Der Eiskanal in Pyeongchang gilt als Herausforderung. Der Stuttgarter Uwe Deyle hat ihn entworfen.
Pyeongchang - Minus elf Grad, und dieser bitterkalter Wind lässt die Temperatur erscheinen als betrüge sie minus 20 Grad. Aber erstens sind es Olympische Winterspiele in Pyeongchang und zweitens ist dieses Ambiente völlig normal an einem Eiskanal im Februar in knapp 1000 Meter Höhe über dem Meer. Reichlich frostig. Die Stimmung bei den deutschen Rodlerinnen ist alles andere als kühl, sie stehen in den schwarzen Team-Trainingsanzügen draußen vor dem Starthäuschen der olympischen Rodelbahn, die Mützen ordentlich über die Ohren gezogen, und plaudern. Eine italienische Kollegin marschiert im engen Rennrodelanzug vorbei, Helm auf dem Kopf, den Schlitten unter den Arm geklemmt in Richtung Start. Sie wird sich gleich einer Herausforderung stellen. Der Kurve neun.
„Diese Kurve ist hart“, erläutert die deutsche Olympiasiegerin Natalie Geisenberger jedem, der sie danach fragt, „wenn du sie triffst, ist alles in Ordnung. Wenn du sie aber nicht richtig triffst, dann bekommst du am Kurvenausgang links eine Watschn.“ Soll heißen: Dann gibt’s einen heftigen Kontakt mit der Eisrinne, das Ergebnis zeigt sich wenig später als Blaufärbung am Oberschenkel. „Ich kenne nichts Vergleichbares“, sagt die Miesbacherin, und das will was heißen – schließlich ist Natalie Geisenberger seit 2007 im Rodelgeschäft, sie ist seit 2013 sechsmal in Folge Gesamtweltcup-Siegerin, siebenmalige Weltmeisterin und zweimalige Olympiasiegerin.
Schlängeln wie ein Regenwurm
Das Fiese an dieser Kurve neun sind die Folgen eines Fahrfehlers: Wer sie nicht sauber durchfährt, der schlängelt sich wie ein hilfloser Regenwurm in einem Wasserglas durch die folgenden zwei leichten Kurven zehn und elf (Schikane genannt), und weil der Schlitten pendelt und nicht richtig ausgerichtet ist, springt man über eine kleine Schanze hinein in Kurve zwölf. Guten Flug, und vor allem: saubere Landung. „Ein minimaler Fahrfehler führt zu riesigen Auswirkungen“, verdeutlicht die 30 Jahre alte Oberbayerin das Problem, auf das die Athleten achten müssen.
Eine Herausforderung, erfunden in Stuttgart in einem Büro in Giebel. Uwe Deyle heißt der Ingenieur, der sich diese Streckenführung ausgedacht hat. „Mein Anspruch für die Olympiabahn war“, erklärt der 57-Jährige, „das der gewinnen soll, der das beste Fahrgefühl besitzt, der den besten Schlitten hat, die beste Aerodynamik an den Tag legt und die beste Fahrlinie findet – ein Zufallssieger wäre für Olympia nicht würdig.“ Die gesamte Strecke ist gespickt mit Schwierigkeiten, um eine Auslese zu gewährleisten. Und deshalb ist Kurve neun extrem überhöht gebaut, der Kopf ist der tiefste Punkt der Rodler – innerhalb von 0,1 Sekunden muss der Pilot die einzige richtige Lenkbewegung machen. Dass dabei 3 g, also das Dreifache des Körpergewichts, auf ihm lasten, macht die Geschichte nicht einfacher. Nun ist Natalie Geisenberger nicht unbedingt eine Freundin dieser hinterlistigen Kurve neun, doch sie lässt mildernde Umstände gelten: „Man braucht immer wieder neue Elemente, sonst ist irgendwann jede Bahn gleich.“
2012 gab es den Zuschlag
Uwe Deyle mag sich Ähnliches gedacht haben, als er vor seinem Laptop saß, nachdem er 2012 den Zuschlag bekommen hatte, den olympischen Eiskanal zu entwerfen. Der Stuttgarter ist kein Neuling, wenn es um den Bau von Bob- und Rodelbahnen geht. Sein Vater Werner entwarf 1968 den ersten künstlichen Eiskanal der Welt am Königssee, 1966 hatte er zuvor den Eisschnelllaufring in Inzell gebaut. Sohn Uwe folgte dem Vorbild, er ist für die Bahnen in Winterberg, Oberhof und Innsbruck verantwortlich, die Olympiabahnen in Sarajevo, Salt Lake City und Turin entsprangen ebenfalls seinen Gedanken. Auch Biathlonzentren, Reitanlagen, Fechtstützpunkte, Schwimmstadien und Sportarenen hat der Stuttgarter entworfen. „Nur der Alpinbereich ist ein weißer Fleck“, sagt er.