Die Zahl der wohnungslosen Frauen steigt weiter an. Foto: dpa

Ihre Not ist häufig unsichtbar: Beim Sommerpressegespräch der Erlacher Höhe berichten zwei von Wohnungslosigkeit betroffene Frauen von ihren Erfahrungen.

Backnang - Mit 18 Jahren hat Laura Schwarz (Name geändert) ihre Mutter verloren, danach hat sie sich Jahre lang ganz alleine um ihren schwerkranken Vater gekümmert. „Ich habe nur noch für ihn gelebt“, berichtet die 31-Jährige. Vergangenes Jahr ist der Vater gestorben – „da war ich dann halt komplett am Ende.“ Soziale Kontakte hatte Schwarz zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, ihre Wohnung ließ sie zunehmend vermüllen, auf Briefe reagierte sie nicht. Das einzige, für das ihre Kraft noch reichte, waren ihre persönliche Hygiene und ihr Job in der Gastronomie. „Der hat mich am Leben erhalten“, sagt sie rückblickend.

Den Kollegen hat die 31-Jährige nur wenig von ihren Schwierigkeiten erzählt: „Ich habe mich geschämt.“ Als ihr die Räumungsklage drohte, stellte ihr Vermieter den Kontakt zur Erlacher Höhe her. „Ich wäre sonst mit dem Müll in der Wohnung gestorben“, sagt Schwarz beim Sommerpressegespräch der Erlacher Höhe, das in diesem Jahr die Wohnungslosigkeit von Frauen in den Fokus rückt.

Scham und Schuldgefühle

Denn Frauen, erklärt Wolfgang Sartorius, der Vorstand des diakonischen Sozialunternehmens, seien in besonderer Weise von Wohnungsnot betroffen. Viele von ihnen fliehen vor häuslicher Gewalt durch den Partner und verlieren so ihr Zuhause. Ihre Not sei meistens weniger sichtbar als die der Männer, weil sie aus Scham und Schuldgefühlen heraus zunächst versuchten, private Lösungen zu finden. Das führe häufig dazu, dass sie sich in materielle, soziale und sexuelle Abhängigkeiten begeben, also beispielsweise das Wohnangebot eines Mannes annehmen, für den sie dann im Gegenzug sexuell verfügbar sein müssen, sagt Anton Heiser, der bei der Erlacher Höhe die Abteilung Ambulante Hilfen Rems Murr leitet.

In der Folge litten wohnungslose Frauen oftmals an psychischen und körperlichen Erkrankungen. In der Erlacher Höhe wurden zum Stichtag am 30. September des vergangenen Jahres 302 von Wohnungslosigkeit betroffene Frauen untergebracht, versorgt und/oder beraten. „So viele wie noch nie“, sagt Wolfgang Sartorius. In Baden-Württemberg habe die Zahl der Frauen, die in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe – nicht nur bei der Erlacher Höhe – Unterstützung suchten, mit 3316 Betroffenen im vergangenen Jahr einen noch nie dagewesenen Höchststand erreicht.

Es fehlt an Sozialwohnungen

Einen Grund dafür sieht Sartorius darin, dass der Soziale Wohnungsbau lange Zeit vernachlässigt wurde und die Zahl der Sozialwohnungen gesunken ist. Hinzu komme die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt sowie steigende Mieten nicht nur in den Ballungsräumen. „Viel menschliches Leid und Elend könnte verhindert werden, wenn das Menschenrecht auf Wohnung in Deutschland ernster genommen würde“, kritisiert Sartorius die Politik.

Leid, das auch Frau Weiß, wie sie sich für das Gespräch mit der Presse nennt, erleben musste: 33 Jahre lang hat sie „beim Daimler“ gearbeitet, bevor sie ihren Job verlor und ihr Haus nicht mehr halten konnte. Nachdem ihr Lebensgefährte verstorben war, kam sie immer wieder bei Freunden unter, bis sie irgendwann über das EH Mobil, eine mobile Tagesstätte, Kontakt zur Erlacher Höhe bekam. „Ich bin hierhergekommen mit nix“, erzählt sie. Staatliche Hilfe habe sie aus Scham nicht beantragt.

Hilfen für Alleinerziehende

Nun lebt Weiß, genau wie Laura Schwarz, im Haus Karla der Erlacher Höhe. Dort erhalten sie und acht weitere Frauen so lange Unterstützung – etwa bei der Haushaltsführung, beruflichen Perspektiven oder der Schuldenregulierung – bis sie in der Lage sind, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Die durchschnittliche Verweildauer liegt bei elf Monaten, die Einrichtung „ist eigentlich immer ausgelastet“, sagt Anton Heiser. Immer wieder müsse man Betroffene abweisen. Psychisch- oder suchtkranke Frauen ohne Krankheitseinsicht können im Haus Karla ebenso wenig betreut werden wie alleinerziehende Mütter.

Gerade für letztere brauche man im Rems-Murr-Kreis dringend Angebote, fordert Wolfgang Sartorius. Die gängige Praxis, dass wohnungslose Familien in übliche Obdachlosenunterkünfte eingewiesen werden, müsse schnellstens abgeschafft werden: „Die dort teils menschenunwürdigen Lebensbedingungen ohne die erforderliche Privatsphäre und Sicherheit in einem von Sucht und Gewalt geprägten Umfeld sind für alle Menschen, aber in besonderer Weise für Frauen und Kinder untragbar.“

Mit Sorge beobachten die Verantwortlichen der Erlacher Höhe die steigenden Zahlen der Wohnungslosen. Sie fürchten, dass bald auch wieder im Rems-Murr-Kreis mehr und mehr Menschen gezwungen sein werden, auf der Straße zu leben, wenn die Politik nicht gegensteuert.