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Tatjana Hüfner schwört auf Psychologie - und das macht sie so stark.  

Whistler - Die Medal Plaza im Herzen von Whistler ist ein wirklich schöner Ort. Und diese Konstruktion auf der Bühne, ausgestattet mit drei Stufen, kann sich auch sehen lassen. Ob man dieses Ding deshalb aber gleich küssen muss? "Ja", fand Tatjana Hüfner - und hatte richtig Gefallen daran gefunden. "Hat gut geschmeckt", sagte sie, "da könnte ich mich daran gewöhnen."

Natürlich auch, weil mit solch einer Geste ja auch eine Menge mehr verbunden ist. Zum Beispiel das, was Tatjana Hüfner gut drei Stunden zuvor erreicht hatte. Dreimal hatte sie sich schon die Eisrinne des Whistler Sliding Centre hinuntergestürzt, dann kam das vierte, das entscheidende Mal. "Ich muss zugeben", sagte sie später, "ich war nervös." Aber sie hat das in den Griff bekommen und das gemacht, was sie in solchen Situationen fast immer macht: ihre bestmögliche Leistung abgerufen. Als sie unten ankam, war sie die Schnellste und jubelte: "Nun bin ich einfach froh, dass sich all die Arbeit gelohnt hat."

Vier harte Jahre habe sie gehabt, sagte die 26-Jährige. Vier Jahre, in denen sie nichts unversucht ließ, dieses große Ziel zu erreichen. "Die Deutschen", musste auch die zweitplatzierte Österreicherin Nina Reithmayer zugeben, "sind athletisch einfach super beieinander." Doch das allein reichte Hüfner nicht. Psychologie ist seit langem für sie ein Steckenpferd, fast schon ein Tick. Die Rodlerin schwört auf mentales Training - und deshalb ist die Athletin vom WSC Oberwiesenthal nicht nur Rodlerin, Sportsoldatin und Inhaberin des silbernen Rettungsschwimmerabzeichens - sie bildet sich auch weiter. Natürlich über Psychologie. Erst mit dem Fernlehrgang in praktischer Psychologie, mittlerweile erlernt sie den Beruf der psychologischen Beraterin. Sie behauptet zwar, das alles helfe ihr im Sport nicht wirklich weiter: "Ich kann mich ja nicht selbst therapieren." Aber das ist nicht die ganze Wahrheit - sie arbeitet natürlich mit einem Mentalcoach und ist für dessen Ratschläge ungemein offen. Und wenn man an etwas glaubt, macht es einen stark.

Und so überstand sie gemeinsam mit Teamkollegin Natalie Geisenberger (Miesbach) zwei nicht ganz einfache Situationen. Zunächst kam die Oberhoferin mit dem Startpunkt der Junioren gar nicht zurecht, ihr unterlief gleich im ersten Lauf ein kapitaler Fehler. "Ich war richtig nervös", gab Hüfner zu, "aber ich habe mich berappelt." Und in diesem Zusammenhang fiel noch etwas nicht Alltägliches vor. Am Ende des ersten Laufs lag - und das grenzt im Rodelsport an ein mittelgroßes Wunder - keine Deutsche vorne, sondern Nina Reithmayer aus Österreich. Die konnte diese Führung zwar nicht halten, war aber tierisch "stolz, in die deutsche Phalanx" eingebrochen zu sein.

Natalie Geisenberger schaffte es nicht mehr an ihr vorbei, was aus ihrer Sicht nicht tragisch war - sie freute sich nach der Siegerehrung über Bronze und "einen der schönsten Tage meines Lebens". Und Tatjana Hüfner war sowieso überglücklich. "Ich bin Olympiasiegerin", gluckste sie, "das ist Wahnsinn." Den größten Wunsch allerdings kann sie sich nur selbst erfüllen. "Ich hoffe", sagte sie, "dass ich dadurch kein anderer Mensch werde. Ich will so bleiben, wie ich bin." Das sollte einer angehenden psychologischen Beraterin doch wohl gelingen.


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