Bei der Eröffnungsfeier marschieren fesche Hostessen in bayrischer Landestracht ins Münchner Olympiastadion. Foto: imago/Sven Simon

Es sollten heitere, friedliche Spiele werden – ein Gegensatz zur Monumentalveranstaltung der Nazis 1936. Doch dann töten Attentäter zwölf Menschen. Diesen Sommer gedenkt München Freud und Leid von Olympia 1972.

„The games are awarded to – Munich“, verkündet IOC-Präsident Avery Brundage am 26. April 1966 im Hotel Excelsior in Rom. Zur Wahl standen noch Detroit, Madrid und Montreal.

1. Architektur ohne Autos

Ausschlaggebend für die Vergabe an München war das Konzept der kurzen Wege. Nur vier Kilometer vom Marienplatz entfernt plant man das Herzstück der Spiele. Das Oberwiesenfeld war erst Exerzierplatz der königlich bayerischen Kavallerie, später Militärflugplatz, nun baut man auf die freie Fläche das Olympiastadion und das olympische Dorf. Das halbe Jahrhundert auf dem Buckel sieht man dem „Olydorf“ im Stadtteil Milbertshofen nicht an. Die Wohnblöcke für die Männer – die Sportler sind nach Geschlechtern getrennt untergebracht – umarmt inzwischen viel Grün. Die Linden sind groß geworden. Dazwischen stehen einige Exoten: 50 Teilnehmerländer haben einen Baum mitgebracht und gepflanzt. Die Wohnungen mit den gestaffelten Balkonen sind heiß begehrt. Kein Wunder, war doch die Architektur ihrer Zeit weit voraus: Das Gelände ist autofrei, Straßenverkehr und Parkplätze sind unter die Erde verlegt. Eine Oase der Stille, mitten in der Stadt. Die kleinen Häuschen, in denen 1972 die Sportlerinnen in einem Bungalowdorf wohnen, werden nun an Studierende vermietet. Auch diese Tiny Houses mit ihren Dachterrassen sind beliebt.

Die Spiele prägen München und tragen einiges zur Infrastruktur bei. Zum olympischen Erbe gehören die Fußgängerzone, S- und U-Bahn-Linien, Sportstätten, Wohnraum, der Altstadtring-Tunnel, der Mittlere Ring, die Donnersbergerbrücke und das renovierte Siegestor. Insgesamt werden 1,972 Milliarden Mark (985 Millionen Euro) investiert.

2. Drahtseilakt und Dackel

Die Nationalfarben Rot, Schwarz und Gold sind tabu. Stattdessen wählt Otl Aicher, der Gestaltungsbeauftragte von München 72, ausschließlich Töne, die in der psychologischen Farbenlehre unverdächtig oder sogar positiv besetzt sind. Himmelblau, Wiesengrün, Schneeweiß, Sonnengelb. Vom Programmheft über die Olympia-Fahnen und die Kleidung der Mitarbeiter bis hin zu Dackel Waldi, dem niedlichen, gestreiften Maskottchen, ist alles fröhlich-frisch durchdesignt.

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Auf Wirtschaftswunder und Fräuleinwunder folgt das Heiterkeitswunder: 36 Jahre nach der Monumentalveranstaltung der Nazis in Berlin möchte sich München froh und friedlich präsentieren. Den Aufbruch in die neue Zeit betont auch die leichte Architektur. Die gewagte Zeltdachkonstruktion des Stuttgarter Architekturbüros Behnisch & Partner auf dem Olympiagelände wirkt heute noch offen und hochmodern. Man nennt das Stadion auch „die kühle Schönheit“, denn drinnen zieht es wie Hechtsuppe.

