Daimler-Chef Ola Källenius drückt beim Wandel zur Elektromobilität aufs Tempo. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir findet das gut – und bietet der Industrie für die Grünen im Bund einen Pakt an.
Stuttgart - Daimler-Chef Ola Källenius und der Grünen-Politiker Cem Özdemir stimmen beim Vorrang für die Elektromobilität und der Notwendigkeit eines steigenden CO2-Preises überein. Nur beim Tempolimit sind sie im Doppel-Interview uneins – doch die Technik könnte den Konflikt entschärfen.
Herr Källenius, Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser hat sich neulich sehr positiv über die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, geäußert, weil sie eine sozial-ökologische Marktwirtschaft anstrebe. Jetzt treffen wir Sie, drei Monate vor der Bundestagswahl, mit Cem Özdemir von den Grünen. Stimmen Sie in das Lob für die Grünen ein?
Källenius: Als Schwede schaue ich die Bundestagswahl mit Spannung an, aber bin als Wähler nicht beteiligt. Für uns als Unternehmen ist es wichtig, dass die Politik eine große Ambition bei ökologischen Themen mit einer starken Wirtschaftspolitik zusammenbringt.
Und diese Kombination sehen Sie bei den Grünen?
Källenius: Das möchte ich nicht vor der Bundestagswahl kommentieren. Hier in Baden-Württemberg jedenfalls arbeiten wir seit vielen Jahren extrem konstruktiv mit einer grün-schwarzen Landesregierung zusammen und haben da gemeinsam viel erreicht, etwa bei der Luftqualität.
Herr Özdemir, das Verhältnis der Grünen zur Industrie war nicht immer ungetrübt.
Özdemir: Ich habe zu den Chefs aller großen Autohersteller einen engen und ehrlichen Draht. Als Stuttgarter Bundestagsabgeordneter habe ich zu Daimler natürlich einen ganz besonderen Bezug. Ich freue mich, dass sich bei der notwendigen Dekarbonisierung des Autos nicht mehr die Frage des Ob, sondern des Wie stellt. Dafür haben wir lange gekämpft. Und Daimler hat da alles, was es braucht, um auch in Zukunft vorne mitzufahren.
Dass wir nun gemeinsam mit Ihnen sprechen, ist ein Statement von Ihnen beiden!? Was drücken Sie damit aus, Herr Källenius?
Källenius: Es zeigt nur, wie gewaltig die Aufgabe der Mobilitätswende ist, die gerade erst begonnen hat. Das gelingt nur, wenn Wirtschaft und Politik eng zusammenarbeiten. Das Ziel der Dekarbonisierung ist klar. Wir haben uns mit unserem Programm „Ambition 2039“ vorgenommen, mindestens zehn Jahre vor dem Ziel des Pariser Abkommens klimaneutral zu werden. Jetzt geht es darum, dieses Ziel zu erreichen.
Herr Källenius, wann verkaufen Sie das letzte Fahrzeug, das von einem Verbrenner angetrieben wird?
Källenius: Ich weiß es noch nicht. Aber als wir vor zwei Jahren gesagt haben, 2039 wollen wir CO2-neutral sein, schien das ein Riesenziel zu sein. Nun ist das unser konservativstes Szenario. Wir schauen uns verschiedene Szenarien an, die noch progressiver sind.
Wann entscheiden Sie darüber?
Källenius: Durch unsere Maxime „electric first“ – das Elektroauto zuerst – entscheiden wir praktisch jeden Tag darüber. Der Verbrenner wird da sein, solange die Märkte oder Ladeinfrastruktur noch nicht den Punkt erreicht haben, an dem man komplett umsteigen kann. Diesen Pfad beschleunigen wir. Wir werden in diesem Jahr ein „Strategie-update“ geben, in dem die Umsetzungsgeschwindigkeit und die nächsten Schritte erläutert werden. Wir haben da sehr ambitionierte Pläne.
Mit 2039 sind Sie aber spät dran, vor allem, wenn man die Pläne der Grünen sieht, die bei Neufahrzeugen ein Verbrennerverbot schon 2030 fordern.
