Routine findet Oliver Hübner nie bei seiner Arbeit als Familienhelfer. Foto: Jesenik

Wenn ein Jugendlicher gegenüber seiner Mutter handgreiflich wird, ist er ein Fall für Oliver Hübner. Der Mann, der idyllisch auf dem Hof in Kleinhohenheim wohnt, unterstützt in seiner Freizeit Familien, die Probleme haben.

Hohenheim - Zwischendurch blickt er immer wieder zur Seite, um sich zu erinnern. Er macht eine kurze Pause und spricht dann weiter. Die Sonne scheint ihm schräg ins Gesicht. Ab und an fallen Blütenreste von den Bäumen. Oliver Hübner ist leicht gebräunt von der Arbeit in der Natur. Er ist Landwirtschaftsmeister an der Uni Hohenheim.

Eltern wissen nicht mehr weiter

Doch Hübner arbeitet nicht nur im Freien. Manchmal sitzt er auch stundenlang im Nebenraum eines fremden Zuhauses und wartet, bis Familien eine Lösung gefunden haben. Oliver Hübner ist Koordinator für einen Familienrat. Diesen können Familien, die Hilfe brauchen, beim Jugendamt beantragen. Da gibt es beispielsweise eine Familie, in der der jugendliche Sohn gewalttätig gegen seine Mutter wird. Eine andere Mutter kann und darf ihr Kind nicht alleine erziehen. Es muss beratschlagt werden, wer hilft, damit es dennoch in der Familie bleiben kann. Andere Jugendliche weigern sich, zur Schule zu gehen oder haben Probleme mit Alkohol und Drogen.

„Das sind alles Situationen, wo die Eltern aus eigener Kraft nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll“, sagt Hübner. Es sind Fälle für ihn – und einen Familienrat. Der Familienrat besteht aus dem Familien- oder Freundeskreis. Und der Koordinator hilft bei der Organisation und dabei, Probleme offenzulegen, er leistet also Hilfe zur Selbsthilfe.

„Wir sollen im Grunde blöd sein“, beschreibt Hübner seine Tätigkeit. Das Wichtigste sei, der Familie neutral zur Seite zu stehen, ohne dabei eigene Ideen einzubringen – als Koordinator solle er so wenig wie möglich selbst tun. Das Ziel sei es, dass die Familienmitglieder selbst eine Lösung erarbeiten. Deshalb dürften Freiwillige, die beim Jugendamt Stuttgart als Koordinatoren tätig sind, auch keine Pädagogen oder Therapeuten sein. Denn diese seien dazu ausgebildet, die Menschen zu leiten. „Ideen zurückzuhalten, fällt Menschen mit anderen Berufen leichter“, sagt Hübner.

Angenehme Gesellschaft

Er sitzt mit kariertem Hemd und Jeans auf einem Stuhl im Garten. Der Bauernhof in Kleinhohenheim liegt recht abgeschieden, von Feldern umgeben, mitten im Grünen. Dort lebt Oliver Hübner zusammen mit seiner Familie, seine beiden Jungs sind 19 und 22 Jahre alt. Er wirkt besonnen, unauffällig, aber auch wie jemand, in dessen Gesellschaft man sich wohlfühlt.

Dass er sich für andere engagiert, das hat während der Zeit seines Zivildienstes angefangen. Den absolvierte Hübner in einer Behinderteneinrichtung. „Ich war immer am Sozialen orientiert.“ Beruflich musste er sich später zwischen seinen Leidenschaften entscheiden: entweder Soziales oder Landwirtschaft. Die Natur gewann. Das Soziale verschwand trotzdem nie ganz aus seinem Leben. „Das Interesse ruhte zwar, war dann aber auf Abruf immer noch bereit.“

Vom Projekt Familienrat hat er per Mail erfahren. Eine der Frauen des Chors, in dem er gesungen hat, schickte eine Info an alle Teilnehmer. „Ich habe das gelesen und sofort gewusst: Da will ich mich drum kümmern“, sagt er. Nach einem Motivationsschreiben ging es los. An zwei Wochenenden wurden Hübner und andere Teilnehmer geschult. In Kleingruppen wurden Situationen nachgespielt, um zu üben, wie man in den Familien richtig reagiert. Die Teilnehmer konnten sich gegenseitig kritisieren oder loben. „Das tragende Fundament war Information mit ganz viel Übung“, sagt er. Sechs Wochen nach dem letzten Training bekam Hübner seinen ersten Auftrag. „Man wird ins kalte Wasser geworfen.“ Inzwischen hat Hübner einige Erfahrung gesammelt, doch Routine kehrt nie ein. Er lernt die verschiedensten Familienverhältnisse und Situationen kennen.

Die Hilfe anzunehmen, ist nicht leicht

Vielen Familien fällt es schwer, sich einzugestehen, dass sie Hilfe brauchen. Dass bei einem Familienrat oftmals die Kinder mit den besten Ideen um die Ecke kommen, ist für Hübner immer wieder überraschend. „Das schönste Gefühl ist es, am Ende in den Raum gebeten zu werden und eine freudige und lockere Atmosphäre anzutreffen“, sagt er. Denn während der eigentlichen Lösungsfindung ist der Koordinator im Nebenraum. „Mich motiviert die Idee, dass die Familie genug Intelligenz für eigene Ideen hat“, sagt Hübner. Am Ende des Prozesses halten alle schriftlich fest, was sich in Zukunft verändern soll. Auch wenn die Unterschrift nicht bindend ist, dient sie als eine Art Ritual. Sie soll symbolisieren, dass jeder Teilnehmer mit der Lösung einverstanden ist.

Manche Familien beschließen, dass der Familienrat nicht das Richtige für sie ist und brechen das Projekt ab. Doch allein die Tatsache, dass sich die Familie mal zusammengesetzt und über Probleme geredet hat, kann schon ein wichtiger Anstoß zur Veränderung sein.

Nähere Informationen zum Thema Familienrat gibt es im Internet auf der Seite unter www.stuttgart.de/familienrat.