Winterliche Ruhe: In Lech stehen statt Après-Ski-Partys Wellness und Oper auf dem Programm. Foto: Schapowalow

Skifahren mit Kulturprogramm: In Lech am Arlberg gibt's neben Schwüngen echte Winter-Opern.

Verzweifelt steht Aida da und singt ihr herzzerreißendes "o terra addio" – sie hat sich für die Liebe entschieden, und damit für den Tod. Dass es einem beim Schlussduett aus Verdis Oper kalt den Rücken hinunterläuft, hat heute abend nicht nur musikalische Gründe: Wir stehen dick vermummt in knöcheltiefem Neuschnee, große Flocken wirbeln durch die Scheinwerferkegel, das Musikdrama spielt in einer effektvoll beleuchteten Landschaft aus Eis und Schnee. Ort des arktischen Kulturereignisses ist Lech am Arlberg. Seit sechs Jahren schon finden hier winterliche Vorpremieren der Bregenzer Opernfestspiele statt. Zu hören sind freilich nur die musikalischen Highlights. Mehr als eine halbe Stunde wäre den Stimmbändern bei zweistelligen Minustemperaturen einfach nicht zuzumuten.

Klassik im Frost starrenden Hochgebirge scheint eine verrückte Idee zu sein. Doch das Event bietet genau das, was der Stammgast hier erwartet – eine kulturelle Einbettung seiner Skiferien. Wer seinen Winterurlaub in Lech verbringt, ist überdurchschnittlich gebildet und beruflich erfolgreich und legt Wert auf gehobene Unterhaltung. In St. Moritz wäre es ihm zu snobistisch, in Ischgl und Sölden hingegen zu proletenhaft.

Lech hingegen gilt als Nische des richtigen Maßes. Vor neureichen Selbstdarstellern ist man hier ebenso sicher wie vor feierwütigen Kegelclubs. Prominente, Wirtschaftsbosse und Mitglieder von Königshäusern kommen nicht an den Arlberg, um sich medienwirksam in Szene zu setzen, sondern um in kultivierter Umgebung in Ruhe gelassen zu werden.

Umgekehrt prahlt auch Lech nicht damit, dass sich die High Society hier ein Stelldichein gibt. Statt nur wohltönendes Versprechen zu sein, ist das gehobene Niveau eine fast überall spürbare Grundtatsache: Das Skigebiet ist eines der schneesichersten und bestpräpariertesten Europas, fast überall kann man von der Piste direkt ins Hotel abfahren, statt rustikale Bügellifte gibt es beheizte Sessel mit Windhaube, und Liftschlangen sind nahezu unbekannt. Letzteres liegt daran, dass sich Lech-Zürs als einziger Wintersportort der Alpen den Luxus begrenzter Skifahrerzahlen gestattet. Sobald 14.000 Wintersportler die Zugangsschranken passiert haben, werden keine Tageskarten mehr verkauft.

Maßstäbe wurden auch in der Bebauungspolitik gesetzt: Hochhausklötze gibt es ebenso wenig wie die für viele Urlaubsorte typischen gesichtslosen Appartmentsilos. Ein kategorisches Verbot von Zweitwohnungen hat der Zersiedelung rechtzeitig Einhalt geboten. So kürte die "Entente Florale" Lech vor wenigen Jahren zum schönsten Dorf Europas. Wenn damit nicht ein dörfliches Idyll gemeint ist, sondern die gelungene Schadensbegrenzung einer boomenden Wintersportdestination, so ist diese Auszeichnung mehr als berechtigt. Dazu kommt eine gastronomische Qualität, die man ruhigen Gewissens sensationell nennen kann: In Österreich hat nur Wien eine größere Zahl an Haubenrestaurants. Da erstaunt es fast, dass der Wintersport nicht längst zur Nebensache geworden ist.

Doch es sind gerade passionierte Skifahrer, die zwischen Mohnenfluh und Valluga ihre Schwünge ziehen. Keiner von ihnen kehrt nach Hause zurück, ohne mindestens einmal den legendären Weißen Ring abgefahren zu haben. Die spektakuläre Runde beginnt mit der Auffahrt zum Rüfikopf, auf dessen Rückseite man talwärts schwingt, um sich dort von Lift zu Lift weiter zu hangeln. Am Ende dieser zweiundzwanzig Kilometer langen Skisafari hat man 5500 Höhenmeter und vier Bergzüge überwunden, ist in mehrere Seitentäler abgefahren und hat die einstige Walsersiedlung weiträumig umkreist.

Verschont bleibt man auf dieser Seite des Arlbergs auch von dröhnenden Partyzonen. Gerade einmal zwei sogenannte Schirmbars gibt es, und in den Nachtclubs geht es überraschend zivilisiert zu. Die traditionsreichste Skidestination Österreichs ist eine Art Anti-Sölden, ein Wintersportplatz, in dem das Ski- und Snowboardfahren nicht als Vorwand für ganz andere Urlaubsvergnügungen dient.