„Die Sportanlagen sind in die Tiefe gebaut, um sie nicht so voluminös-germanisch aussehen zu lassen“, sagt Gästeführerin Gudrun Mountain. Die 84-Jährige war als Hostess bei den Spielen 1972 dabei, das hellblaue Dirndl hat sie heute noch im Schrank. Zum 50. Jubiläum zeigt die Neue Sammlung der Pinakothek der Moderne ab dem 8. Juli eine Ausstellung zum Design der Spiele. Unter den Exponaten ist auch ein Modell des Olympiastadions, das Behnisch & Partner mithilfe von Holzspießen und eines Damenstrumpfs bastelten. Ob man die Konstruktion technisch umsetzen kann, ist lange umstritten – ein echter Drahtseilakt. Bereits zu sehen ist die Fotoschau „Olympia in Bildern“ in der Bayerischen Staatsbibliothek.

3. Tod und Trauer

Im Jahr 1972 gibt es auf dem Gelände der Olympischen Spiele weder uniformierte Polizisten noch sichtbare Waffen. Heiterkeit geht vor Sicherheit. Die Einlasskontrollen sind lasch, böse Zungen erzählen: Wer einen Trainingsanzug trägt, darf rein. So gelangen in der Nacht zum 5. September 1972 acht Männer auf das Gelände, dringen in das Quartier der israelischen Mannschaft ein und töten zwei Männer: Ringertrainer Mosche Weinberg und Gewichtheber Josef Romano.

Neun Geiseln halten sie gefangen. In den folgenden Stunden staunt die Welt wieder über Deutschland – im negativen Sinne. Alles andere als gut organisiert offenbaren sich pure Ratlosigkeit und Inkompetenz. Nach vielen Verhandlungen bringt man Geiselnehmer und Geiseln per Hubschrauber zum Fliegerhorst Fürstenfeldbruck. Der Versuch, die Geiseln dort zu befreien, geht entsetzlich schief. Alle neun Geiseln, ein deutscher Polizist und fünf Terroristen sterben. „Kaputt geschossen war die Absicht, der Welt ein Fest des Völkerfriedens vorzuführen“, notiert der „Spiegel“. „Die natürliche, viel gelobte Heiterkeit der ersten Tage war dahin“, schrieb der ZDF-Reporter Harry Valérien. „Vergessen freilich war sie nicht.“

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Am Quartier der Israelis in der Connollystraße 31 erinnert heute eine Steintafel an die Opfer. Im Olympiapark gibt es eine Gedenkstätte mit einer Videoinstallation. Zum 50. Jahrestag hat das Jüdische Museum München gemeinsam mit dem NS-Dokumentationszentrum München und dem Generalkonsulat des Staates Israel zudem ein Erinnerungsprojekt konzipiert. „Zwölf Monate – Zwölf Namen“ findet dezentral an verschiedenen Orten statt. „Wir wollen die Menschen hinter den Opfern sichtbar machen“, sagt Bernhard Purin, der Direktor des Jüdischen Museums München.

4. Andenken und Anekdoten

Eine Ausstellung zu konzipieren, ohne genau zu wissen, was man eigentlich ausstellt – diese schwierige Aufgabe haben Pia Singer und das Team des Münchner Stadtmuseums. Die Kuratorin sucht derzeit Zeitzeugen, die ihre persönliche Geschichte von den Olympischen Spielen in München 1972 erzählen und private Andenken zur Verfügung stellen. Die Resonanz ist groß. Menschen aus ganz Deutschland und sogar aus dem Ausland haben sich bereits gemeldet und ihre Erinnerungsstücke vorbeigebracht. Viele halten die Dinge in liebevollen Ehren: „Die Sachen sind noch gut in Schuss“, erzählt Pia Singer. „Zu dieser Zeit waren die Leute nicht auf Reisen so wie wir heute. Es war etwas ganz Besonderes, Menschen aus anderen Ländern kennenzulernen“, sagt die Kuratorin. Fahnen, Kuscheltiere, Pins oder Kleidung hat das Stadtmuseum bereits erhalten.

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Vom 29. Juli an werden die Stücke in der Ausstellung „Mode, Menschen und Musik“ im Stadtmuseum zu sehen sein. Die gesammelten Anekdoten und Andenken erweitern die Ausstellung „München 72. Mode, Menschen und Musik“.

