Auch im Juni bleibt viel Sprit teurer als zwei Euro. Foto: 7aktuell.de/Andreas Werner/i

Die Steuer sinkt, die Preise an der Tankstelle aber kaum. Warum?, will Christian Gottschalk in seinem offenen Brief an die Ölmultis wissen – und weist auf Ungereimtheiten in der Argumentation hin.

Liebe Ölmultis, schön zu sehen, dass Ihr Wort gehalten habt. Seit Wochen fiebern wir Autofahrer auf diesen 1. Juni hin, um endlich wieder unsere Tanks aufzufüllen. Wir sehnen uns der Zapfsäule entgegen, mit letzter Kraft und den Berg runter ohne Motor. Jetzt endlich tanken, denken wir, jetzt, wo wir Steuerzahler uns selbst die Rechnung an der Tanke etwas angenehmer gestalten. Und seit Tagen erklärt Ihr uns, dass dem nicht so sein wird. Dass Ihr den Sprit ja leider schon eingekauft habt, mit hohen Steuern, und dass ihr daher den Rabatt nicht sofort weiter geben könnt, den wir uns selbst finanzieren. Jetzt ist es so weit, und an dem halben Dutzend Eurer Läden, an dem ich auf dem Weg ins Büro heute Morgen vorbeigefahren bin, da war es ja wirklich so, wie von Euch versprochen. Kaum Preisnachlass. Ihr haltet Wort, man kann Euch vertrauen.

Embargo und die Folgen

Wenn da nur nicht die Nacht zum 31. Mai gewesen wäre. Das war die Nacht, an dem sich die Politiker in Brüssel darauf geeinigt hatten, künftig den Öl-Fluss aus Russland zu stoppen. Okay, nicht den ganzen Fluss, das Öl aus der Pipeline, das darf schon noch weiter zu uns kommen. Und der Stopp ist auch nicht sofort vorgesehen, sondern irgendwann, so in ziemlich bald. Wenn man es genau nimmt, dann hat sich in der Zeit zwischen dem Schlafen gehen und dem Aufwachen eigentlich gar nichts geändert – außer dem Ölpreis. Der ist in die Höhe geschossen. Und der Preis an den Zapfsäulen gleich mit.

Argumentation mit Lücken

Und genau das lässt einen verwundert die Augen reiben. Ihr habt das Benzin doch schon in Euren Tanks, und den Diesel auch. Alles, was da drinnen ist, das habt Ihr doch schon eingekauft und bezahlt. Das kann doch jetzt gar nicht mehr teurer werden – so wie es nicht billiger werden kann, wenn sich die Steuern nach unten bewegen. Habt Ihr gerade erklärt. Oder ist es etwa so, dass Ihr dabei seid, uns kräftig abzuzocken???

Die Prüfung dauert viel zu lange

Gut, ein wenig komisch ist uns das ja schon neulich vorgekommen, damals, als Russland den Krieg in der Ukraine begonnen hat. Da ist der Ölpreis schon mal in die Höhe geschossen, und der Preis für Treibstoff hinterher. Logisch, hängt ja auch eng miteinander zusammen. Doch als danach der Ölpreis wieder gefallen ist, da ist der Spritpreis nur ein ganz kleines bisschen zurückgegangen. Warum eigentlich? So ganz genau hat das von Euch niemand erklären können. Als es dann hieß, dass das Kartellamt schaut, was da los ist, da habt Ihr den Sprit noch mal ein wenig billiger gemacht. Das hielt aber nicht lange. Im Gegensatz zu dieser Kartellamtsprüfung. Die dauert sehr lange. Wenn die vorbei ist, dann werden wir wahrscheinlich alle von einem mobilen Windrad auf dem Dach angetrieben.

Boykott als Ausweg

Liebe Ölmultis, in Euren Geschäftsberichten aus dem ersten Quartal habt ihr was von Rekordgewinnen geschrieben, das werdet Ihr doch nicht auf unsere Kosten machen, oder etwa doch? Oder gar auf die Kosten der armen Aushilfskräfte, die für einen Mindestlohn hinter dem Tresen in euren Läden stehen, und sich jetzt den ganzen Unmut von uns leer getankten Autofahrern anhören müssen? Denen gilt mein Mitgefühl. Und Euch würde ich ganz gerne boykottieren. Wenn das denn ginge. Wahrscheinlich ist alles so, wie es ist, weil genau das mit dem Boykott eben ein Wunschtraum bleibt. Zumindest, bis das Elektroauto da ist.