Zieger bittet den Grünen-Politiker Manfred Lucha, weitere Öffnungsschritte nicht nur von den Sieben-Tages-Inzidenzen der Landkreise abhängig zu machen, sondern weitere Merkmale mit einzubeziehen. Foto: Roberto Bulgrin

In einem Brief an den Landesgesundheitsminister mahnt der OB, nicht nur auf die Inzidenz zu schauen.

Esslingen - Die Kritik an der Lockdown- und Test-Strategie von Bund und Land wird immer lauter. Handel, Gastronomie und Kulturschaffende in Esslingen wenden sich damit an den Oberbürgermeister – immer mit Verweis auf ein Modellprojekt des Landes in Tübingen, in dem neue Wege im Umgang mit der Corona-Pandemie erprobt werden. So wie ihm gehe es auch anderen Rathauschefs und dem Landrat Heinz Eininger, schildert Jürgen Zieger nun in einem Brief an Landesgesundheitsminister Manfred Lucha. Darin bittet Zieger den Grünen-Politiker, weitere Öffnungsschritte – neben einer Schnellteststrategie – nicht nur von den Sieben-Tages-Inzidenzen der Landkreise abhängig zu machen, sondern weitere Merkmale mit einzubeziehen, wie beispielsweise die Auslastung der Krankenhäuser. Er bitte das Sozialministerium um Unterstützung, weil es Bürgerschaft und Vertretern der genannten Branchen „nicht mehr weiter zu vermitteln ist, weiterhin ohne jede Öffnungsperspektive im Lockdown zu verbleiben“. In Esslingen betrug die Sieben-Tage-Inzidenz am Donnerstagmorgen 160,4. Zieger (SPD) spricht sich dagegen aus, Modellprojekte wie in Tübingen auch in einzelnen anderen Städten und Kreisen zu starten – dafür haben sich in den vergangenen Tagen mehrere Städte und Landkreise beim Land beworben. Er halte es „nicht für zielführend, wenn einzelne Städte mit Sonderregelungen und völlig unkalkulierbaren, nicht gedeckten Kosten lokale Strategien entwickeln, um über Tests eine schnellere Öffnung von Handel, Gastronomie und der Kultur zu ermöglichen“, schreibt der Esslinger Rathauschef.

Schnelltests und Hygienekonzepte

Gleichwohl sei auch seine Stadt bereit, sich für eine erweiterte Schnellteststrategie inhaltlich, organisatorisch und in einem gewissen Umfang auch materiell einzusetzen. „Damit eine solche Teststrategie mit dem notwendigen Hygienekonzept im Sinne von verträglichen Öffnungsschritten nach Ostern wirksam ansetzen kann, bitte ich Sie jedoch seitens des Landes darum, das bislang einzige Merkmal der Sieben-Tages-Inzidenz um weitere Merkmale zu ergänzen“, schreibt Zieger an Lucha. Der Oberbürgermeister argumentiert, dass auf diese Weise Kommunen eines Landkreises eine gemeinsame Perspektive gegeben werden kann und nicht jede Kommune entsprechend ihrer finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten unterschiedlich vorgeht.

Sollte das nicht möglich sein, bitte er Lucha zumindest darum, die Sonderregelung Tübingens auf Esslingen und andere Städte auszuweiten, um Einzelhandel, Gastronomie und Kultureinrichtungen bei einer Inzidenz zwischen 50 und 100 mit negativen Schnelltests eine Öffnungsperspektive zu geben, schreibt Zieger weiter. Er spricht sich außerdem für Öffnung bei Vorliegen negativer Schnelltests aus.

In Tübingen läuft seit einigen Tagen ein Modellprojekt zu mehr Öffnungsschritten in Corona-Zeiten. An mehreren Stationen können die Menschen kostenlose Tests machen und erhalten eine Bescheinigung, mit der sie in Läden, beim Friseur oder auch in Theater und Museen Einlass erhalten.

Die Corona-Pandemie hat zuletzt nicht nur den Hoffnungen der Geschäfts- und Kulturtreibenden auf das baldige Lockdown-Ende einen Strich durch die Rechnung gemacht. Auch der Oberbürgermeister hat seine Pläne für ein Leben mit mehr persönlicher Freiheit vom Jahresbeginn auf den Spätsommer verschoben: Vergangene Woche hatte Jürgen Zieger seinen Abschied aus dem Amt Ende September verkündet. Über seine Beweggründe hat der Rathauschef nun mit ES-TV-Moderator Rafael Treite gesprochen. In dem Video-Interview erzählt er auch von den Auswirkungen des Amtes auf seine Familie, Höhen und Tiefen an der Verwaltungsspitze, der ein oder anderen verbalen Härte im politischen Diskurs und von der Blöße, die sich die Politik beim Corona-Management gibt.