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Höher, waghalsiger und eleganter als Shaun White springt keiner - dafür gibt es Gold und Respekt  

Vancouver - Vermutlich haben sie diese Mühen ganz bewusst vor das Erlebnis gestellt. Ganz nach dem Motto: Wer etwas Außergewöhnliches erleben will, der muss sich es auch verdienen. Den Blick auf die olympische Halfpipe jedenfalls gab es nicht einfach so.

 

Es sind in etwa so viele Stufen wie hinauf auf den Stuttgarter Fernsehturm - gefühlt zumindest. Aber dann, wenn man den Sitzplatz erst einmal erreicht hat, bekommt man auch wirklich was Besonderes zu sehen. Nicht nur gefühlt - sondern sicht- und erlebbar. Der Titel des Programms: Die große Shaun-Show.

Es war ja viel geredet worden im Vorfeld dieses Wettbewerbs. Darüber, ob es denn nun möglich sein würde, den rothaarigenm Herrscher der Halfpipe, die "Flying Tomato", vom Thron zu stoßen. Ob nicht nach so vielen Jahren mal ein anderer die Maßstäbe setzen könnte. Und ob diese ganze Sportart so einen effektvollen Wendepunkt gerade bei Olympia nicht dringend nötig hat. Weil es sonst irgendwie langweilig werden könnte. Wenn immer nur einer gewinnt - nämlich Shaun White.

Nun also kam dieser Wettkampf - und um kurz vor halb neun Ortszeit am Mittwochabend war am Cypress Mountain klar, dass sich nichts, aber auch rein gar nichts geändert hat.

Im Grunde war es schon viel früher zur Gewissheit geworden. Schon im ersten von zwei Finaldurchgängen war Shaun White der Spektakulärste, der mit den höchsten Sprüngen, der mit den meisten Punkten. Sprich: Er war der Beste. Und als er wenig später wieder oben stand und sich auf seinen zweiten Run vorbereitete, war bereits klar, was eigentlich immer klar ist: Shaun White ist nicht zu schlagen. Aber er ließ sich dann nicht lumpen.

Gold hatte er in der Tasche, die staunenden Blicke holte er sich dann gerne auch noch ein zweites Mal ab. Er zeigte sein riesiges Repertoire, bekam dafür 48,4 von 50 möglichen Punkten - und war jetzt richtig in seinem Element. Unten angekommen, warf er erst sein Snowboard in die Luft, nahm dann sein Tuch aus dem Gesicht, faltete es, bändigte damit seine rote Mähne und sagte schließlich markige Sätze wie diesen hier: "Ich bin nicht nach Vancouver gekommen, um die großen Gewehre im Schrank zu lassen."

Er hat sie ausgepackt, und den anderen blieb wieder einmal nur die Rolle der Geschlagenen. Auch Juri Podladtschikow gehörte dazu. Sogar mehr denn je. Der 20-jährige Schweizer war derjenige, der den Meister am offensivsten herausgefordert hatte. Verbal zumindest. Nun aber stand er am Fuße der Halfpipe in Cypress Mountain und machte ein Gesicht, als hätte ihm jemand die Bindung von seinem Board geschraubt. Podladtschikow, genannt iPod, war Vierter geworden - und konnte seine Lage ganz gut einschätzen: "Jetzt bin ich der Dubbel", sagte er.

Er konstruierte dann noch einige Sätze mit den Worten wenn, hätte und wäre. Doch selbst wenn er absolut am Limit gesprungen wäre - Shaun White hätte wohl noch einen draufgesetzt. Das wusste auch Juri Podladtschikow. "Die Punktzahl für Shaun war vielleicht etwas zu hoch", sagte er, "aber er kann es auch noch besser." Und so bleibt in der Hackordnung alles beim Alten. Es gibt Shaun White, gerade einmal 23 Jahre alt, aber nun schon zweimal Olympiasieger. Und es gibt die anderen.

Dass Whites Freude über den erwarteten Erfolg ein wenig gekünstelt rüberkam - geschenkt. Dass die Stimmung wegen des erwarteten Ergebnisses ein wenig lau war - irgendwie auch egal. Die Shaun-Show stört das nicht.

Er wird weiter trainieren in seiner eigenen Halfpipe in den Rocky Mountains, er wird weiter die Szene dominieren, er wird weiter Großverdiener sein - vor manches Erlebnis bekommt aber auch Shaun White so einige Mühen gestellt. Was er denn noch für Ziele habe, wurde er nach seinem zweiten Olympiasieg gefragt. Er überlegte kurz wofür es sich lohnt, sich richtig anzustrengen. Dann sagte er: "Es gibt noch viele Gitarrengriffe zu lernen."

Die anderen sollten vielleicht lieber Klavier spielen. 


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