Das jamaikanische Bobteam von 1988 hat vielen Menschen aus wärmeren Gefilden Lust auf Wintersport gemacht. Drei Beispiele.
Yanqing - Die Männer um Dudley Stokes haben 1988 Pionierarbeit geleistet, als sie in Calgary die Olympia-Premiere eines jamaikanischen Bobteams mit großem Medienrummel inszeniert hatten. Es folgte ein Film über die kuriose Geschichte der Bobfahrer aus der Karibik, der große Beachtung fand und offenkundig zur Nachahmung anregte: Inzwischen scheint es bei sommerlich geprägten Nationen eine sportliche Herausforderung zu sein, ein Bobteam zu Winterspielen zu entsenden.
Axel Brown, geboren im britischen Harrogate, weiß von der Geschichte. Der 29-Jährige, der bis 2014 an einem US-College Football spielte, saß schon im britischen Zweier und Vierer, er hatte als Besatzungsmitglied vor acht Jahren begonnen und setzte sich 2019 an die Lenkseile. Dann erreichte er den Punkt, an dem er was Neues beginnen wollte, weil das Alte langweilig wurde. Brown dachte an seine Mutter, an Dudley Stokes und glaubte, das Rüstzeug zu besitzen, einen Bob für Trinidad & Tobago nach China bringen zu können. „Die Idee, für das Geburtsland meiner Mutter bei Olympia anzutreten, reizte mich“, erzählt er, „ich habe im Corona-Lockdown viel Internet-Recherche betrieben und telefoniert, dann war ich überzeugt, es kann klappen.“ Das war im August 2021.
Ein Anschieber findet sich über Instagram
Axel Brown suchte auf Social Media nach einem Anschieber und fand über Instagram Andre Marcano (35), einen abenteuerlustigen Ex-Leichtathleten aus Trinidad & Tobago, der in New York lebte. Brown fand Sponsoren, um den Etat von 100 000 Euro zu stemmen, die die Idee „romantisch fanden“. Weitere Unterstützer folgten, und bald hatte er ein Team zusammen, das aus ihm als Fahrer, Anschieber Marcano, Ersatzmann Shakeel John und Trainer Tom Harris bestand. Sie beschafften sich gebrauchtes Material, nahmen in Nordamerika an Wettbewerben teil, buchten ihre Zimmer günstig über eine App für Privatunterkünfte und es gelang die Qualifikation sowie der diffizile Transfer ihrer Fracht nach China. Sie starteten im Zweier und landeten auf Platz 28 vor Jamaika (30.). „Die Kreativität, der Mut und die Überzeugung, es zu schaffen, ist ein Beispiel dafür, dass das Talent von Trinidad und Tobago mit der Cleverness von Yorkshire kombiniert wird“, sagte die Britische Hochkommissarin für Trinidad und Tobago, Harriet Cross.
Fahnenträger ohne Wettkampferfahrung
Übrigens: Andre Marcano war der erste Fahnenträger bei Olympia, der noch keinen einzigen Wettkampf bestritten hatte. Und Erfahrung im Eiskanal brachte der Mann auch nicht im Übermaß mit. „Wie jeder, der zum ersten Mal einen Eiskanal runtergefahren ist, fand er das ziemlich heftig und wild, aber er ist ok“, erzählte Brown, „die Jamaikaner haben ‚Cool Runnings’ und Sprintstar Usain Bolt – wir werden unsere eigene Geschichte schreiben.“
Shannon Abeda kennt auch „Cool Runnings“. Der Skifahrer aus Eritrea gelangte deshalb schnell zu der Überzeugung: „Wenn Jamaikaner Bob fahren, können Afrikaner an Alpinrennen teilnehmen“. Der 25-Jährige war schon vor vier Jahren in Pyeongchang auf der Piste. Dass er in Peking zum Riesenslalom und Slalom zurückkehrte, hat allerdings einen traurigen Hintergrund. Ein enger Freund von ihm verstarb unerwartet im Schlaf an einem Aneurysma; eine Arterie platzte, er verblutete innerlich. „Das hat mich aufgerüttelt“, erzählt Abeda, „ich erkannte, wie schnell alles vorbei sein kann und dachte: Die Winterspiele 2018 dürfen nicht mein Schlusspunkt gewesen sein.“
Ein Trauerfall führt zum Rücktritt vom Rücktritt
Denn eigentlich hatte der Eritreär schon vor vier Jahren seine Karriere beendet, weil er bis dahin viel zu oft von Verletzungen vor allem im Knie geplagt worden war. Er fühlte sich als Wrack, doch die Geschichte seines Freundes bewegte ihn zum Comeback. „Ich bin in der besten Form meines Lebens – physisch und mental“, sagte Abeda vor den Spielen, bei denen er im Riesenslalom Platz 39 belegte und an diesem Mittwochmorgen im Slalom startete. Für 2026 in Cortina d’Ampezzo hat der Mann einen Plan: Er möchte an den Lenkseilen des ersten eritreäischen Bobs bei Olympischen Winterspielen sitzen. „Ein Bobteam aus meinem Land, das ist mein Traum.“
Jacqueline Mourao nimmt nicht zum ersten Mal an Olympischen Spielen in Peking teil – 2008 startete sie im Sommer in China, nun ist sie 2022 im Winter am Start. „Es ist wunderbar, Teil der olympischen Geschichte zu sein und mein Land zu repräsentieren“, sagte die 46-Jährige, die im 10-Kilometer-Skilanglauf 82. von 98 Starterinnen war, in der Qualifikation zum Sprint hatte sie Rang 84 bei 91 Konkurrentinnen belegt.
Olympia-Teilnahme in drei Disziplinen
Bei diesen Winterspielen stellte Mourao den Rekord auf: Niemand aus Brasilien kann mehr Olympia-Starts vorweisen. Peking ist die achte Teilnahme, die fünften im Winter (Skilanglauf, Biathlon), dazu kommen drei im Sommer (Mountainbike). Sie überflügelte Robert Scheidt (Segeln), Rodrigo Pessoa (Reiten) und Formiga (Fußball). „Ich fühle mich noch glücklicher als bei den vorherigen Starts“, sagte die Mutter eines Kindes, die in Brasilien und Kanada lebt – für sie ist diese Teilnahme der Hauptgewinn. Nach dem Start mit dem Mountainbike in Tokio 2021 war die Vorbereitung kurz, Corona erschwerte das Pendeln zwischen Belo Horizonte und Calgary für Training und Wettkämpfe, aber die Brasilianerin erreichte ihr Ziel.
„Als Kind wollte ich eine Maschine haben, mit der ich dem Sonnenuntergang hinterherfliegen kann“, erzählte Mourao: „Das habe ich mir mit den Reisen im Sport erfüllt.“ Ein weibliches brasilianisches Bobteam war noch nie bei Olympia am Start, vielleicht 2026 mit der dann 50-jährigen Mourao an den Seilen?