Opa mit Enkelin - die Großeltern werden immer wichtiger Foto: WEDOpress/dpa/gms

Oma und Opa sind heute aktiver denn je – und an allen Fronten gefordert. Wir beleuchten das Bild der Großeltern im Wandel der Zeit.

Stuttgart - Die Großeltern von heute sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Ein Satz, der in vielerlei Hinsicht den Kern der Sache trifft. Zum einen waren sie früher selbst noch Enkel, zum anderen sind Großeltern heutiger Prägung auch in einem anderen Sinne anders als ihre Amtsvorgänger. Obwohl ebenfalls alt, sind sie dennoch jünger, will heißen: körperlich fitter, geistig aufgeschlossener und seelisch offener. Heute heißt es Fitnessstudio statt Lehnsessel, Radtour statt Fahrt ins Blaue, Ebay statt Krämermarkt.

Während früher als Urbild der Großmutter eine üppige Frau mit rissigen Händen im Kittelschurz diente, fährt die Oma von heute Cabrio oder geht online bei H&M einkaufen. Vielleicht nicht mehr in Größe 36, aber erlaubt ist, was gefällt. Der Großvater läuft auch nicht mehr mit Pepita-Kappe im Garten herum und macht Holz für den Winter. Im Sommer ist der neue Opa mit dem Motorrad unterwegs und geht – wie jedes Jahr – zum Bang-Your-Head-Festival nach Balingen oder Dinkelsbühl. Und wenn er doch mal Holz macht, dann trägt er dabei eher eine Baseball-Kappe. Oma und Opa gehören zu den mehr oder weniger zahlungskräftigen Best-Agers, zur Generation Gold, die sich nicht aufs Altenteil abschieben lässt.

Erziehungsaufgaben höchstens mittragen

Wobei das Altenteil eigentlich gar kein schlechter Ort ist. Es liegt – und das ist stets gleich geblieben – mitten im Leben. Und geht doch darüber hinaus. Das erfassen auch die Enkelkinder recht schnell: Irgendwie sind Oma und Opa ein bisschen so wie Mama und Papa, vielleicht sogar noch mächtiger, schließlich werden sie von den Eltern meist selbst respektvoll mit Mama und Papa angeredet. Andererseits erscheinen die Großeltern irgendwie lockerer, sind für vieles gar nicht zuständig, halten sich aus dem Tagesgeschäft heraus und begnügen sich oft damit, Probleme mit einem „Ihr werdet das schon hinkriegen“ zu kommentieren. Das Altenteil ist somit kein Ort, an dem man abgemeldet ist, sondern vielmehr ein Platz, den man ausfüllen kann. Mit Möglichkeiten und einer Freiheit, von der man einst als Elternteil nur träumen konnte.

In heutiger Zeit sind Großeltern vor allem dazu da, da zu sein. Sprich: dem Enkelkind Zeit und Zuwendung zu schenken und den Eltern ein kleines bisschen zu helfen. Erziehungsaufgaben müssen sie höchstens mittragen, vielleicht unterstützen, aber eben nicht mehr durchsetzen. Die Last der Verantwortung liegt bei den Eltern des Kindes. Und das ist auch gut so. Omas und Opas dürfen oder können, sie müssen nicht. Die normative Kraft des Faktischen, die den elterlichen Alltag meist bestimmt, wird abgelöst vom Markt der Möglichkeiten. So muss eine Oma nicht strikt auf die gesunde Ernährung der Enkelin achten, da gibt’s zum Frühstück auch mal Kekse statt Müsli. Übernachtet der Enkel bei den Großeltern, darf er eben „im Gräble“ schlafen und muss nicht ins Kinderzimmer ins eigene Bett.

Action auch ohne großen finanziellen Aufwand

Wie Oma und Opa ihre Rolle ausfüllen, hängt vor allem von zwei Dingen ab: von der Zeit und vom Geld. Natürlich ist es schöner, nicht mehr berufstätig zu sein und über ein ausreichend gefülltes Bankkonto zu verfügen. Da stellt sich bei der Betreuung der Enkel höchstens die Qual der Wahl. Fahren wir in die Wilhelma oder lieber in den Europa-Park? Gehen wir essen, oder bestellen wir uns eine Pizza?

Doch auch ohne großen finanziellen Aufwand gibt es viel miteinander zu unternehmen: Würste grillen über offenem Feuer, auf einem Hochsitz im Wald Rehe beobachten oder aber zu Hause Spiele machen und etwas basteln. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, zumal es bei der Betreuung der Enkelkinder zuallererst um die Art und Intensität der Zuwendung geht und weniger um den heute so oft gefragten Event-Charakter.

Beim Faktor Zeit gibt es allerdings kaum Spielraum. Entweder man hat sie, oder man hat sie nicht. Wohl denen, die als Großeltern im Ruhestand sind oder zumindest die Arbeitszeit reduzieren können. Für alle anderen bleiben immer noch die Wochenenden. Und – tröstlich zu wissen – auch bei der mit den Enkeln verbrachten Zeit kommt es nicht auf die Dauer, sondern auf die Qualität an.

