Man stelle sich vor, dass man Fahrkarten nicht mehr entwerten muss, weil man gratis unterwegs ist. An manchen Orten geht das. Foto: dpa/Bernd Weissbrod

Deutschland wartet aufs 49-Euro-Ticket, das zum 1. Mai 2023 eingeführt werden soll. Für manche Zielgruppen gibt es bereits heute Möglichkeiten, gratis mit dem ÖPNV unterwegs zu sein. Teilweise allerdings nur im Tausch gegen etwas.

Das 9-Euro-Ticket gilt als Erfolg. Das Nachfolgeticket für 49 Euro soll zum 1. Mai eingeführt werden. Es ist zwar deutlich teurer als das Schnäppchen aus dem Sommer 2022, aber immer noch günstiger als manche Monatskarte. Und es ist bundesweit im Nah- und Regionalverkehr gültig. Während die Republik auf das Deutschlandticket wartet, gibt es in manchen Kommunen und Regionen in Baden-Württemberg bereits heute für bestimmte Zielgruppen ÖPNV-Tickets, die nichts kosten, teils allerdings nur im Tauschhandel.

Freiabo gegen Führerschein

Gleich vorweg: An diese Gratis-Jahresabos kommen nur ältere Semester. Im Verkehrsverbund Stuttgart (VVS) sind es Menschen ab 65 Jahren, oder aber mindestens 60-Jährige, die nachweislich im Ruhestand sind. Wenn sie ihren Führerschein abgeben, bekommen sie ein Jahr freie Fahrt in Bus und Bahn im VVS-Gebiet. Regulär würde das Jahresabo 623 Euro kosten. Nach Auskunft der VVS-Sprecherin Ulrike Weißinger gilt dieses Tauschangebot in Stuttgart sowie den Landkreisen Ludwigsburg, Esslingen, Göppingen und Böblingen. Die längste Erfahrung hat der Kreis Ludwigsburg. Der Abteilungsleiter Volker Maus erinnert sich, wie damals, 2015, Anfragen aus ganz Deutschland kamen. Bislang hätten rund 3100 Seniorinnen mitgemacht. Interessante Details: Rund 80 Prozent seien 75 Jahre oder älter, und rund 80 Prozent seien Frauen. Zum Vergleich: In Stuttgart haben von 2020 bis 2022 insgesamt 2859 teilgenommen.

Aufgrund einer Förderung durch das Land von Ende 2021 bis Mitte 2022 hatte auch der Verkehrsverbund Naldo das Tausch-Geschäft entdeckt. Zum Gebiet gehören die Kreise Sigmaringen, Tübingen, Reutlingen sowie Zollernalb. Letztere beiden hätten bereits vorher Gratis-Jahresticket gegen Führerschein getauscht, sagt der Naldo-Geschäftsführer Christoph Heneka. Auch ohne Förderung würden die Landkreise weitermachen. Der Gegenwert für das Ticket fürs Naldo-Gebiet liege aktuell bei 637 Euro, so Heneka. Zwischen Herbst 2021 und Herbst 2022 seien 1078 solcher Freiabos ausgegeben worden. „Das läuft ausgesprochen gut.“ Wenn auch mit Stadt-Land-Gefälle. Mit 87 Prozent der Tauschtickets seien Menschen aus städtischen Gegenden unterwegs, mit 13 Prozent Menschen vom Land. Ausgangspunkt seien nicht Klimaschutz oder Verkehrswende gewesen, so Heneka, sondern die Verkehrssicherheit. Senioren sind nachweislich sicherer unterwegs mit Bus und Bahn.

Verbrenner gegen 500-Euro-Gutschein

Anderes gilt in Denzlingen, einer Gemeinde mit 13 700 Einwohnern bei Freiburg. Hier ist laut Markus Hollemann, einem der wenigen deutschen ÖDP-Bürgermeister, der Klimaschutz ausschlaggebend für ein Tauschangebot. „Es geht darum, dass eine Verhaltensänderung eintritt“, sagt er. Die Kommune will bis 2035 klimaneutral sein. Um mitzumachen, muss man weder Senior sein noch sich vom Führerschein trennen. Allerdings muss man das Verbrennerauto abstoßen. Dann bekommt man einen Gutschein über 500 Euro. Man kann sich damit ein Jahresabo für den Verkehrsverbund kaufen und muss weniger als 200 Euro aus der eigenen Tasche beisteuern. Oder aber man investiert in ein E-Bike. Wer für das Geld lieber bei Händler vor Ort einkaufen will, bekommt einen abgespeckten Gutschein über 200 Euro.

Insgesamt haben laut Hollemann bisher (Stand 31. Dezember 2022) 51 Denzlinger ihren Verbrenner ausrangiert. Im vergangenen Jahr hätte die Mehrzahl der Tauschwilligen mit dem Gutschein ein E-Bike gekauft. Der Hauhalt fürs Jahr 2023 sei noch nicht verabschiedet worden, doch der Bürgermeister denkt, dass die Tauschprämie bleibt. Laut Hollemann sei sie für viele „das Zünglein an der Waage, der letzte Impuls“.

Ticketfreier Tag in Tübingen

Ob Tübinger oder nicht – in der Unistadt ist man samstags kostenlos mit dem ÖPNV unterwegs. Was am 10. Februar 2018 als Versuch begonnen hat, ist inzwischen Routine. Das Ziel, mehr Leute in die Busse zu locken, wurde laut Erhebungen erreicht. Demnach sind die Fahrgastzahlen – freilich jenseits der Corona-Hochphase – an manchen Samstagen um 30 Prozent nach oben gegangen. Exklusiv für Tübinger ist geplant, dass sie das Deutschlandticket für 39 Euro oder gar für 29 Euro bekommen. Die Stadt will bezuschussen.

Null-Euro-Ticket in Stuttgart?

Noch Zukunftsmusik, aber geplant: Die Stadt Stuttgart will ihren Bediensteten das Deutschlandticket schenken. Derzeit wird heftig debattiert, wer denn nun wirklich alles davon profitieren sollte. Die Stadt will die Kosten fürs 49-Euro-Ticket nicht nur für die eigenen Mitarbeiter übernehmen, sondern auch zu 95 Prozent für Personal der freien Träger von Kindertagesstätten. Das Null-Euro-Ticket könnte die Stadt jährlich 18 Millionen Euro kosten. Der Caritasverband sieht die Gefahr einer Zwei-Klassen-Gesellschaft – vor allem, weil die Stadt das Gratis-Ticket bei der Anwerbung von Mitarbeitern einsetzen will. Das befördere den „Kannibalismus auf dem Arbeitsmarkt“, sagte der Caritasdirektor Uwe Hardt.