Die Bahn sieht sich eines massiven Investitionsstau gegenüber – jetzt sollen erneut Milliarden fließen. Foto: dpa/Frank Rumpenhorst

45 Milliarden Euro mehr bis 2027 für den Bahnverkehr – das klingt gut. Allerdings lassen die Beschlüsse der Regierungskoalition vieles offen. Wir haben nachgefragt.

Die Deutsche Bahn AG sorgt regelmäßig für negative Schlagzeilen. Das will die Koalition ändern – mit viel Geld und einem Maßnahmenkatalog.

Warum ist mehr Geld für die Bahn nötig?

SPD, Grüne und FDP haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass zum Klimaschutz bis 2030 doppelt so viele Fahrgäste auf der Schiene unterwegs sein sollen und im Güterverkehr der Marktanteil der Schiene von derzeit 19 auf 25 Prozent erhöht wird. Das wird aber ohne eine modernisierte Infrastruktur nicht funktionieren. Die Kosten für Ausbau, Reparaturen und Digitalisierung sind in den letzten Jahren teils massiv gestiegen. Deshalb muss die Regierung nachlegen.

Wofür wird das Geld eingesetzt?

Mit den zusätzlichen Mitteln soll „der Investitionsrückstau im Infrastrukturbereich abgebaut werden und die Branche mittelfristig Planungssicherheit erhalten“, so das Bundesverkehrsministerium. Details würden derzeit „im noch laufenden Haushaltsaufstellungsverfahren besprochen“. Klar ist immerhin: Der Sanierungsstau beim lange vernachlässigten Schienennetz ist gewaltig und wird von der zuständigen Deutschen Bahn auf aktuell 90 Milliarden Euro veranschlagt.

Reicht das Geld für rasche Besserung?

Der DB-Konzern habe die nötigen Investitionen bis 2027 auf 45 Milliarden Euro beziffert und sich die Koalition darauf verständigt, diesen Mehrbedarf „soweit wie finanziell darstellbar“ zu decken, heißt es im Verkehrsministerium. Zur Finanzierung sollen unter anderem Einnahmen aus dem CO2-Zuschlag bei der Lkw-Maut dienen, veranschlagt sind 20 Milliarden Euro. Ein Paradigmenwechsel, denn erstmals wird damit die umweltschonende Bahn durch Maut aus dem Straßenverkehr mitfinanziert – wie in der Schweiz.

Wie lange werden Netzausbau und Modernisierung dauern?

Die Grünen betonen, im Koalitionsausschuss erreicht zu haben, dass wichtige Ausbauprojekte zum „überragenden öffentlichen Interesse“ erklärt und so Planung, Genehmigung und Umsetzung der Projekte beschleunigt werden.

Für Genehmigungsverfahren zum Schienenausbau im Kernnetz der Transeuropäischen Netze (TEN) soll eine Frist von höchstens vier Jahren gelten. Dabei geht es um die wichtigsten Bahnverbindungen für den internationalen Personen- und Güterverkehr. So wird der viergleisige Ausbau der zentralen Nord-Süd-Strecke im Rheintal zwischen Karlsruhe und Basel wohl erst in knapp 20 Jahren fertig.

Was ist konkret geplant?

Das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz Verkehr enthält 312 Maßnahmen für die Modernisierung von Schienenwegen mit einer Länge von gut 4500 Kilometern. Der DB-Konzern will dieses Kernnetz bis 2030 komplett sanieren, dafür werden ab Spätsommer 2024 wichtige Verbindungen komplett monatelang gesperrt, zunächst Frankfurt-Mannheim, 2025 dann Hamburg-Berlin. Wegen der Umleitungen verlängern sich Fahrzeiten. Veranschlagtes Investitionsvolumen: rund 100 Milliarden Euro. Das Gesetz enthält auch 144 Autobahnabschnitte, insgesamt soll aber deutlich mehr Geld in die Schiene fließen als in weiteren Straßenbau.

Wie wird die Schiene bisher gefördert?

Das staatliche Schienennetz lässt der Bund vom DB-Konzern verwalten und zahlt dafür über die dritte Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung über zehn Jahre bis 2030 rund 60 Milliarden Euro allein für den Erhalt der Infrastruktur. In die laufende Instandhaltung soll die DB aus eigener Kasse bis dahin weitere rund 23 Milliarden Euro stecken. Der Bund zahlt zudem Aus- und Neubau, Regionalverkehr und üppige Finanzhilfen.

Wie viel Geld floss 2022 an den Konzern?

Nach vorläufigen Zahlen von Verkehrsminister Volker Wissing flossen 7,1 Milliarden Euro für Neu-, Ausbau und Erhalt, weiterhin 125 Millionen für Bahnhöfe, 980 Millionen für die Senkung der Trassenpreise und rund 900 Millionen Euro über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Insgesamt also gut 9,1 Milliarden Euro für die Infrastruktur.

Dazu kommt die Förderung des Regionalverkehrs, den der DB-Konzern mit Bahnen und Bussen zu großen Teilen fährt. 9,4 Milliarden Regionalisierungsmittel flossen an die Länder, die damit den Regionalverkehr bestellen. Außerdem zahlte der Bund 2,5 Milliarden für das 9-Euro-Ticket und 1,2 Milliarden Euro für den ÖPNV-Rettungsschirm.

Ein Fass ohne Boden?

Der Bundesrechnungshof mahnt seit Jahren Reformen an, besonders beim DB-Konzern mit seinen 324 000 Beschäftigten in aller Welt. Im jüngsten Sonderbericht zur Dauerkrise des Staatskonzerns rechnen die Prüfer vor, dass von 2019 bis 2021 im Schnitt 16,6 Milliarden Euro öffentliche Mittel pro Jahr an die DB AG flossen – und damit gut drei Milliarden mehr, als das Unternehmen im Inland an Umsatz und Infrastrukturerlösen erzielte.

Was sagen Bahnexperten der Regierung?

Die Grünen sind froh, bei Verkehrsminister Wissing und Finanzminister Christian Lindner (beide FDP) noch mehr Geld für die Schiene gegen die Interessen der mächtigen Autolobby durchgesetzt zu haben. Nun komme es darauf an, die vereinbarte Strukturreform umzusetzen, sagt deren Bahnexperte Matthias Gastel. Zudem brauche es eine Fondslösung zur überjährigen Finanzierung von Investitionen wie in der Schweiz. Zudem müssten bei DB und Eisenbahnbundesamt die Planungskapazitäten durch mehr Personal und Digitalisierung rasch erhöht werden.

Wie sieht die DB-Konkurrenz das 45 Milliarden-Paket?

Die Verbände VDV, Mofair und Güterbahnen begrüßen die Fortschritte wie die gesamte Bahnbranche. Allerdings gibt es die Sorge, dass der bundeseigene DB-Konzern weiterhin vor allem seine Interessen durchsetzt und die vielen anderen Bahnunternehmen wenig mitzureden haben. So fürchten Güterbahnen, dass sich Generalsanierung und Neubau auf Hochgeschwindigkeitsstrecken für den DB-Fernverkehr konzentriert und Maßnahmen weiter vernachlässigt werden, die für mehr Frachttransporte auf der Schiene wichtig wären: überfällige Elektrifizierung von Neben- und Ausweichstrecken, Ausbau für 740 Meter lange Güterzüge oder die Digitalisierung veralteter Stellwerke.