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Magdalena Neuner ist ein Kandidat für eine Olympia-Medaille, doch wie ist sie eigentlich gestrickt?

Whistler. Hätten Sie gedacht, dass im Kampf um Goldmedaillen bei Olympischen Spielen textiles Werken und Musizieren entscheidende Faktoren sein können? Wohl kaum. Ist aber so. Sagt zumindest Uwe Müßiggang, der Bundestrainer der deutschen Biathletinnen. Er muss es wissen. Schließlich hat er in seiner Funktion einerseits zwar ein schönes Leben, weil seine Mannschaft die wohl beste der Welt ist. Andererseits wird der Druck bei Großereignissen dadurch nicht gerade kleiner. Und da kann es nicht schaden, findet der Coach, wenn man weiß, dass der Sport nicht alles ist im Leben. "Die Lena", sagt Müßiggang und meint damit Magdalena Neuner (23), "hat die Grundeinstellung, dass es auch noch andere Dinge gibt als Biathlon." Dann macht er eine klitzekleine Pause - und fügt hinzu: "Sie strickt und spielt Harfe."

Das hört sich nun recht witzig an, doch Müßiggang ist tatsächlich froh, dass Neuner, die bei der WM 2007 in Antholz quasi über Nacht zum Star wurde, so, sagen wir mal, gestrickt ist. Sonst müsste er sich Sorgen machen. Denn die Voraussetzungen, dass sie völlig unbelastet in den olympischen Biathlon-Sprint an diesem Samstag (22 Uhr/ARD) geht, sind nicht gut. Denn die Erwartungshaltung, die sie in den vergangenen Jahren durch insgesamt sechs WM-Titel geschürt hat, ist enorm. Und da ist das Problem, dass die Laufstrecke im Whistler Olympic Park nicht wirklich nach dem Geschmack der Bayerin ist. Sie ist nicht besonders schwierig zu bewältigen, die Entscheidung fällt wohl mehr denn je am Schießstand. Und Neuner gilt nicht gerade als die weibliche Ausgabe von Lucky Luke.

Gute Gründe also, weshalb sich Magdalena Neuner verrückt machen könnte - wenn sie nicht trotz ihres jungen Alters eine gefestigte Sportlerin wäre. Selbst wenn es nicht laufen sollte, beteuert sie, "geht für mich die Welt nicht unter".

Auch wenn es putzig klingt, hinter der Sache mit dem Stricken und Musizieren steckt mehr als nur ein wenig Ablenkung. Weil es nicht die einzigen Dinge sind, mit denen sich Magdalena Neuner auseinandersetzt. Das Mädchen aus Wallgau bei Garmisch-Partenkirchen hat klare Vorstellungen. Die hatte sie schon immer. Sonst hätte sie es nicht schon als 18-Jährige in den Biathlon-Weltcup geschafft, sonst hätte sie nicht selbst den Rummel um ihre Person nach den WM-Triumphen gestoppt ("Ich kam mir vor wie ein Fisch im Aquarium"), und sonst würde sie nun auch nicht sagen, dass sie sich schon mit dem Ende der Karriere befasse. Obwohl die Olympischen Spiele 2018 womöglich in ihrer Heimat stattfinden, kann sie sich einen Start in acht Jahren nicht wirklich vorstellen. Denn für diese Zeit hat sie andere Pläne. "Ich möchte später einmal ein Leben führen, das nichts mit Biathlon zu tun hat", sagt sie - und denkt an einen Beruf mit sozialem Hintergrund.

Auch von ihrem ersten Olympiastart hat die Gesamtweltcup-Siegerin von 2008 genaue Vorstellungen: "Ganz klar, ich will Olympiasiegerin werden." Und dass dies womöglich nur über eine starke Schießleistung zu machen ist, kann sie längst nicht mehr schocken: "Oft werde ich als schlechte Schützin dargestellt, dabei stimmt das gar nicht. Meine Technik ist nahezu perfekt." Andererseits weiß sie aber auch: "Ich habe viele Schieß-Traumen gehabt." Und die seien nicht einfach aus dem Kopf zu bekommen - weshalb Magdalena Neuner auch in diesem Punkt auf eine ganz neue Masche setzte. Seit dem vergangenen Sommer arbeitet sie mit einem Schießtrainer, einem Mentalcoach und einem Hirnforscher zusammen, der dem gesamten Team per Musiktherapie zu höherer Konzentrationsfähigkeit verhilft. "Vieles", sagt sie, "wurde aufgearbeitet." Früher hatte sie schon bei der Anfahrt an den Schießstand Angst, sich später im Ziel für ihre Fehler rechtfertigen zu müssen. Nun schießt sie einfach - und trifft öfter. An diesem Samstag wird es darauf besonders ankommen. "Ich weiß, dass ein Sieg definitiv drin ist", sagt sie. Und wenn's nicht klappt? Kein Gedanke. So ist Magdalena Neuner schließlich nicht gestrickt.