Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling rechnet mit erneuter Bewerbung des Stuttgarter OBs.

Stuttgart - Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster will am 9. Januar die Katze aus dem Sack lassen und erklären, ob er im Herbst 2012 erneut zur OB-Wahl in Stuttgart antritt. Er wird kandidieren, glaubt der Tübinger Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling. Verlieren könne Schuster nicht viel.

Herr Wehling, Stuttgarts OB lässt bis 9. Januar alle rätseln, ob er im Herbst 2012 erneut zur OB-Wahl in der Landeshauptstadt antreten wird. Womit rechnen Sie?

Ich gehe davon aus, dass er noch einmal will. Darauf deutet hin, dass sein Vorgänger Manfred Rommel dieser Tage den Wunsch äußerte, Schuster möge noch einmal antreten. Das ist doch abgesprochen, so gut wie sich die beiden kennen. Außerdem lässt Schuster zurzeit erkennen, dass er die Versöhnung von Befürwortern und Gegnern von Stuttgart21 versuchen will. Das zeigt sich an den Forum-Veranstaltungen, die er anstrebt, und daran, dass er Professor Ortwin Renn als Moderator einsetzt.

Der nächste OB von Stuttgart wird ja auch besonders als Versöhner nach dem heftigen Stuttgart-21-Streit gefragt sein, oder nicht?

Bei der Volksabstimmung waren die beiden Lager gerade in Stuttgart nicht sehr unterschiedlich groß. Im Grunde ist die Stadt immer noch gespalten. Diese Spaltung zu überwinden, ist für jede Kandidatin und jeden Kandidaten die große Aufgabe.

Heißt das auch, wer sich selbst im Stuttgart-21-Streit exponiert hatte, kann nicht als Kandidat antreten?

Ich würde es beispielsweise nicht für sinnvoll halten, wenn sich der Grünen-Politiker und Tübinger OB Boris Palmer doch noch zur Kandidatur in Stuttgart entschließen sollte. Er war ohne Zweifel ein Exponent des Protests gegen Stuttgart21. Die Grünen müssen deshalb jemand finden, der sich nicht so exponiert hat. Das wird allerdings schwierig werden.

Ist die Lage für Schuster einfacher, weil die Mehrheit der Bevölkerung sich für Stuttgart21 entschied und er selbst als Befürworter agierte?

Auch Schuster muss bedenken, dass die Bevölkerung gespalten ist. Dass die Stadt einen OB braucht, der versöhnt und nicht die Spaltung auf sich beruhen lässt. Aber er hat offensichtlich auch verstanden, dass man nicht nur voller Stolz auf das Ergebnis der Volksabstimmung verweisen darf, sondern die Versöhnung versuchen muss.

Sie glauben ja, dass er sich für eine erneute Kandidatur entschieden hat. Aber die Umstände sind für ihn trotz positiver Volksabstimmung für Stuttgart21 nicht günstig.

Ich weiß schon, die CDU in Stuttgart will ihn nicht als Kandidaten. Und die Bürgermeisterin Susanne Eisenmann ist auch immer noch als mögliche Kandidatin im Hintergrund. Sie hat sich in Sachen Stuttgart21 ausgesprochen zurückgehalten. Aber für Schuster geht es darum, eine Volkswahl zu gewinnen. Eine gewisse Distanz zur eigenen Partei schadet dabei nicht. Der Vorgänger hat darauf ebenfalls immer geachtet. Schuster könnte schlüssig sagen, ich mache mein eigenes Ding, ohne die Partei, und er könnte versuchen, einen Teil der Stuttgart-21-Gegner mitzunehmen.

Wenn Schuster Sie fragen würde, was er tun soll - was würden Sie ihm sagen?

Ich würde ihm sagen, er kann es versuchen. Als Amtsinhaber muss er nicht besonders viel Geld in diesen Wahlkampf investieren, in dem Geld normalerweise eine große Rolle spielt. Wolfgang Schuster kennt man. Bei ihm reichen die üblichen Veranstaltungen in den Stadtbezirken und ein paar Plakate. Er würde billig davonkommen. Eine Niederlage bei der Wahl wäre zwar bitter für ihn, aber eigentlich müsste er damit leben können.

Sprechen wir von unterschiedlichen Persönlichkeiten? Wir glauben, so ein Abgang wäre für Schuster der größte anzunehmende Unfall.

Ja, er würde sich damit vielleicht schwerer tun als andere. Aber eigentlich müsste er wirklich damit leben können - auch wörtlich, nicht zuletzt finanziell. Emotional mag das anders sein.

Gibt es vielleicht auch gar keine Alternative zu Schuster im CDU-Lager?

Ich höre, dass die CDU-Verantwortlichen wohl niemand finden. Wenn Schuster noch einmal antreten will, wird sich Frau Eisenmann genau überlegen müssen, ob sie den Tanz mit ihrem Verwaltungschef wagt. Und auch der Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann wird sich kritisch fragen müssen, ob er der Richtige wäre.

Sie kennen Land und Leute. Wissen Sie keinen Rat?

Mir fiele auf Anhieb als passender CDU-Kandidat Gunter Czisch ein, der Erste Bürgermeister von Ulm, der dort nicht bei der OB-Wahl antrat, weil er die Zusammenarbeit mit OB Ivo Gönner von der SPD nicht aufs Spiel setzen wollte. Ob er die Oberbürgermeisterwahl in der Landeshauptstadt gewinnen könnte, weiß ich nicht. Aber als OB in Stuttgart wäre er nach meiner Auffassung geeignet. Mit Leuten wie ihm müsste die Findungskommission der CDU vielleicht Kontakt aufnehmen.