Foto: StN

Renquishausen auf der Schwäbischen Alb erzeugt mehr Strom und Wärme, als es braucht. Erwin Teufels Bruder lobt die Windkraftpioniere.

Renquishausen - Es ist windig auf dem Großen Heuberg, einer Hochfläche nördlich von Tuttlingen. Dem Bauern Sebastian Stehle aus dem kleinen Dorf Renquishausen kommt das entgegen: Er hatte schon früh die Idee, aus dem Wind Kapital zu schlagen, und setzte sie mit Pioniergeist in die Tat um. Mitte der 90er Jahre investierte er viel Zeit und geliehenes Geld in eine Windkraftanlage am Ortsrand: Von den vier Enercon-Rädern, die zusammen jährlich 1,6 Millionen Kilowattstunden Strom produzieren, gehört eines ihm.

Doch das war erst der Anfang. Als Stehle 2002 seinen Hof vom Ortskern an die Peripherie verlagerte, baute er auch eine Biogasanlage. Sie vergärt Gülle, Silage und andere organische Stoffe und setzt dabei das Gas Methan frei. Das wiederum speist einen Verbrennungsmotor, der einen Generator antreibt. Mehr als vier Millionen Kilowattstunden Strom erzeugt der Landwirt so pro Jahr - aber auch eine Menge Abwärme.

"Ich habe mir gedacht, die muss man doch sinnvoller nutzen können, als sie an die Umwelt abzugeben", sagt Stehle. In der Gemeinden keimte deshalb die Idee, die Häuser damit zu heizen. Doch selbst in einem 750-Seelen-Dorf wie Renquishausen ist es ein Kraftakt, die Energieversorgung komplett umzustellen. Vor allem muss man zunächst die Bürger dafür gewinnen. "Da war viel Überzeugungsarbeit nötig, denn die Gemeinde wollte die Sache nicht allein machen", sagt Kurt Teufel, der geschäftsführende Vorstand der Baugenossenschaft Donau-Baar-Heuberg.

Normalerweise baut und bewirtschaftet dieses Unternehmen Wohn- und Geschäftshäuser in der Region. Doch seit Frühjahr 2008 ist sie auch Teilhaber an der Nahwärme Renquishausen GmbH. Der Einstieg dieser traditionsreichen Genossenschaft bei der Nahwärmeversorgung war die goldene Brücke: Gemeinsam mit dem Energielieferanten Sebastian Stehle und der Baugenossenschaft wagte die Gemeinde die Abkehr von der fossilen Energie.

Immer mehr Bürger montieren sich mittlerweile Fotovoltaikanlagen aufs Dach

Die Bürger gewann man allerdings nicht nur mit Umweltargumenten, sondern auch mit einem attraktiven Angebot. Ziel der Preisbildung sei es, stets leicht unter dem Ölpreis zu liegen und sich langfristig von diesem abzukoppeln, sagt Teufel. Mittlerweile sind jedenfalls rund 120 von 200 Häusern angeschlossen, außerdem öffentliche Einrichtungen wie Kindergarten, Schule und Rathaus. Den ersten Winter haben die mit Nahwärme versorgten Bürger bereits ohne zu frieren überstanden. Derzeit zahlen sie als Jahresgrundpreis netto 250 Euro sowie 6,85 Cent je Kilowattstunde.

Alle Häuser wird man in Renquishausen wohl nicht anschließen, denn auf dem waldreichen Heuberg setzen viele Eigentümer auf Holz: Traditionelle Kachelöfen sind weit verbreitet. Aber schon jetzt würden durch die zentrale Wärmeversorgung rund 300.000 Liter Heizöl pro Jahr eingespart, rechnet Teufel vor - das entlastet die Umwelt um 600 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr.

Der Ehrgeiz der Renquishausener, energetisch unabhängig zu werden, wurde durch dieses Projekt aber erst richtig geweckt: Immer mehr Bürger montieren sich mittlerweile Fotovoltaikanlagen aufs Dach. Damit kommen im Jahr weitere 600.000 Kilowattstunden zusammen.

"Wir sind energieautark", sagt Teufel stolz. Ja mehr noch: Der regenerativen Stromerzeugung von zusammen rund 6,2 Millionen Kilowattstunden steht ein jährlicher Stromverbrauch von nur 3,5 Millionen Kilowattstunden gegenüber. Dass der Klärschlamm von der Abwasserreinigung mit purer Sonnenkraft getrocknet wird, versteht sich da fast von selbst.

Renquishausen hat sich so den Titel Bioenergiedorf verdient. Rund zwei Dutzend solcher vorbildhaften Orte gibt es bereits in Deutschland, und wer sich die Verbreitungskarte anschaut, dem fällt eine Ballung im südlichen Baden-Württemberg auf. Hier liegen allein sieben solche Vorzeigegemeinden - darunter Mauenheim, Bonndorf und nicht zuletzt die Stadt Rottweil.

Warum sind es hier so viele? Landwirt Stehle glaubt, dass dies mit der zunehmenden Existenznot der kleinräumigen Landwirtschaft in der Region zu tun hat: "Die Bauern haben immer mehr Probleme und springen auf den Bioenergiezug auf." Seiner Meinung nach hat es aber auch mit dem wertkonservativen und auf Sparsamkeit ausgerichteten Charakter des hiesigen Menschenschlags zu tun. Warum soll man das Geschäft den Energiekonzernen überlassen, wenn man es selbst machen kann und gleichzeitig die Umwelt schützt?

"Für mich ist klar, wohin die Reise geht", sagte Stehle, "denn in ein paar Jahren werden wir kein Öl mehr haben." Auch Kurt Teufel ist angetan von den Perspektiven einer dezentralen Energieversorgung. "Dazu braucht es Pioniere, die Visionen haben und mit Tatkraft vorangehen", lobt er den Bauern Stehle. Bei Teufel hat das durchaus eine pikante Note - denn er ist der Bruder des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel. "Und der", sagt Stehle unverblümt, "hat jahrelang gegen unsere Windräder angekämpft."