Generell spielen Großeltern eine wichtige Rolle im Beziehungsgeflecht des Kleinkindes, nicht zuletzt auch als Anker der eigenen Lebensgeschichte, als Tor zur Vergangenheit. Dazu tragen auch die Geschichten bei, die sie den Enkelkindern erzählen. Heute sind das nicht mehr die Geschichten von einst. „Opa, erzähl vom Krieg!“ oder „Oma, erzähl von den Trümmerfrauen!“, so wurden früher der Mann mit Pepita-Kappe und die Frau im Kittelschurz gefragt. Meist erzählten sie dann auch. Zum Glück. Für sich selbst, weil sie sich so dem Schrecklichen noch einmal stellen und es im Erzählen ein kleines bisschen loslassen konnten. Und zum Glück für das Enkelkind, das so schon früh eine Ahnung davon bekam, wohin Krieg und Gewalt führen. Vielleicht liegen sogar die Wurzeln der Friedensbewegung der 80er Jahre in derartigen Erzählungen.

„Oma, wie war das mit . . .?“, „Opa, erzähl mir von . . .!“ – worüber wohl die gegenwärtigen Großeltern ihren Enkelkindern berichten? Von den Demos 1968 in Paris und Berlin? Von den vier Wochen im indischen Aschram? Vom Hilfseinsatz auf einer Kaffeeplantage in Nicaragua, der Menschenkette 1983 zwischen Ulm und Stuttgart oder von Fahrten mit dem alten R4 zum Baggersee?

Erzählungen als Zeugnisse echten Lebens

Großelterliche Erzählungen mögen sich in Dramatik, Intensität oder Originalität unterscheiden, doch für die Enkelkinder sind sie überall stets eines: Zeugnisse echten Lebens – einerseits nah und in der Person des Erzählenden noch immer gegenwärtig, andererseits aus einer anderen, fast exotisch anmutenden Welt, die es so nicht mehr gibt.

In dieser Mischung aus Nähe und Distanz, Gegenwärtigkeit und Vergangenheit, Verortung im Leben des Zuhörers (durch die enge verwandtschaftliche Beziehung zum Erzählenden) und sicherer (zeitlicher) Distanz treffen die Oma-und-Opa-Erzählungen haargenau das Bedürfnis eines jungen Menschen nach spannenden Geschichten. Und: Es sind wahre Geschichten.

Allerdings können manche Oma, mancher Opa ihre Geschichten noch gar nicht zu Ende erzählen, weil sei nämlich gerade selbst noch ganz tief drinstecken und sich erst mal wieder neu sortieren müssen. Etwa nach einer Trennung. Denn sogar Paare, die gemeinsam vieles gemeistert haben – das verflixte siebte Jahr, die Zeit, da sich plötzlich Kinder in die bislang so glückliche Zweisamkeit gedrängt und alles durcheinandergebracht haben, sowie die stressigen Berufsjahre –, sind nicht gefeit vor zwei äußerst kritischen Punkten im Beziehungsleben: vor der Phase, wenn die Kinder flügge werden und ausziehen, und vor der Phase des Übergangs vom Berufsleben in den Ruhestand.

Großeltern werden heute wieder dringend gebraucht

Oft setzen diese Phasen um die Zeit der Silberhochzeit ein. So hat sich nach Angaben des Statistischen Bundesamts in den zurückliegenden 20 Jahren die Zahl der Scheidungen nach einer Ehedauer von 26 und mehr Jahren von 14 300 im Jahr 1993 auf mittlerweile 24 300 erhöht. Die Statistiker haben ausgerechnet, dass dies zwar noch immer „nur 14,3 Prozent aller Scheidungen sind, doch ist dieser langfristige Trend deutlicher als die häufigen Scheidungen nach sechs Jahren Ehedauer“. Zurück bleiben verwaiste Großelternhälften. Hier ist dann von allen Seiten ein ordentliches Stück Beziehungsarbeit gefragt, um das Generationengefüge wieder in Form zu bringen.

Vergleicht man noch einmal das Großelterndasein einst und heute, könnte sich in einem Punkt der Kreis wieder schließen: Großeltern werden heute wieder dringend gebraucht. Das hängt eng mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zusammen. Immer weniger Mütter können es sich finanziell leisten, während der ersten Lebensjahre ihres Kindes zu Hause zu bleiben. Stattdessen müssen sie oft mehr als nur halbtags arbeiten. Da gleichzeitig Einrichtungen zur Kleinkindbetreuung nicht überall vorhanden oder schlicht zu teuer sind, müssen Großeltern immer häufiger einspringen: um ihren Nachwuchs bei der finanziellen Grundversorgung zu unterstützen, um ihn bei der Kinderbetreuung zu entlasten. Wenn dann auch noch betagte Urgroßeltern zu versorgen sind, haben Oma und Opa ein ganz schönes Pensum zu leisten. Sie stützen die Kleinfamilie, so wie es einst zu Zeiten der Großfamilie notwendig war.

Wo stehen Großeltern heute? Zwischen Freizeitgestaltung und Pflichterfüllung, zwischen Arbeit und Vergnügen, zwischen Ruhe und Anspannung, zwischen Genuss und Verzicht. Kurz: mitten im Leben! So wie bisher und so wie künftig. Denn eines bleibt sich immer gleich: Der Umgang mit Kindern ist für Oma und Opa von einem spürbar größeren Maß an Gelassenheit geprägt, und die vielen schönen Momente des gemeinsamen Alltags werden viel bewusster wahrgenommen, ja, genossen.

Wie formulierte jüngst ein frischgebackener Großvater? „Also, Vater war ich ja schon sehr gern. Aber Opa sein – das ist richtig cool!“ Er schwärmte von einem weiteren, tieferen Bewusstsein, von der gewachsenen Fähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Und als wäre dies ein Beleg für das neue Bewusstsein, soll er wie durch Zauberhand just zum Zeitpunkt der Geburt des ersten Enkelkindes die Fähigkeit verloren haben, Kinder zu wickeln. Noch spielt die frischgebackene Oma mit.