5. Hoch hinaus

Streng genommen heißt der Olympiaturm eigentlich schlicht Fernsehturm. Denn das mit einer Höhe von 291,28 Metern markanteste Wahrzeichen von München (dreimal höher als die Türme der Frauenkirche) wird schon 1964 geplant, um die Sendeleistung der Radio- und Fernsehprogramme zu verbessern. Baubeginn ist 1965. Ein Jahr später erhält München den Zuschlag für Olympia 1972, der Turm wird in die neue Planung miteinbezogen. Von oben hat man einen großartigen Rundumblick auf die Stadt bis hin zu den Alpen.

Info: Unterkunft, Essen und Trinken

Sportliche Gäste können im The Charles Hotel eine „Active Suite“ buchen. Darin warten Rudermaschinen sowie weitere Sportgeräte. DZ/F ab 400 Euro, www.roccofortehotels.com.

Das Hilton Munich Park war eigentlich als Apartmentanlage geplant. Um noch mehr Betten für Olympiabesucher zur Verfügung zu haben, machte man 1972 kurzerhand ein Hotel daraus. Zur Feier des olympischen Jubiläums sind Menüs anno 1972 geplant. DZ/F ab 171 Euro, www.hiltonhotels.de.

Im Restaurant 181 genießt man ambitionierte Cross-over-Küche in einer Höhe von 181 Metern im Olympiaturm. Dank einer Kufenkonstruktion dreht sich der äußere Ring des Lokals mitsamt den Gästen in 53 Minuten einmal um die eigene Achse, www.restaurant181.com.

München 72 heißt ein kultiges Retro-Lokal im Glockenbachviertel, das vom Sitzmöbel bis zum Salzstreuer komplett an die Olympischen Spiele 1972 erinnert. Wirt Thomas Zufall hat die Siebziger-Jahre-Ausstattung bei Ebay zusammenersteigert. Die Küche ist bodenständig – mit Cordon bleu oder Schinkennudeln, www.muenchen72.de.

Aktivitäten

Das Jüdische Museum München gedenkt in der Ausstellung „Zwölf Monate, Zwölf Namen“ des Olympia-Attentats – jeden Monat steht ein Opfer im Mittelpunkt, geöffnet Di.–So. 10–18 Uhr, Eintritt 6 Euro, www.juedisches-museum-muenchen.de .

Die Führungen durch das olympische Dorf finden immer samstags ab 15 Uhr statt, dauern 2 Stunden und kosten 17 Euro pro Person. Nächste Termine: 11. Juni, 6. August, 13. August, 20. August. Buchung und Infos unter: https://muenchen1972-2022.de.

Die Ausstellung „Olympia 72 in Bildern“ in der Bayerischen Staatsbibliothek läuft noch bis 4. September 2022. Geöffnet So.–Fr. 10–18 Uhr, Eintritt frei, www.bsb-ausstellungen.de.

Das Stadtmuseum zeigt die Ausstellung „Mode, Menschen und Musik“ vom 29. Juli bis zum 8. Januar 2023, geöffnet Di.–So. 10–18 Uhr, Eintritt 7 Euro, www.muenchner-stadtmuseum.de.

„Die Olympiastadt München. Rückblick und Ausblick“ heißt eine Schau in der Pinakothek der Moderne, die am 7. Juli eröffnet wird und bis 8. Januar 2023 läuft. Geöffnet täglich außer Mo. 10–18 Uhr, Do. 10–20 Uhr, Eintritt 10 Euro, www.pinakothek-der-moderne.de.

Bei den European Championships vom 11. bis zum 21. August werden neun Europameisterschaften ausgetragen – in den Disziplinen Beachvolleyball, Kanu-Rennsport, Klettern, Leichtathletik, Radsport, Rudern, Tischtennis, Triathlon und Turnen. Tickets und Infos unter www.munich2022.com.

Begleitet wird das Sportfest vom Festival „The Roofs“ mit einem Mix aus Musik, Kultur, Kunst und Food. Eintritt frei, www.munich2022.com/de/festival.Der Olympiaturm ist täglich von 10 bis 23 Uhr geöffnet, Eintritt 11 Euro, www.olympiapark.de.

Weitere Infos

www.muenchen1972-2022.de, www.einfach-muenchen.de/72.