Mit Krawatte unter bayerischen Trachten: Für Kanadas Premierminister Justin Trudeau ist ein Besuch beim 50. Oktoberfest in Kitchener Pflicht. Foto: P

Im kanadischen Kitchener laden die Nachfahren deutscher Einwanderer seit 50 Jahren zum Oktoberfest. Geworben wird mit Bier, Blasmusik und Gemütlichkeit. Ein Wort, das viele Kanadier elektrisiert.

Kitchener - Das Bier spritzt nach allen Seiten. Der Ruf „Ozapft is“ gehört zum Oktoberfest, selbst wenn es nicht auf der Wiesn in München ist, sondern vor dem Rathaus von Kitchener. In dieser kanadischen Stadt 100 Kilometer westlich von Toronto wird in diesem Jahr zum 50. Mal das Oktoberfest begangen. Hunderttausende feiern bis zum 13. Oktober neun Tage lang „Kanadas größtes bayrisches Fest“.

Für Walter „Wally“ Mausser und seine Familie ist das Oktoberfest ein Fixpunkt im Jahreskalender. Er kann sich mit Fug und Recht Stammbesucher nennen. „Beim ersten Oktoberfest 1969 haben wir die Tradition begonnen, am ersten Abend mitzufeiern. Ich war nur zweimal nicht dabei“, erzählt er. Auch in diesem Jahr kam die Mausser-Familie in der Festhalle des Concordia-Clubs, des größten deutschen Clubs von Kitchener, zusammen. „Wir waren etwa 25 Familienangehörige und Freunde aus Toronto, Sarnia und Ottawa. Alle sind in so guter Stimmung.“

Auf die Frage, was für ihn das Charakteristische am Oktoberfest ist, sagt er ohne zu zögern: „Gemütlichkeit!“ Er tanze auch gerne Polka und Walzer zu den Klängen der „Black Forest“-Band. „Wir wuchsen mit Polka und Walzer auf“, sagt Wally, dessen Familie ihre Wurzeln in der deutschen Sprachinsel Gottschee (Kocevje) im heutigen Slowenien hat.

Mit „Gemütlichkeit“ wird für das Fest von Anfang an geworben

Mit „Gemütlichkeit“ wird für das Fest geworben, seit es 1969 seinen Anfang nahm. Das ist in dieser von deutschen Einwanderern bis heute geprägten Region ein Markenzeichen. Es ist ein Wort, das viele Kanadier elektrisiert, auch wenn sie keine deutschen Wurzeln haben. Sie verbinden damit Spaß, Geselligkeit, Entspannung – und natürlich Bier, Wein und Musik, vor allem die volkstümlich-bajuwarische Musik, die nach dem Tuba-Klang als „oompahpah“-Musik bezeichnet wird . „50 years of oompahpah“ und „half a century of Gemütlichkeit“ (ein halbes Jahrhundert Gemütlichkeit) schreibt die Lokalzeitung „Waterloo Region Record“.

Als Kanada 1967 den hundertsten Jahrestag seiner Staatsgründung feierte, organisierte der Concordia Club sein erstes bescheidenes Oktoberfest. Dies brachte Geschäftsleute und Honoratioren der Stadt auf die Idee, ein wiederkehrendes Ereignis zu schaffen, das Besucher anlockt. Am 14. Oktober 1969 wurde erstmals das Fass für das Oktoberfest angestochen.

Die Basis bildeten die vier deutschen Clubs, neben Concordia der Alpine Club, der Schwaben Club und der Transylvania Club. In diesen haben sich Einwanderer organisiert, deren Wurzeln in Deutschland oder deutschen Siedlungsgebieten liegen. Im Raum Kitchener hatte sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts deutschstämmige Siedler niedergelassen. Sie nannten ihre Siedlung Berlin, und so hieß sie bis 1916, als sie während des Ersten Weltkriegs nach einem britischen Kriegshelden in „Kitchener“ umbenannt wurde.

Die Besucher lassen rund 15 Millionen Euro in der Stadt liegen

Schon im ersten Jahr wurden 70 000 Besucher gezählt, die, wie sich Owen Lackenbauer, einer der Gründerväter erinnert, rund 200 000 Liter Bier konsumierten. Die Besucherzahlen stiegen rasant. Das musste auch ein Ehrengast erfahren: Als sich Premierminister Pierre Trudeau, der Vater des heutigen Premierministers, 1972 zu einem Besuch des Fests anmeldete waren die Hotels schon ausgebucht. Der Regierungschef musste in der Nachbarstadt Hamilton Quartier beziehen.

Die Dachorganisation für die Veranstaltung des Fests umfasst fünf hauptamtliche und 400 ehrenamtliche Helfer, die Exekutivdirektor Alfred Lowrick zur Seite stehen. In zehn Festhallen, die über die Stadt verteilt sind, wird gefeiert. „Wenn man mit Freunden, die man monatelang nicht gesehen hat, zusammensitzt, wenn die Hofbräukapelle oder eine andere Band spielt, kommt dieses Gefühl der Gemütlichkeit“, sagt Lowrick.

Auf 700 000 wird heutzutage die Zahl der Besucher geschätzt, umgerechnet rund 15 Millionen Euro pumpt das Fest in die Wirtschaft der Region. Manche halten es für das zweitgrößte bayrische Fest nach dem Münchner Oktoberfest.