Jetzt sind die Gütlesbesitzer wieder dabei, ihre Äpfel aufzulesen und zur Mosterei zu bringen. Eigentlich hatte man auf eine gute Ernte gehofft, aber der heiße Sommer macht allen einen Strich durch die Rechnung. Allenfalls ein durchschnittliches Jahr ist zu erwarten.
Nun zuckeln sie wieder durch die Gegend, die alten Traktoren mit ihren Zweiachskippern und die neuen SUVs mit ihren Alu-Anhängern – immer die prall gefüllten Jutesäcke hintendrauf, die so intensiv nach Herbst und Nostalgie riechen. Früher als sonst hat in diesem Jahr die Apfelernte begonnen; bei der Firma Häussermann in Neckartailfingen zum Beispiel kann man schon seit dem 20. August Äpfel abgeben.
Wen man auch fragt, die Antwort auf die Frage, warum dies so ist, lautet überall gleich: Der lange, heiße und trockene Sommer hat dazu geführt, dass die Bäume viele ihrer Äpfel vorzeitig abwerfen, weil ihnen das Wasser fehlt. Zudem würden viele Äpfel auch am Baum zu faulen beginnen, weil die Wespen in diesem Jahr viele Früchte angeknabbert haben. Die Gütlesbesitzer haben es deshalb eiliger als sonst, ihre Ernte in die Mostereien zu bringen.
Eigentlich war ein überdurchschnittliches Jahr zu erwarten
Der Ertrag aber fällt meist geringer aus als erhofft. Bäume ruhen sich meist im Zweijahresrhythmus aus, was man Alternanz nennt. Nach dem Ruhejahr 2021, das zudem durch viel Nässe in der Blütezeit beeinträchtigt war, wäre also heuer ein überdurchschnittliches Jahr zu erwarten gewesen. Und in diesem Frühjahr war das Wetter auch prächtig, die Blüten wurden gut bestäubt und erfuhren keine Dezimierung durch Frost oder Hagel. Erst die Trockenheit brachte die Wende, viele Bäume tragen deshalb nicht nur weniger, sondern meist auch kleinere Früchte.
Brigitte Gugel von der Mosterei Gugel in Tübingen ist sehr im Stress und hat keine Zeit zu telefonieren, der nächste Kunde stehe schon vor der Tür. Aber ja, sie hätten früher angefangen als sonst, und die Ernte falle eher schlecht aus, erzählt sie rasch. Klaus Riehle von der Mosterei Riehle in Reutlingen berichtet Ähnliches: Die Äpfel seien kleiner und fauliger und hätten wenig Flüssigkeit. Aber man dürfe nicht jammern: Letztes Jahr sei ganz „tote Hose“ gewesen, und vorletztes Jahr habe es in der Reutlinger Region Hagel gegeben. Auch in der Kelterei Alte Trott in Rastatt heißt es, man rechne eher mit einer durchschnittlichen Menge.
Der Klimawandel stresst auch die Obstbäume
Davon geht auch der Verband der deutschen Fruchtsaft-Industrie aus – insgesamt geht die Prognose von bundesweit 500 000 Tonnen aus. 2021 waren es 300 000 Tonnen. „Wir haben aufgrund der Alternanz auf eine höhere Erntemenge gehofft, aber das abnehmende Ertragspotenzial der Streuobstbestände in Deutschland wird von Jahr zu Jahr deutlicher“, sagt Geschäftsführer Klaus Heitlinger. Viele Streuobstwiesen würden eben auch sich selbst überlassen und verwilderten, zudem mache sich zunehmend der Klimastress bemerkbar – das fehlende Wasser schwäche die Bäume und mache sie anfälliger für Krankheiten wie den Schwarzen Rindenbrand oder die Misteln.
Markus Rösler, grüner Landtagsabgeordneter und Streuobst-Guru, ist bezüglich der diesjährigen Ernte nicht ganz so pessimistisch. In Sachsen-Anhalt oder Brandenburg sei die Trockenheit noch viel schlimmer gewesen. Deshalb liefere Baden-Württemberg 2022 nicht wie üblich 40, sondern sogar 50 Prozent der bundesweiten Menge. Das zeige, wie bedeutend die Bestände im Südwesten noch immer sind. Insgesamt geht Rösler von „zwei Dritteln einer sehr guten Ernte“ aus.
Für 100 Kilo Äpfel werden derzeit rund zehn Euro bezahlt
Die Abnehmer zahlen in diesem Jahr meist um die zehn Euro pro Doppelzentner. Auskömmlich ist das bei Weitem nicht – Markus Rösler und auch der Verein Hochstamm Deutschland haben kalkuliert, dass 20 Euro mindestens notwendig wären, damit sich die Rückenschmerzen nach dem Auflesen lohnen: „Der Stundenlohn liegt weit unter dem Mindestlohn“, sagt Rösler. Nach einem bundesweiten Monitoring kam der Verein Hochstamm im letzten Jahr auf einen Stundenlohn von vier Euro, und dabei seien die Nebenkosten, etwa für Geräte oder Benzin, noch gar nicht berücksichtigt.
Die fehlende Wirtschaftlichkeit sei deshalb der Hauptgrund dafür, dass sich niemand mehr bücken wolle. Rösler ist auch da etwas anderer Ansicht: Etwa 40 Prozent des Obstes werde für die Selbstversorgung genutzt, und da sei der Preis letztlich egal. Man bekomme von den eigenen Wiesen den Apfelsaft, und der sei eigentlich unbezahlbar.
Bedrohte Streuobstwiesen
Rückgang
Eine Untersuchung der Universität Hohenheim hat jüngst gezeigt, dass die Streuobstbestände im Südwesten dramatisch zurückgehen. 1965 gab es noch 18 Millionen Bäume, jetzt sind es noch 7,1 Millionen. In 30 Jahren könnten alle Streuobstwiesen verschwunden sein.
Reaktion
Die Landesregierung hat das Roden von Streuobstwiesen im Prinzip aus ökologischen Gründen verboten. Allerdings fallen aufgrund von Ausnahmegenehmigungen weiter viele Flächen Neubaugebieten oder Straßen zum Opfer.