Seit 1984 übersetzt Jürgen Stähle für ARD und ZDF bei Olympischen Spielen. Foto: Factum/Weise

Gleichzeitig zuhören und sprechen – Jürgen Stähle beherrscht dies in mehreren Sprachen. Seit 1984 übersetzt der Stuttgarter Grimme-Preisträger bei Olympischen Spielen. Auch in Rio ist der 67-Jährige für ARD und ZDF dabei.

Stuttgart - Ein guter Dolmetscher ist dem Redner immer einen Satz voraus - ein alter Scherz der Branche. Auch wenn dem gebürtigen Westfalen und Wahl-Stuttgarter Jürgen Stähle dies selten gelingt - abhängen lässt er sich nie. Seinen Namen kennen nur wenige, seine warme und sympathische Stimme aber Millionen. Zuletzt hat ihn die Fernsehnation bei der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich gehört.

Dolmetschen ist für ihn auch interpretieren.Viel Zeit dafür bleibt nie. Der 67-Jährige beherrscht die hohe Kunst der Simultanübersetzung wie wohl kein anderer in Deutschland. Ob im Sport oder in der Politik – Stähle gelingt es, sich in den Sprachgestus und Charakter eines Gastes hineinzuversetzen. Er schlüpft mit der Kunst der Sprache quasi in die Haut des Redners. Dafür hat er als erster Übersetzer den Grimme-Preis in Gold erhalten.

Am Dienstagabend fliegt er nach Rio

Wenn in Rio olympische Goldmedaillen verteilt werden, ist Stähle für Englisch und Französisch dabei. Denn er gehört zum kleinen Kreis der hoch spezialisierten Dienstleister in der internationalen Dolmetscherbranche – es ist das „zweitälteste Gewerbe der Welt“, wie er sagt.

Vor seinem Abflug nach Brasilien berichtet der Feingeist, dem es klassische und zeitgenössische Literatur angetan hat, unserer Zeitung, wie er tagelang Texte mit sportlichen Fachbegriffen gelesen hat, um sich diese einzuprägen. Sein Hang zur Perfektion auch in Stress-Situationen wird von Fernsehmoderatoren gerühmt, von denen etliche längst damit begonnen haben, den Namen des Übersetzers zu nennen. Jürgen Stähle – das ist ein Markenzeichen.

Nicht nur seine Sprachkenntnis überzeugt, sondern ebenso sein Gespür für Finessen und für überraschende Wendungen. Stets will er den Studiogast sehen, damit er ihm von den Lippen lesen kann, wenn Worte mal vernuschelt werden.

In unserem Gespräch lobe ich ihn dafür, wie er mich zuletzt bei der Fußball-EM erstaunt hat, wenn er etwa einen Satz beginnt, ohne ahnen zu können, worauf der Studiogast hinaus will – stets aber endet bei ihm der Satz formvollendet. Grammatik-Abstürze gibt es bei ihm nicht. Manchmal frage ich mich, ob der Sportler selbst so stilsicher gesprochen hat oder ob Stähle die Worte veredelt hat.

Bei den Olympischen Spielen in Sydney hat es ihm am besten gefallen

1984 waren seine ersten Olympischen Spiele in Los Angeles – seitdem fehlte er nie. Als seine schönsten Spiele nennt er Sydney. Viel Zeit, weiß er, wird er in Rio nicht haben, um Sehenswürdigkeiten zu besuchen. Denn er arbeitet für ARD und ZDF, ist als doppelt gefordert.

Als Star seiner Branche sind die Sender bei ihm sicher, dass er den richtigen Ton trifft, auch wenn er kaum Zeit hat, darüber nachzudenken. Mitunter schützt der Dolmetscher einen Promi vor sich selbst. Als Hollywood-Star Mickey Rourke einst in „Wetten, dass . . . ?“ für seinen Film warb, wollte Thomas Gottschalk wissen, was er an langweiligen Drehtagen denn so tue.

„I sit in my mobile home and jerk off“, antwortete Rourke. Das wohl spaßig gemeinte Bekenntnis zur Onanie milderte Stähle ab: „Dann gehe ich in mein Wohnmobil und entspanne mich.“

Entspannung wird unser Simultanmann in Rio wenig finden. Aber wir, seine Fans, freuen uns auf Stähles Übersetzung, auf seine weiche, ja vertraute Stimme.