Källenius: Es gibt einige Wettbewerber, die vielleicht früher dran sind. Aber für uns ist entscheidend, wie kriegen wir die Technik mit einem vernünftigen Preis-Leistungs-Verhältnis auf die Straße. Die Arbeit dafür muss in dieser Dekade erledigt werden. Das heißt: wir werden bis 2030 bereit sein, alle Marktsegmente von der A-Klasse bis zur S-Klasse mit Elektrofahrzeugen abdecken zu können. Wir brauchen aber schnelle Fortschritte bei der Ladeinfrastruktur.
Özdemir: Absolut. Für die Ladeinfrastruktur müssen Politik und Wirtschaft gemeinsam sorgen. Deshalb bieten die Grünen im Bund der Industrie eine Partnerschaft an, um diese Aufgabe gemeinsam anzugehen. Die Modernisierung des Standortes - nichts anderes ist Klimaschutz – schaffen wir nur gemeinsam. In der Praxis lösen sich viele Interessengegensätze auf, wenn man pragmatisch vorgeht. Wer etwa auch im Güterverkehr ökologisch agieren will, der muss natürlich möglichst viel auf die Schiene verlagern. Wenn wir den Güterverkehr auf der Schiene wie angestrebt verdoppeln, entlastet das die Straße aber nur um etwa zehn Prozent. Deswegen muss auch die Straße klimaneutral werden. Dazu braucht es Planungs- und Investitionssicherheit und keinen Zick-zack-Kurs.
Herr Källenius, haben Sie Planungssicherheit, wenn Technologieoffenheit in der Verkehrswende gefordert wird?
Källenius: Das Prinzip ist ganz klar richtig. Man sollte uns nicht vorgeben, wie wir bestimmte Ziele erreichen, und da funktioniert die Marktwirtschaft sehr gut. Als Unternehmen aber hat Daimler klare Prioritäten gesetzt. Das allerwichtigste für uns ist jetzt ganz klar das Elektroauto. Das gilt auch für Lieferwagen. Dafür brauchen wir die Ladeinfrastruktur so schnell wie möglich. Wasserstoff ist für uns für die schweren Lkw wichtig, aber eher von 2025 an. Synthetische Kraftstoffe spielen vor allem für den Betrieb der Bestandsflotte eine Rolle.
Teilen Sie diese Sicht auf Technologieoffenheit, Herr Özdemir?
Özdemir: Technologieoffen heißt in der Wirtschaft etwas Anderes als in der Politik. Bei manchen Politikern ist Technologieoffenheit ein anderes Wort dafür, gar nichts zu tun. Das können wir uns nicht länger leisten, weder für den Klimaschutz noch für unseren Standort. Technologieoffenheit heißt eben nicht, dass alles zur selben Zeit in derselben Menge und auf demselben Entwicklungsstand zur Verfügung steht. Das versteht Verkehrsminister Andreas Scheuer falsch. Technologieoffen in der Wirtschaft bedeutet: Ich setze das ein, was den höchsten Wirkungsgrad hat, verfügbar und bezahlbar ist. Im Pkw-Bereich ist das die E-Mobilität, wie ich bei VW in Zwickau und bei Daimler in Sindelfingen gesehen habe. Daran zweifelt keiner, der die Branche kennt. Was noch fehlt, ist ein ambitionierter politischer Rahmen. Dennoch zögern viele vor dem Umstieg.
Lässt sich das über staatliche Kaufanreize ändern?
Özdemir: Zur Wirklichkeit gehört, dass die kommende Verkehrsministerin oder der kommende Verkehrsminister finanziell nicht mehr über das Füllhorn aus der Vor-Coronazeit verfügen wird. Und Herr Källenius weist zu Recht darauf hin, dass wir noch wenige Jahre brauchen werden, bis die Elektroautos noch günstiger werden. Daher werden wir die Anschaffungshilfe noch eine Weile brauchen. Da das Geld aber endlich ist, wollen wir sie in ein echtes Bonus-Malus-System überführen. Und wir wollen weitere marktwirtschaftliche Anreize setzen.
Was schwebt Ihnen vor?
Özdemir: Da ist zunächst der CO2-Preis. Das bestätigt Ihnen jeder in der Industrie. Es herrscht Einigkeit, dass es einen CO2-Preis braucht, der einen Unterschied macht. Und wir Grüne wollen ihn fair und mit einem sozialen Ausgleich gestalten.
