Ein Stuttgarter Kino spricht seinen Gästen, die es seit Monaten nicht empfangen darf, im Lockdown Mut zu. Foto: dpa/Marijan Murat

Bund und Länder arbeiten an einem Öffnungskonzept – erste Ideen dazu gibt es, erste Zweifel auch. In etwa einer Woche will Angela Merkel mit den Länderregierungschefs erneut beraten.

Berlin - Anfangs sollte der Teil-Lockdown mit geschlossenen Kultur-, Freizeit- und Gaststätten auf den November beschränkt bleiben, der Dezember kam hinzu, seit der Vorweihnachtswoche sind auch Schulen und Kitas sowie der Einzelhandel zu. Im Januar wurde der Lockdown angesichts anhaltend hoher Infektions- und Totenzahlen verschärft und bis Mitte Februar verlängert – immerhin mit der Aussicht, dann wieder in die andere Richtung zu denken. Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) und die 16 Staatskanzleichefs der Länder wurden mit Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz beauftragt, „bis dahin ein Konzept für eine sichere und gerechte Öffnungsstrategie zu erarbeiten“.

In einer Woche, mutmaßlich am 10. Februar, will Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Länderregierungschefs beraten und entscheiden, wie es weitergeht. Zwei Ministerpräsidenten sind schon vorangeschritten und haben bereits öffentlich Öffnungskonzepte eingebracht. Aus anderen Bundesländern ist laut Merkel in den kommenden Tagen Ähnliches zu erwarten.

Schleswig-Holstein hat eine Blaupause vorgelegt

Den Anfang machte in der Vorwoche Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther (CDU) mit einem „Perspektivplan“, der aus seiner Sicht „die Blaupause für eine bundesweite Verständigung sein kann“. Am Dienstag beschloss das niedersächsische Kabinett einen „Stufenplan“, dessen Umrisse Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Sonntagabend in der ARD geschildert hatte. Er wolle den „Menschen ein Gefühl dafür geben, wie kann es denn sein, wenn wir bestimmte Fortschritte erreichen oder auch, wenn wir wieder Rückschläge erleiden“.

Die Pläne ähneln sich, weil sich die Rückkehr des öffentlichen Lebens nicht an Terminen, sondern an den wöchentlichen Ansteckungszahlen pro 100 000 Einwohner orientieren soll. Ob die Werte im Bund, den Ländern oder einzelnen Ländern den Ausschlag geben sollen, ist zwar nicht ausdrücklich definiert. Alleingänge soll es aber nicht geben, wie es aus den Staatskanzleien heißt, da etwa offene Geschäfte im einen Bundesland und geschlossene Läden im anderen nur schwer vorstellbar sind.

Bei einem Inzidenzwert von 100 oder mehr würde sich in beiden Konzepten nichts am Ist-Zustand ändern. Im Gegensatz zu Merkel, die zur besseren Nachverfolgung von Corona-Kontakten einen Wert von unter 50 als Voraussetzung für ein Ende des Lockdowns ansieht, halten Günther und Weil jedoch Lockerungen schon früher für möglich.

Aktuell lag der Wert dem Robert-Koch-Institut zufolge am Dienstag bei 90. Bliebe er eine Woche lang stabil nicht dreistellig, wäre in beiden Modellen wieder Wechselunterricht an den Schulen möglich. Der Niedersachse würde dann wieder Trauerfeiern ohne Einschränkung stattfinden lassen. Dem Kieler Plan zufolge könnten sich dann auch wieder bis zu fünf Personen aus maximal zwei Haushalten treffen und die Friseure öffnen. Nach weiteren zwei Wochen in diesem Zahlenbereich wären auch Zoos und Wildparks sowie Sportanlagen im Freien für Einzeldisziplinen wieder zugänglich. Niedersachsen kann sich dann auch die eingeschränkte Öffnung von Bädern und Märkten sowie die Wiederzulassung touristischer Tagesausflüge vorstellen.

