Der Kanzler hat das Wort: Vizekanzler Heinz Christian Strache (FPÖ) (links) beobachtet den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei einer Rede im Nationalrat. Foto: APA

Seit einem knappen halben Jahr regiert in Österreich eine Koalition aus der konservativen ÖVP und der rechtspopulistischen FPÖ. Regierungschef Sebastian Kurz kann damit bisher gut leben.

Wien - Die Buben steckten in Tarnanzügen, die Mädchen waren mit türkischen Flaggen umhüllt. Zusammen stellten sie in der Moschee im 20. Wiener Gemeindebezirk die Schlacht von Gallipoli aus dem Jahr 1915 nach – ein Kampf im Ersten Weltkrieg, den die Türkei siegreich für sich entschied.

Die kürzlich aufgetauchten Fotos dieser Aufführung, die von einem türkisch-islamischen Kulturverein organisiert wurde, waren Wasser auf die Mühlen der rechtspopulistischen FPÖ, die schon immer mit dem Thema „Islamismus“ zu punkten versucht.

Das hat sich nicht geändert, seit die FPÖ auf Bundesebene Regierungspartei ist. Im Dezember 2017 trat sie als kleinerer Partner in die Koalition mit der ÖVP unter Kanzler Sebastian Kurz ein – und sie nutzt jede Gelegenheit, Debatten zum Kopftuch oder zu türkischen Nationalisten in Österreich voran zu treiben. Aber auch die ÖVP profitiert von dem Thema. Bis zum Sommer will die Regierung einen Gesetzesvorschlag ausarbeiten, welcher das Kopftuch für Mädchen im Kindergarten und in der Volksschule verbieten soll. Dagegen haben nur wenige Österreicher etwas.

Nur seltener Widerspruch gegne FPÖ-Sprüche

Nach einem knappen halben Jahr im Amt zeichnen sich die Konturen der Zusammenarbeit zwischen der konservativen ÖVP und der FPÖ ab. Die FPÖ-Vertreter agieren durchweg aggressiver, so wie sie es auch in der Opposition taten. Sie polarisieren stärker und sind im Durchschnitt in der Bevölkerung weniger beliebt als die Koalitionskollegen. Die ÖVP meldet sich nur im alleräußersten Notfall zu Wort, wenn der Koalitionspartner zu weit geht.

Das geschah etwa, als Johann Gudenus – einer der Scharfmacher in der FPÖ – auf die Kampagne des ungarischen Premiers Viktor Orban gegen George Soros aufsprang und meinte, es gebe „stichhaltige Gerüchte“, dass der US-Milliardär „Migrantenströme nach Europa unterstützt“. Soros habe „mit viel Kapitalmacht versucht, alle möglichen Umwälzungstendenzen in Osteuropa zu finanzieren“, sagte Gudenus. Kanzler Sebastian Kurz stellte in diesem Fall klar, dass er entsprechende Aussagen „klar ablehne“.

FPÖ-Kontakte zu völkisch-nationalistischen Kräften

Kurz war immer klar, dass er sich mit der FPÖ auch Verschwörungstheorien, Antisemitismus und Muslimenfeindlichkeit einkauft. Deshalb hatte auch die Nazi-Liederbuch-Affäre im Januar niemanden groß verwundert: Die Burschenschaft des niederösterreichischen FPÖ-Spitzenkandidaten verherrlicht in einem Liederbuch die Nazizeit. Kennt man das extremistisch verschrobene Milieu, aus dem die akademischen Eliten der FPÖ stammen und die rückwärtsgewandte völkische Ideologie dieser Burschenschafter, dann musste so etwas oder so etwas Ähnliches fast auftauchen.

Auch die Allianzen der FPÖ mit pro-russischen völkischen Nationalisten auf dem Balkan sind seit vielen Jahren bekannt. Vizekanzler Heinz-Christian Strache ließ sich im Februar sogar vom serbischen Außenministerium instrumentalisieren und zu der Aussage bewegen, dass der Kosovo Teil Serbiens sei – ganz entgegen der österreichischen Regierungslinie.

Kurz stellt alle Minister in den Schatten

Doch insgesamt gelingt der Regierung Kurz die „Message-Control“ - also die Bestimmung der öffentlichen Debatte mit den von ihr gewünschten Themen. Dafür nutzt sie insbesondere auch die privaten Fernsehkanäle des Landes. Laut Umfragen ist mehr als die Hälfte der Österreicher mit Kanzler Sebastian Kurz zufrieden. Die ÖVP-Minister stehen allesamt in seinem Schatten. Sie sind auch wenig bekannt, viele sind Quereinsteiger. Das macht es dem 31-jährigen ÖVP-Chef leichter, so etwas wie Richtlinienkompetenz umzusetzen, obwohl er offiziell nicht darüber verfügt.

Die in der Zwischenzeit abgehaltenen Landtagswahlen zeigen, dass sich die Zustimmung zu ÖVP und FPÖ seit der Regierungsbildung am 18. Dezember vergangenen Jahres nicht wirklich verändert hat. Während der ersten Koalition zwischen ÖVP und FPÖ, die im Jahr 2000 gebildet wurde, rutschte die FPÖ noch dramatisch ab. Doch auch der ÖVP ist es ein Anliegen, dass sich dies nicht wiederholt. Man achtet auf größtmögliche türkisblaube Harmonie.

Der Innenminister hat eine Mission: Migration bekämpfen

Trotzdem passieren natürlich Schnitzer. So misslang der Umgang mit einer Affäre rund um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Fünf Mitarbeitern, darunter dem Chef des Verfassungsschutzes, werden verschiedene Straftaten vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft ließ Wohnungen und Büros durchsuchen. Doch die aufgeregt-aggressive Art, in der Innenminister Herbert Kickl die Vorgänge kommentierte, hinterließ mehr Fragen als Antworten.

Kickl hat erkennbar eine selbstgewählte Mission – und die heißt: Migration bekämpfen. Eine neue Fremdenrechtsnovelle sieht etwa vor, dass die Polizei Einblick in die Handydaten von Migranten bekommen kann, um herauszufinden, in welchem Land sie als erstes in den Dublin-Raum gekommen sind, um sie dorthin zurück zu schicken.

Einige Nagelproben für die Regierung kommen im Herbst, denn dann findet das von der Ärztekammer gestartete Volksbegehren gegen die Aufhebung des Rauchverbots statt. Viele Österreicher halten die Regierung in dieser Frage für verantwortungslos. Im zweiten Halbjahr steht dann die EU-Ratspräsidentschaft Österreichs an. Bislang fielen die Themen und Projekte, die von der Regierung für diese Zeit präsentiert wurden, eher dürftig aus.