Eine klare, sichtbare Botschaft der evangelischen Kirchengemeinde Rielingshausen. Foto: avanti/Ralf Poller

Die Kirchen im Kreis Ludwigsburg rufen dazu auf, sich bei der Wahl an den Grundwerten „Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammenhalt“ zu orientieren. Im Marbacher Stadtteil setzt die Kirchengemeinde ein sichtbares Zeichen.

Eberhard Weisser ist kein Mann der lauten Töne. Der Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Rielingshausen ist eher der Abteilung Vorsicht, als der Abteilung Attacke zuzuordnen. Doch die Spaltung der Gesellschaft, der Hass, die Hetze und ein zunehmender Extremismus beschäftigen den Gottesmann – und die Mitglieder seines Kirchengemeinderates.

 

„Es ist ein Segen, dass wir hier in einer Demokratie leben können“, sagt Weisser. Doch besagte Demokratie sei eben nicht selbstverständlich. Sie müsse geschützt werden. Das war vor einer Woche auch immer wieder auf der Kundgebung für Demokratie und Vielfalt in der Marbacher Altstadt zu hören. Eine Kundgebung, die ein überparteiliches Bündnis auf die Beine gestellt hatte. Die evangelische Kirchengemeinde Rielingshausen ist Teil davon.

Es fehlt an Geschichtsbewusstsein

„Es ist beängstigend, wie Autokratien überall aus dem Boden schießen“, gibt Kirchengemeinderätin Karin Schweikert Einblick in ihre Gefühlslage. In den 1970er und 1980er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat die 69-Jährige demonstriert. Es war die Zeit der Friedens- und der Anti-Atomkraft-Bewegung. „Ich habe mich mein ganzes Leben lang für Gerechtigkeit, Frieden und Menschenwürde eingesetzt und bin dafür auf die Straße gegangen. Jetzt muss man darum bangen, dass alles zerstört wird.“ Es fehle an differenziertem Denken und an Geschichtsbewusstsein, moniert die Rielingshäuserin.

Im vergangenen Sommer habe man sich im Kirchengemeinderat überlegt, ein sichtbares Zeichen zu setzen, erzählt Weisser: „Die Ergebnisse der Europawahl haben uns sehr bewegt – aber auch Sorgen bereitet.“ Nicht nur in Deutschland hatten rechtspopulistische Parteien deutlich zugelegt. Auch in Italien, Österreich und Frankreich gab es einen Rechtsruck.

Im November beschloss das Gremium, ein Banner entwerfen zu lassen. Seit ein paar Wochen hängt es zwischen Kirche und Gemeindehaus. „Gottes Liebe schließt keinen Menschen aus. Für Demokratie. Für Menschenrechte“, ist auf dem Banner zu lesen. Ein zweites soll dieses Wochenende am evangelischen Kindergarten aufgehängt werden.

Krisen sind nicht mit einfachen Lösungen zu überwinden

Vor einer Woche sind rund 400 Menschen in Marbach auf die Straße gegangen – für Demokratie und Vielfalt. Foto: avanti/Ralf Poller

Christinnen und Christen seien auch Bürgerinnen und Bürger und würden somit Verantwortung für das Gemeinwohl tragen, so der Warnruf der Kirchengemeinderäte in einem Flyer. Und die Barmherzigkeit Gottes gelte gerade auch den Randgruppen der Gesellschaft. Ein Blick in die Geschichte zeige, dass bereits 1933 viele Menschen dem Irrtum erlagen, Krisen könnten mit einfachen Lösungen behoben werden. „Zu spät erkannten auch Christinnen und Christen die schrecklichen Folgen dieses Trugschlusses und das damit verbundene Unheil“, ist im Flyer zu lesen.

Die Kirchengemeinde im Marbacher Stadtteil steht nicht alleine da. Die Kirchen im Landkreis Ludwigsburg schließen sich einer bundesweiten Kampagne zur Bundestagswahl an. Unter dem Motto „Für alle. Mit Herz und Verstand!“ rufen sie dazu auf, vom Wahlrecht Gebrauch zu machen und sich bei der Wahlentscheidung am 23. Februar an den Grundwerten „Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammenhalt“ zu orientieren. Mit ihrer Unterstützung der Kampagne wollen die katholischen und evangelischen Kirchen im Kreis „gegen die ständig steigende Zahl an rechtsextremistischen Straftaten, antisemitischen Vorfällen, Hass und Hetze in der Öffentlichkeit ein Gegengewicht setzen“, heißt es in einer Pressemitteilung.

Kirchenbezirke unterstützen bundesweite Kampagne

Den ökumenischen Wahlaufruf haben die katholischen und evangelischen Kirchenbezirke im Landkreis Ludwigsburg beschlossen: das katholische Dekanat im Landkreis Ludwigsburg sowie die evangelischen Kirchenbezirke Ludwigsburg, Marbach, Vaihingen/Ditzingen und Besigheim. Sie schließen sich damit der Evangelischen Landeskirche und der katholischen Diözese Rottenburg-Stuttgart an, die ebenfalls der Kampagne beigetreten sind.

„Der Leidensdruck ist einfach zu groß. Wir müssen etwas tun. Die AfD zeigt Gesicht und wir als Kirche müssen auch Gesicht zeigen“, sagt Karin Schweikert und verweist in diesem Zusammenhang auf die Haltung des Landesbischofs der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Ernst-Wilhelm Gohl. Der hatte in der Vergangenheit immer wieder klar Stellung gegen Rechtsextremismus bezogen und sich klar gegen die AfD positioniert. Wer die Menschenwürde derart mit den Füßen trete, wie es die AfD tue, sei für Christinnen und Christen nicht wählbar, so Gohl.