Der Ansteckungswert 50 bleibt die magische Zahl

Sänken die Zahlen weiter und blieben eine Woche unter dem 50er-Wert, würden dem Kieler Modell zufolge die Kitas in den Regelbetrieb gehen, untere Schulklassen zum Präsenzunterricht übergehen und ältere Schülerinnen und Schüler im Wechsel kommen – nach weiteren 14 Tagen wären auch sie wieder alle in den Klassenzimmern. Auch der Einzelhandel dürfte bei Maskenpflicht und Höchstkundenzahl wieder öffnen. Zu eingeschränkten Zeiten und mit der Hälfte der Plätze wäre dies auch der Gastronomie erlaubt. Der niedersächsische Plan ist dem vergleichbar.

Die nächste Stufe wäre für Schleswig-Holstein erreicht, wenn die 50er-Marke drei Wochen lang unterboten wird. Dann könnten Hotels und Ferienwohnungen „unter Einsatz von Corona-Schnelltests“, wie es heißt, wieder Gäste aufnehmen. Restaurants dürften unter Einhaltung der Abstandsregeln wieder mehr Menschen bewirten, Theater und Kinos für kleine Vorstellungen öffnen. Dasselbe gälte für Fitnessstudios und Sportanlagen für Individualsportler im Innenbereich.

In Bezug auf die nächste Lockerungsstufe unterscheiden sich beide Konzepte. Während sich Schleswig-Holstein am bereits eingeführten Wert von 35 orientiert, um wieder Treffen von bis zu zehn Personen aus mehreren Haushalten, vollen Präsenzunterricht an Schulen und Erstsemesterveranstaltungen an Unis, den Bar-, Kneipen- und Kulturbetrieb oder erste Zuschauer bei Sportveranstaltungen zu erlauben, sieht Niedersachsen das erst bei einem stabilen Wert unter 25. Weitgehend einschränkungslos würde es erst bei einer Kennzahl unter 10 werden.

SPD-Ministerpräsident Weil will das als Handreichung, nicht als Automatismus verstanden wissen. Der CDU-Kollege Günther hat in seinem Plan zudem verankert, dass auch wieder verschärft werden muss, wenn die Infektionswerte eine Woche lang 25 Prozent über der jeweiligen Schwelle liegen.

Merkel, Söder und Kretschmann mahnen zur Vorsicht

Das geht manchen Länderkollegen dennoch zu weit. „Wir sollten jetzt auf keinen Fall den Fehler machen, gerade bei einer wachsenden Gefahr der Mutation, überstürzte Lockerungen zu machen“, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach dem Impfgipfel am Montagabend: „Alle Pläne, die jetzt gemacht werden, können nach zwei Wochen Makulatur sein.“ Kanzlerin Merkel wollte sich bei derselben Gelegenheit nicht festlegen, deutete aber ihre bekannten Bedenken gegen eine zu rasche Öffnung an. Man erhoffe sich gerade mit Blick auf die jüngsten Erkenntnisse über die Virusmutation in Portugal noch vor der nächsten Bund-Länder-Runde „mehr Klarheit über die Verbreitung der Mutation in Deutschland“. Entsprechende Erkenntnisse sollen unter anderem vom Berliner Virologen Christian Drosten kommen.

Nach den schlechten Erfahrungen, die die Stuttgarter Landesregierung mit der geplanten und dann wieder abgeblasenen Schulöffnung hinter sich hat, ist bei Ministerpräsident Winfried Kretschmann nun ebenfalls wieder größte Vorsicht geboten. Öffnungen könne es überhaupt nur geben, wenn der Inzidenzwert auf unter 50 falle, sagte er am Dienstag in Stuttgart: „Wenn wir in deren Nähe nicht kommen, wird das eher zu Verlängerungen führen“. Sein Sprecher Rudi Hoogvliet hob gegenüber unserer Zeitung hervor, der Südwesten sei mit einem Wert von 75 „auch wegen unserer nächtlichen Ausgangssperre aktuell das Land mit der niedrigsten Corona-Ansteckungsrate – wir sollten jetzt aber nicht zu schnell in eine Lockerungsdebatte einsteigen“. Mindestens die erste Stufe von Günthers und Weils Lockerungsplänen ist somit bisher nicht konsensfähig.