Der Kunde kann nicht nur in Online-Shops, sondern auch in herkömmlichen Läden auf Tritt und Schritt beobachtet werden: Biometrische Gesichtserfassung und die Auswertung von Handy- und Tonsignalen erlauben Unternehmen den Kunden online wie offline zu identifizieren und lückenlos zu verfolgen.
Stuttgart - Videokameras in Läden dienen längst nicht mehr dazu, Ladendiebstähle aufzuklären. Sogenannte Frequenzmessegeräte registrieren den einzelnen Kunden beim Betreten des Geschäfts und beobachten, wohin er geht und was er sich näher ansieht. Neuere Systeme können dank biometrischer Gesichtserfassung auch den Kunden identifizieren und seine Stimmungslage bewerten: „Kunde freut sich über regionalen Biokäse“, könnte beispielsweise eine Systemanalyse lauten.
In Real-Einkaufsmärkten wurde jetzt auf Druck von Verbraucherschützern die biometrische Gesichtsanalyse gestoppt: In 40 Test-Filialen waren Gesichter von Kunden nach einem Blickkontakt zu einem Werbebildschirm erfasst und nach Alter und Geschlecht hin analysiert worden. Mit dem Teststopp reagierte die Einkaufskette auf eine Strafanzeige der Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage. Kerstin Demuth von Digitalcourage glaubt, dass „wenn wir jetzt nichts dagegen tun, wir bald digital durch den ganzen Laden verfolgt werden. Dann kommen Kundenprofile und Preisdiskriminierung.“
Nicht nur Supermärkte, auch die Deutsche Post nutzt Gesichtserkennung
In einzelnen Filialen der Deutschen Post wird derzeit weiterhin die Gesichtserkennung getestet. Ziel ist es, Kunden mit personalisierter Werbung auf den Monitoren im Geschäft zu konfrontieren. Die Deutsche Post hat auf die Strafanzeige von Digitalcourage bisher nicht reagiert. Gleichwohl ist sie mit der Bundesdatenschutzbeauftragten Andrea Voßhoff derzeit in Kontakt. Sie hat noch nicht darüber entschieden, ob dieses Vorgehen rechtmäßig ist. Daniel Strunk, Sprecher der nordrhein-westfälischen Datenschutzbeauftragten, die mit Real befasst war, verweist auf zahlreiche Bedingungen und betont: „Ein Hinweisschild allein macht die Videobeobachtung als solche nicht rechtmäßig.“
Real und Deutsche Post sind jedoch nicht die Einzigen: Einkaufszentren, Restaurantketten und der Einzelhandel verfeinern seit Jahren ihre Verfahren, um das Besuchsverhalten ihrer Kunden zu analysieren. Die biometrische Gesichtserfassung ist nur die neueste Variante des so genannten Offline-Tracking. Bisher wurden hierfür die Smartphones der Kunden verwendet: So wurden über verschiedene Handy-signale der Standort eines Nutzers über möglichst viele kleine Zeitintervalle erfasst. Ausgewertet werden können hierfür die Signale, die das Handy aussendet, um mit der nächsten Mobilfunkzelle zu kommunizieren. Möglich ist auch die Auswertung des eingeschalteten WLAN- oder Bluetooth-Signals.
Eine weitere Methode des Trackings: Ultraschallsignale
Offline-Tracking läuft seit etwa zwei Jahren auch über Tonsignale, die vom Handymikrofon erfasst werden. Dabei sendet ein Sender in einem Laden oder auch etwa ein Fernseher ein für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbares Ultraschallsignal aus, das vom Smartphone des Kunden erfasst wird. Damit kann zum Beispiel ein Werbetreibender herausfinden, ob ein Desktop und Smartphone von derselben Person verwendet werden und so Online- und Offline-Trackingdaten miteinander verbinden. Auch Nutzer von Anonymisierungsdiensten könnten so identifiziert werden. Wissenschaftler der Technischen Universität Braunschweig stellten kürzlich fest, dass es inzwischen über 230 Smartphone-Apps gibt, die Ultraschallsignale empfangen und auswerten können. Sie konnten auch in vier von 35 untersuchten Geschäften Ultraschallsender finden.
Daten werden mit Geräte-Identifikationsnummern verknüpft
Verknüpft werden die auf verschiedenen Wegen erhobenen Signaldaten mit Geräte-Identifikationsnummern wie etwa der MAC-Adresse, die beispielsweise über Smartphone-Apps erhoben werden kann. MAC-Adressen können auch in WLAN-Signalen enthalten sein. Und das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht schließt nicht aus, dass die MAC-Adressen auch mit EC-Kartendaten verknüpft und dann an Dritte weitergegeben werden. Diese verschiedenen Methoden des Offline-Tracking wurden von den Datenschutzaufsichtsbehörden bisher nicht abschließend bewertet. Die bayerische Datenschutzaufsicht hat im Jahr 2016 mehrere Unternehmen deshalb angeschrieben und danach stichprobenartig vor Ort geprüft. Die Prüfergebnisse liegen bisher aber nicht vor.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob der Ladenbetreiber ein „berechtigtes Interesse“ vertreten kann oder ob das schutzwürdige Interesse des Kunden überwiegt. So dürften die meisten Kunden unbeobachtet einkaufen, ohne dabei analysiert und mit personalisierter Werbung konfrontiert zu werden. Im Online-Bereich hat der Kunde daher ein ausdrückliches Widerspruchsrecht. In der Offline-Welt aber nicht. Eine mögliche Lösung besteht jedoch darin, die Kunden über die Datenerfassung am Eingang zu informieren sowie ihre erfassten Daten zu anonymisieren.
Behörden müssen prüfen, ob der Kunde ausreichend informiert wird
Die Aufsichtsbehörden müssen für jeden Einzelfall ermitteln, ob Kunden, Passanten, Beschäftigte oder gar der Betriebsrat überwacht werden. Auch ist zu prüfen, ob die Betroffenen über die Erfassung informiert wurden und etwa per App eingewilligt haben. Schließlich stellt sich die Frage, wie lange die erhobenen Daten gespeichert, wie sie verarbeitet und ob sie anonymisiert wurden. Möglicherweise werden die Betroffenen auch über verschiedenen Filialen hinweg erfasst. Ein Blick in das Auswertungssystem ist aber nur mit intensiven Vor-Ort-Kontrollen möglich. Dafür aber haben die wenigsten Aufsichtsbehörden Zeit und Personal.
Die meisten Deutschen sind gegen ein Offline-Tracking, stellte jetzt eine repräsentative Studie des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen (vzbv) fest: Nur neun Prozent der Befragten halten das Tracking für akzeptabel. Ein Drittel verlangt hierfür bestimmte Schutzmaßnahmen. Mehr als die Hälfte plädierte aber für ein allgemeines Verbot. VZBV-Vorstand Klaus Müller setzt auf die kommende ePrivacy-Verordnung. Bisher sieht deren Entwurf jedoch kaum Einschränkungen vor, ein Widerspruch ist nicht möglich. Läden müssen die Kunden über die Erfassung lediglich informieren. Müller: „Verbraucher, die nicht überwacht werden wollen, hätten nur die Möglichkeit, den Flugmodus anzuschalten. Da macht ein Mobiltelefon kaum noch Sinn.“