„Wir haben lange darauf hingearbeitet, dass das funktioniert“, sagt Trainerin Ulla Koch über den Erfolg der Turnerinnen. Foto: dpa

Das Frauen-Team steht erstmals seit der Wiedervereinigung wieder im Finale. „Hammergeil“ nennt Turnerin Kim Bui die Gruppe. Dabei war es lange Zeit mit dem Zusammenhalt nicht weit her. Was das aktuelle Team zusammengeschweißt hat.

Rio de Janeiro - Seit elf Jahren arbeitet Ulla Koch als Bundestrainerin der Kunstturnerinnen. Aber dieses Wir-Gefühl, das die aktuelle Riege derzeit antreibt, das hat die 61-Jährige lange vermisst. Früher, sagt die Bergisch-Gladbacherin, hätten die Heimtrainer der Auswahlathletinnen oft nur ihre persönlichen Interessen verfolgt. „Und wenn sich die Erwachsenen nicht verstehen, hat das Team keinen Erfolg.“

Heute, da sie sich auf ihre Kollegen „100-prozentig verlassen“ könne, ist das anders: Bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro stehen die Gerätekünstlerinnen des Deutschen Turner-Bundes (DTB) zum ersten Mal in einem olympischen Teamfinale, und da dieses nur die stärksten acht Mannschaften der Qualifikation erreichen, haben sie das beste Ergebnis seit der Wiedervereinigung bereits unter Dach und Fach gebracht.

Im Vorkampf am Sonntag belegten sie nach einem Durchgang mit lediglich einer verturnten Übung sogar den sechsten Platz; diesen zu halten, wenn nicht gar zu toppen, ist in der heutigen Entscheidung das erklärte Ziel. „Wir haben Jahre darauf hingearbeitet, dass das funktioniert“, sagt Koch. Noch im Oktober, bei den Weltmeisterschaften in Glasgow, schien man von einem solchen Resultat allerdings weit entfernt. Damals verpasste die DTB-Formation im ersten Anlauf die Olympiaqualifikation.

Turnerinnen sprachen sich untereinander und mit Trainern aus

Das, was dort das Problem war, wird heute als Teil des Erfolgsrezepts benannt. Alle fünf Teilnehmerinnen von Rio haben bereits auf internationaler Ebene Einzelmedaillen gewonnen; selbst Tabea Alt, das Nesthäkchen der Truppe, die 2014 bei den Juniorinnen-Europameisterschaften Bronze am Schwebebalken holte. Das mache gierig auf weitere Erfolge, betont Ulla Koch. In Schottland hatte das jedoch dazu geführt, dass jede mehr auf sich und ihre individuellen Finalchancen schaute als auf das Gesamtergebnis. Seitdem wurde viel am Teamgefüge gearbeitet. Die Turnerinnen sprachen sich untereinander und mit den Trainern aus. Zudem schweißten die zahlreichen Trainingslager in Frankfurt unter immer weiter verbesserten Bedingungen die Sportlerinnen zusammen. Noch kurz vor dem Abflug wurden gemeinsame Fotoshootings veranstaltet, ein Konzert besucht und mit einem Travestiekünstler das Make-up für die Auftritte auf der Weltbühne festgelegt. Die Stuttgarterin Kim Bui, die schon vor vier Jahren in London mit dabei war, betont zudem, dass die Mannschaft zwar jünger, aber auch reifer sei als damals: „Wir sind eine spaßige Truppe, die trotzdem den Fokus auf das Wesentliche nicht verliert.“

Hier geht’s zu unserem Online-Olympia-Angebot

Die gebürtige Heidelbergerin Elisabeth Seitz, die in Rio ebenfalls ihre zweiten Spiele erlebt, empfindet es zudem als Vorteil, dass die Sportlerinnen nur aus zwei verschiedenen Stützpunkten, Stuttgart und Chemnitz, kommen und so auch im Alltag teilweise miteinander trainieren. Die 22-Jährige selbst war im vergangenen Jahr von Mannheim ins Schwäbische nach Stuttgart gewechselt, um neue Motivation zu entwickeln. „Ich bin damals aus London gekommen und dachte mir, dass ich so etwas noch mal erleben will.“ Dass der Weg nun sogar ins Teamfinale führte und Seitz wie auch die Chemnitzerin Sophie Scheder zudem sowohl in den Entscheidungen im Mehrkampf als auch am Stufenbarren dabei sein werden: Das sei „der Traum im olympischen Traum“.

Im Vorkampf wurde kräftig gejubelt

Das „hammergeile Team“, wie Bui sagt, will nun auch in der Entscheidung noch mal überraschen. Es gebe noch ein paar kleine Reserven, aber man werde sich laut Seitz auch bemühen, „dieses Zwischending zwischen Gelassenheit und Anspannung“ wiederzufinden. Eines wird allerdings anders sein: Im Vorkampf gingen parallel zu den Deutschen die Brasilianerinnen an die Geräte, und die Anfeuerungsrufe der zahlreichen einheimischen Fans machten sich die Gäste zunutze. Diesmal turnen andere Teams parallel. Das neue Wir-Gefühl allerdings wird bleiben.