommen.
Können Sie ein Beispiel geben?
Wenn mir eine Mutter erzählt, dass sie ihrem Kind gelegentlich einen Klaps gibt, dann kann ich in der Face-to-face-Beratung auch durch nonverbale Signale meinem Gegenüber mitteilen, dass das keine akzeptable Erziehungsmethode ist. Aber wenn ich das so direkt in eine Mail schreibe, besteht die Gefahr, dass der Kontakt abbricht.
Was schreiben Sie dann?
Ich formuliere vielleicht so: „Ich kann verstehen, dass es Situationen gibt, in denen Sie sich überfordert fühlen und sich nicht anders zu helfen wissen. Sollen wir uns diese genauer anschauen?“
Das funktioniert?
Ja. Ein Vorteil der Online-Beratung ist, dass man viel schneller direkt auf den Punkt kommt. Durch die Anonymität trauen sich die Nutzer mehr als bei direkten Gesprächen, vor allem bei so sensiblen Themen wie sexueller Missbrauch oder auch Gewalt.
Da kommen Sie aber vermutlich schnell an Ihre Grenzen.
Wir können virtuell nur beraten, nicht therapieren. Aber wir vermitteln Jugendliche auch weiter an Beratungsstellen. Vor allem können wir Ängste abbauen. Für Jugendliche ist eine psychologische Beratung häufig schambehaftet, man ist ja nicht „verrückt“. Da können wir informieren und Vorurteile abbauen.
Gelingt diese Vermittlung ?
Ja. Wir bekommen immer wieder Rückmeldungen. Manche bleiben noch in Kontakt mit uns, fragen, ob sie bestimmte Dinge dem Therapeuten erzählen sollen.
Der Umgangston im Netz ist lockerer als bei klassischen Beratungen?
In den Foren und Chats der Jugendlichen sind alle per du, auch ich als Beraterin. Die Online-Beratung hat auch die Qualität meiner Arbeit in der klassischen Beratung verändert. Ich formuliere jetzt in direkten Gesprächen noch bewusster.
Wie viele Berater sind Sie?
Bundesweit sind wir insgesamt 85 Berater, in Baden-Württemberg fünf in vier Beratungsstellen. Ich bin die einzige aus dem Kreis Böblingen. Aber ich weiß nicht, woher meine Klienten sind. Ich chatte mit Leuten aus ganz Deutschland. Alles ist anonym. Auch die Nutzer wissen nicht, wer ich bin und wo ich arbeite.
Erreichen Sie mit diesem Angebot mehr Leute als durch die klassische Beratung?
Wir erreichen vermutlich andere Leute, die sonst vielleicht nicht den Weg zu uns finden würden. Ich denke, es ist eine Form, junge Leute zu erreichen. Deshalb wollte ich auch unbedingt in die Online-Beratung einsteigen und habe die Fortbildung dazu gemacht.