Källenius: Wir bekommen gerade in Form des Klimawandels die Quittung für den Umgang mit fossilen Energieträgern in den vergangenen 135 Jahren. Das heißt, wir haben den vollen Preis für deren Nutzung noch nicht bezahlt. Diesen Preis müssen wir graduell erhöhen. Es kommt jetzt eine Dekade, in der die variablen Nebenkosten für das E-Auto höher sind. In dieser muss der CO2-Preis in allen Industrien steigen – und das Geld nimmt man, um die neuen Technologien voranzubringen und günstiger zu machen.
Muss dieser Preis stärker steigen, als bisher im Gesetz vorgesehen?
Källenius: Da wir weltweit unterwegs sind, habe ich diese Bepreisung in 150 Varianten – die reichen von der Besteuerung des Fahrzeugs bis zum Benzinpreis.
Der Benzinpreis ist gerade umstritten…
Özdemir: Und irgendwann musste dann auch die Union zugeben, dass der Preis für fossile Kraftstoffe steigen muss. Ein fairer CO2-Preis ist der beste Mechanismus. Entscheidend ist, dass wir ihn sozial abfedern und Geld zurückgeben, damit er nicht auf Kosten ärmerer Menschen geht.
Wenn wir schon von Regulierung reden: Sie, Herr Özdemir, und die Grünen sind für ein Tempolimit. Sind Sie sich da einig, Herr Källenius?
Källenius: Es gibt die Möglichkeit, diese Frage mit modernen Technologien intelligenter zu lösen. Jeder weiß, dass dieses einzigartige Phänomen, dass man in Deutschland auf manchen Autobahnen frei fahren kann, zu einer Art Gütesiegel geworden ist. „Autobahn-tested“ heißt selbst in Amerika, wo man nur 110 oder 120 km/h fahren darf: Das ist was ganz Besonderes, und deshalb bauen die in Deutschland die besseren Autos. Dieses Gütesiegel möchte ich nicht leichtfertig hergeben. Für mich, der ich in Schweden aufgewachsen bin, wo man 110 km/h fahren darf, war es etwas ganz Großes als Kind nach Deutschland zu kommen und auf der Autobahn zu fahren.
Was schlagen Sie stattdessen vor?
Källenius: Freie Strecken gehören dazu, weil das die Marke Made in Germany stärkt. Nach allem, was uns an Ergebnissen vorliegt, bezweifle ich übrigens, dass das Schnellfahren auf solchen Strecken zu weniger Verkehrssicherheit führt. Energetisch erledigt sich das Thema mit der Umstellung auf Elektroautos ohnehin – da ist es dann immer eine Abwägung zwischen Tempo und Reichweite.
Özdemir: Da kann ich gut anknüpfen. Zum energetischen Aspekt kommt das autonome Fahren. Die Vorstellung, dass vollautonome Fahrzeuge mit 250 brettern und andere mit 80, das ist nicht wahrscheinlich. Ein Tempolimit wäre also neben Klimaschutz und Verkehrssicherheit auch Innovationsförderung.
Herr Källenius, wie sehr beeinträchtigen Daimler die Lieferengpässe bei Halbleiterchips?
Källenius: Wir erleben – nicht nur in der Autoindustrie – aktuell eine hohe Volatilität. Wenig ist sicher absehbar. In dieser Lage können wir nur reagieren.
Ist der Höhepunkt der Krise erreicht?
Källenius: Zumindest wird uns dieser Zustand ins nächste Jahr hinein begleiten. Das ist gerade wie ein Auto-Stau: Erst stehen alle, und bis sich das dann wieder aufgelöst hat, das dauert in einer so weltweit vernetzten Branche wie unserer.
Also ist keine Entspannung in Sicht?
Källenius: Die Industrie wird das lösen. Aber noch ist Entspannung nicht in Sicht. Aber das hat zumindest eine Debatte ausgelöst, dass in diesen Hochtechnologiebereich noch mehr investiert werden muss. Unsere Partner in Europa und den USA investieren, sie erkennen nach Corona eine besonders hohe Nachfrage weit über die Autoindustrie hinaus.
Es gibt weltweit wenige Anbieter. Mangelt es denen an Berechenbarkeit?
Källenius: Das Liefersystem hat 20 bis 30 Jahre perfekt funktioniert. Bloß weil es in dieser Lage zu Störungen gekommen ist, würde ich jetzt nicht sagen: Die sind unberechenbar.
Özdemir: Da muss auch die EU aktiv werden. US-Präsident Joe Biden hat dieses Thema zur Chefsache erklärt.