Polizisten mit Migrationshintergrund – wie auf dem Flughafen Frankfurt – sind noch selten. Foto: dpa

Land wirbt um Zuwanderer für den öffentlichen Dienst, eine Frauenquote soll es aber nicht geben. Integrationsministerin Öney: Verwaltung soll sich öffnen.

Stuttgart - Öffentlicher Dienst? Viele Jugendliche, Migranten zumal, haben keinen Draht zu diesem Berufsfeld. Dabei täte dies der Gesellschaft gut, meint Integrationsministerin Bilkay Öney.

Die grün-rote Landesregierung will die Bevölkerung noch stärker vom wirtschaftlichen Vorteil der Zuwanderung überzeugen. „Lediglich fünf Prozent verbinden mit Zuwanderern einen ökonomischen Nutzen“, sagt Integrationsministerin Bilkay Öney mit Blick auf die Ergebnisse einer Umfrage ihres Hauses vom Frühjahr. Als eine politische Konsequenz daraus will sie „noch mehr Überzeugungsarbeit“ leisten.

Da sich der Migrantenanteil in der Bevölkerung – im Südwesten liegt er bei 26, bundesweit bei 19 Prozent – bislang nicht in der Verwaltung widerspiegele, solle deren Anteil in der Landesverwaltung erhöht werden. Mit Werbekampagnen, einem Kongress und anderen Aktionen will Grün-Rot die Zahl von Zuwanderern in der Polizei, im Schuldienst und anderen Verwaltungsbereichen steigern.

17 Prozent von 2000 Auszubildenden mit Migrationshintergrund

Auch das soziale Netzwerk Facebook soll dabei besser genutzt werden. Bereits seit dem 24. Juli 2012 wirbt dort das Polizeipräsidium Stuttgart um Nachwuchs – unter anderem auf Türkisch und Serbokroatisch. Polizeibeamte mit Migrationshintergrund seien dort „zur Überwindung von Sprachbarrieren unterstützend tätig“, teilt Innenminister Reinhold Gall (SPD) jetzt auf eine SPD-Anfrage mit. Wie viele der Polizisten derzeit Zuwanderer sind, ist nirgends erfasst – die Anwärter werden erst seit 2009 danach befragt.

Dabei ergab sich, dass knapp 17 Prozent von 2000 Auszubildenden einen Migrationshintergrund haben. Unter den 302 Polizeianwärtern, die im Frühjahr 2012 an der Befragung teilnahmen, lag der Anteil bei 22,2 Prozent. Im Innenministerium zieht man daraus den Schluss: Da die Polizei ein Spiegelbild der Gesellschaft sei, müsse sich das auch in ihrer personellen Zusammensetzung noch stärker als bisher zeigen.

Dass auch Ausländer dort seit 1993 Dienst tun dürfen, hat den Anteil der Migranten bei der Polizei nur unwesentlich erhöht. So wurden ausweislich einer Statistik des Innenministeriums in den vergangenen 19 Jahren gerade mal 169 Beamte mit ausländischer Staatsbürgerschaft eingestellt – darunter 74 Türken und 21 Italiener. Mit diesen mache die Polizei „positive Erfahrungen“, heißt es: Nicht nur weil sie wegen ihrer Fremdsprachenkenntnis zur Lösung vieler Konflikte beitrügen, sondern auch weil sie die Akzeptanz der Polizei bei Migranten steigerten, kulturelle Missverständnisse ausräumten und Vorbild seien.

„Wenn man beim Diktat ein Auge zudrückt, werden sie nicht ernst genommen“

Diesen Effekt erhofft sich Integrationsministerin Öney auch für andere Bereiche der Verwaltung. „Dabei geht es nicht darum, sie zu bevorzugen“, sagt die Deutsche mit türkischen Wurzeln. Eine Verwaltung, die nah am Bürger und serviceorientiert sein wolle, sei vielmehr darauf angewiesen, Beschäftigte mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund zu haben.

Dass dies nur auf freiwilliger Basis geschehen kann, betont sie ausdrücklich: „Wir können keine Quote verlangen, sondern nur dafür werben, sich zu öffnen“, sagte die SPD-Politikerin. Auch von leichteren Einstellungsbedingungen für Zuwanderer hält sie nichts: „Wenn man beim Diktat ein Auge zudrückt, werden sie nicht ernst genommen, das wirkte so, als seien sie grundsätzlich schlechter.“ Viel wichtiger sei, darauf zu achten, dass sich die Schulkarrieren der Zuwanderer verbesserten – und zwar nicht nur auf dem Gymnasium: Wer die Realschule gut abschließe, habe gute Chancen für den öffentlichen Dienst.

45 Prozent der Türken können sich vorstellen, wieder in ihre alte Heimat zurückzukehren

Doch wollen die Migranten überhaupt dorthin? Schließlich gibt es Studien, wonach sich 45 Prozent der Türken vorstellen können, wieder in ihre alte Heimat zurückzukehren. „Uns ist aufgefallen, dass Migranten gern Berufe ergreifen, mit denen sie sich später selbstständig machen und in ihrer ehemaligen Heimat arbeiten können“, sagt Öney. Das allerdings hält sie für problematisch: „Wir müssen ein Umdenken bewirken und ihnen sagen: Leute, ihr seid hier Teil der Gesellschaft, wir möchten, dass ihr hier bleibt und Verantwortung übernehmt.“

Zwar zeigt sie Verständnis für Rückkehrgedanken als eine Art Sicherheit, sie warnt jedoch auch: Wer jemals versuche, nach Jahrzehnten in der früheren Heimat wieder Fuß zu fassen, der werde schnell bemerken, wie schwierig das sei. Öney: „Viele Migranten sind an die deutsche Kultur und an deutsche Umgangsformen gewöhnt.“ Eine ihrer Hauptaufgaben der vergangenen Monate lag deshalb darin, für die Einbürgerung zu werben.

Der Kampf gegen Diskriminierung ist ihr aber ebenso wichtig. Dass es diese gibt, glauben der Umfrage zufolge sehr viele Baden-Württemberger: So sagen 61 Prozent, dass Zuwanderer nicht dieselben Chancen bei der Wohnungssuche haben. Auch bei der Arbeitssuche spielt dieser Hintergrund eine Rolle. Deshalb plant Öney nun ein Pilotprojekt mit anonymisierten Bewerbungsverfahren: Damit Migranten es zumindest bis zum Bewerbungsgespräch schaffen.