Dass das abgelegene Hochtal einst von tiefer Armut geprägt war, kann man sich heute kaum noch vorstellen. Die Nachfahren der Walserbauern sind zu wohlhabenden Unternehmern geworden, haben das Prinzip des nachhaltigen Wirtschaftens dabei aber nicht über Bord geworfen. Als erstes Skiunternehmen der Alpenrepublik legt die Lecher Liftgesellschaft seit 1999 immer wieder Umweltberichte vor. Sie dokumentieren den hohen Stellenwert, den der Naturschutz hier genießt.

Folgerichtig hat das Unternehmen jetzt den erstmals ausgeschriebenen Umweltpreis der Stiftung "pro natura – pro ski" bekommen. Gelobt wurden vor allem der Wille zur Transparenz und das gelungene Management der großen Skifahrerzahlen. Die Juroren gaben allerdings auch Verbesserungsvorschläge, vor allem den, die Natur- und Umweltorganisationen stärker einzubinden. Für deren Blickwinkel hat Geschäftsführer Michael Manhart allerdings ziemlich wenig Verständnis. Der ehemalige Pistenbully-Fahrer ist sich sicher, dass der Umwelt- und Naturschutz in die Hände der "Praktiker" gehört. "Wir gehen so schonend mit unserer Natur um, dass die Journalisten im Sommer immer wieder ungläubig fragen, wo denn hier im Winter eigentlich Ski gefahren wird." Weil nach Geländekorrekturen nur sündhaft teures autochthones Saatgut zum Einsatz komme, sei die Artenvielfalt auf den Sommerwiesen nach wie vor beispiellos. "Klar wollen wir hier erstmal Geld verdienen, aber eben nicht auf Kosten der Natur."

Von Expansionsideen mag man sich allerdings noch nicht ganz verabschieden: "Unser Skigebiet schrumpft relativ gesehen deshalb, weil überall sonst sich die großen Skigebiete zu noch größeren zusammenschließen", sagt Manhart mit besorgter Miene. Deshalb brauche man die Verbindungen nach St. Anton und dem nahen Warth, das im Winter nicht einmal mit dem Auto erreichbar ist. In dieser Hinsicht fügt man sich der alpenweit grassierenden Wachstumslogik, die man sonst gerne als kurzsichtig zurückweist.

Kaum noch zeitgemäß erscheint auch die monopolartige Bedeutung des alpinen Ski- und Snowboardfahrens. Den Trend zum Winterwandern hat man jedenfalls lange Zeit verschlafen. Wenn man erfährt, dass die fantastische Route zur Kriegeralp erst seit einem Jahr gespurt wird, kann man es kaum glauben. Anderswo, vor allem in der nahen Schweiz, sind schon Mitte der Neunziger Jahre flächendeckend Winterwanderwege eingerichtet worden.

Lech hingegen wurde erst in der letzten Saison durch einen Winterwanderweg mit Zürs verbunden. Und in den besonders attraktiven Höhenlagen gibt es weit weniger als möglich wäre. Und das, obwohl Lech-Zürs durch die Omnipräsenz niveauvoller Angebote im Gastronomie- und Wellnessbereich geradezu prädestiniert wäre, die genussorientierte und solvente Klientel der Winterwanderer zu bedienen.

Viel zu tun gibt es auch noch in Sachen Verkehrsberuhigung. Auch hier hätte man aufgrund der Sackgassenlage, des funktionierenden Skibussystems und dem Gästewunsch nach höchster Aufenthaltsqualität gute Chancen, einen Teil der breiten Durchgangsstraße den bedrängten Fußgängern und Skifahrern zurückzugeben. Im Moment kann man jedoch selbst ins "autofreie" Oberlech hinauffahren. Und am hinteren Ortsende, jenem Ort, an dem Aida und Radames soeben den Liebestod starben, steht am Wochenende ein Auto neben dem anderen. Man darf gespannt sein, wie lange die Qualitätsdestination mit solchen Selbstunterbietungen noch zufrieden sein wird.

Info Bahnanreise: über Ulm, Lindau, Bregenz und Feldkirch nach Langen am Arlberg, von dort regelmäßige Taxi- und Busverbindung, Transferdauer ca. 20 Minuten – Online-Reservierung unter http://www.taxi-lech.at oder http://www.taxi-zuers.com. Für die Anreise mit der Bahn nach Langen gibt es in vielen europäischen Ländern spezielle Spartarife.

Autoanreise: Autobahnen in Österreich sind mautpflichtig. Vignetten erhalten Sie an den Grenzübergängen, bei Tankstellen, Postämtern,Trafiken, bei Automobilclubs und bei Lech Zürs Tourismus. Bitte beachten Sie bei Ihrer Anreise, dass die Strecke Lech- Warth während den Wintermonaten aufgrund von Lawinengefahrt gesperrt ist. Von einer Anreise über das Lechtal oder den Bregenzerwald ist daher abzuraten!

Allgemeine Auskünfte: Lech Zürs Tourismus, Tel.: 00 43 / 5 58 32 16 10, http://www.lech-zuers.at.