Das Land zerfällt: in Omar El Akkads Roman herrschen im späten 21. Jahrhundert in den USAVerhältnisse wie man sie heute aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak kennt. Foto: AFP

Bürgerkrieg um das Benzinverbot: In seinem Roman „American War“ verwandelt Omar El Akkad unsere Gegenwart in einen Alptraum der Zukunft.

Stuttgart - Aus dem Streit um den Diesel oder um den Verbrennungsmotor wird doch nicht gleich ein Bürgerkrieg entbrennen. Andererseits kann die Ideologisierung der Automobilität – freie Fahrt für freie Bürger – durchaus eine Demarkationslinie bilden, an der grundlegende weltanschauliche, politische, ökonomische und soziale Überzeugungen aufeinander treffen. Mit welchen weitreichenden Folgen dies passieren kann, malt der Roman „American War“ des aus Ägypten stammenden Kanadiers Omar El Akkad aus.

In den USA wird das Buch als Entdeckung gefeiert, weil sich ein zutiefst polarisiertes Land darin wiedererkennt, das täglich staunend wahrnehmen muss, wie sich Selbstverständlichkeiten seiner politischen Kultur auflösen, Wahrheiten, Werte und Handlungsoptionen in den Grabenkämpfen sich unversöhnlich gegenüberstehender Fraktionen fahrlässig zerschlissen werden. Dass dieser Roman über die Neuauflage des amerikanischen Bürgerkriegs zur Entdeckung aber auch außerhalb der sich immer unvereinigter zeigenden Vereinigten Staaten werden kann, hat seinen Grund darin, dass El Akkad sein Gedankenexperiment weit über den didaktischen Rahmen hinausführt, in dem literarische Zukunftsvisionen die Konflikte der Gegenwart zu Ende denken.

In der Welt, die El Akkad beschreibt, haben sich die Gewichte gründlich verschoben. Im Nahen Osten ist nach einer Folge gescheiterter Revolutionen aus einer Ansammlung gescheiterter, korrupter Staaten das sogenannte Bouazizreich entstanden, das sich von Marokko bis zu den Ufern des Schwarzen und des Kaspischen Meers erstreckt. Zusammen mit China bildet es eine der beiden Großmächte. Verhältnisse wie man sie heute aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak kennt, herrschen im späten 21. Jahrhundert in den USA. Der Streit um die Nutzung fossiler Energien ist eskaliert. Der Süden hat sich vom Norden abgespalten, um sich bis zum letzten Tropfen an seine darbende Ölindustrie zu klammern. Während der Rest der Welt gelernt hat, von Sonne und Wind und der Spaltung von Atomen zu leben, rufen die Rebellenstaaten zum offenen Krieg gegen das Benzinverbot auf. Die neuen Großmächte wiederum schüren den Konflikt nach Belieben, unterstützen einzelne Rebellengruppen so weit, wie es notwendig ist, eine ihnen nützliche Balance des Schreckens aufrechtzuerhalten.

Wie ein Alp lastet das Buch auf der Brust seiner Leser

Als Journalist hat Omar El Akkad die Konfliktzonen der Gegenwart bereist. Er war in Afghanistan, hat die Guantanamo-Prozesse verfolgt und kennt jene schwelende Form des Bürgerkriegs, die in den USA immer wieder in Aufständen gegen rassistische Polizeigewalt entflammt. Doch als Autor nutzt er die Mittel der Literatur nicht, um das Tagesgeschäft der Meinungsbildung weiterzutreiben, sondern überlässt sich der Nachtarbeit des Traums. Wenn „American War“, wie der Verlag dröhnend reklamiert, wieder einmal ein Buch der Stunde sein soll, dann ist es die Stunde der Mitternacht, die ihm entspricht. Wie ein Alp lastet das Buch auf der Brust seiner Leser.

Steigende Meeresspiegel, durch den Klimawandel unbewohnbare Zonen, Völkerwanderungen, diesmal freilich in der Gegenrichtung – „Scharen von armseligen kleinen Booten, die vom europäischen Ufer herüber nach Süden kommen, Flüchtlingslager und Gefängnisinseln für Terroristen –, all dies sind die Tagesreste, aus denen El Akkad die Zukunft träumt. Die Logik des Traums folgt den Verfahren der Wiederholung und Verschiebung.

Alles kehrt wieder unter verkehrten Vorzeichen, der Sezessionskrieg, fragmentierte Länder und Landschaften, imperiale Realpolitik, ohne sich freilich untergangslüstern in einem Oswald-Spengler‘schen Kulturkreis-Fatalismus dem Ende zuzuschrauben. Statt auf dem Reißbrett der Ideen seine Figuren von einer Seite auf die andere zu schieben, agiert El Akkad mit ihnen aus, was uns hier und jetzt bedrängt. Nicht die Zukunftsfantasie hebt diese Erzählung über vergleichbare literarische Unternehmungen hinweg, sondern ihre beunruhigende Gegenwärtigkeit.

Hybride menschliche Kampfmaschine

In modernen Zeiten hat der Historiker den Traumdeuter als Herr über die Geschichten abgelöst. Hier ist es ein Erzähler, der aus Dokumenten und Quellen das Geschehene aufarbeitet und darin auf seine eigene Geschichte beziehungsweise die seiner Tante stößt. An ihr demonstriert er, wie jemand gesteuert von fremden Interessen seine Unschuld verliert. Aufgewachsen im Niemandsland von verbrannter Erde und über die Ufer tretender Flüsse, konfrontiert mit Flüchtlingselend und Massakern, wird sie zu einer hybriden menschlichen Kampfmaschine. Die fossilen Energien liefern nur den Stoff, der Zündfunke kommt aus dem sich aufschaukelndem Hass, der im doppelten Takt von Gewalt und Gegengewalt die Zukunft verpestet.

Dass El Akkads Figuren holzschnittartige Züge haben, dass sie in ihrem Handeln einen allegorischen Ballast mitschleppen müssen, und ihre Dialoge bisweilen gravitätischer klingen, als es den literarischen Standards des frühen 21. Jahrhunderts entspricht – all dies mindert ihre Wirkung nicht, sondern verstärkt eher jenen leicht surrealen Zug, mit dem sie ins Herz des Realen treffen.

Als Kind sammelte der Erzähler Postkarten, Bilder einsamer Strände, bevor der ansteigende Meeresspiegel diese verschlang. Der Roman ist eine Flaschenpost aus der Zukunft. Er nimmt kein gutes Ende. Doch bis es soweit ist, sollten wir ihn lesen.