Wahlkampffinanzierung: Riesenposter wirft Frage auf – SÖS-Kandidat Rockenbauch fordert Turners Rückzug.
Stuttgart - Ein Werbeplakat mit dem Brezelsymbol des von CDU, FDP und Freien Wählern unterstützten OB-Kandidaten Sebastian Turner schockt die Konkurrenz. Allein die Größe, exakt 15,15 auf 11,15 Meter, lässt sie trocken schlucken, noch mehr aber der Preis. Turners Brezelchen, das an einem Plakatturm an der Heilbronner Straße/Ecke Wolframstraße hängt und sich die Ärmchen reicht (Slogan: „Miteinander. Mit Turner“), kostet laut der Firma Ilg Außenwerbung regulär 79 000 Euro.
Die 79 000 Euro entsprächen rund 20 Prozent des Wahlkampfetats, den der Verein Bürger-OB Sebastian Turner bis zum Urnengang am 7. Oktober für seinen Kandidaten aufwenden will. „400 000 Euro ist das Budget, mit dem wir kalkulieren“, sagt CDU-Kreisvorsitzender Stefan Kaufmann. Er und die Mitstreiter haben den Verein am 29. Mai 2012 auch zur Wahlkampffinanzierung gegründet.
Fläche wird für 14 Tage gespendet
Der Kandidat Turner, einst als Vorstandschef der Agentur Scholz und Friends selbst führend im Werbegeschäft, muss aber außer dem Plakatdruck und der Montage laut der Firma Ilg nichts zahlen. Die Fläche werde von Ilg und dem Grundstückseigentümer, der Schwäbische Wohnungs AG, für 14 Tage gespendet, der Wohnungsbauer erhalte für diesen Zeitraum normalerweise 7500 Euro, so Turners Sprecher Stephan Schorn.
Schorn ist Sprecher des Sparkassenverbands im Land, hat dort reduziert, arbeitet seit 1. August 20 Prozent für Turner und wird dafür vom Verein entlohnt. Vor acht Jahren hat er für die Wiederwahl von OB Wolfgang Schuster (CDU) gekämpft und gewonnen. Nun soll Schorn diesen Erfolg wiederholen.
Die 7500 Euro seien eine Sachleistung, die die Schwäbische Wohnungs AG an den Verein Bürger-OB gebe, erläutert Turners Sprecher. Die Firma Ilg bringe „keine Sach- oder Geldleistung“. Das Unternehmen Ilg hat sich vor drei Jahren den städtischen Zuschlag für die lukrative Bestückung aller Litfaßsäulen gesichert.
Brezelplakat soll den gesamten August hängen bleiben, heißt es
Turners Plakatstandort an der Heilbronner Straße bringt laut der Firma Ilg täglich 130 000 Kontakte. Das Brezelplakat solle den gesamten August hängen bleiben, so die Auskunft des Unternehmens. Damit würde die Spende der Wohnungs AG 15 000 Euro erreichen. Turners Verein müsste sie gemäß seines Wahlkampfversprechens öffentlich machen. „Geldzuwendungen an den Verein werden in sinngemäßer Anwendung der Vorschriften für Parteien durch den Verein veröffentlicht“, lässt Sebastian Turner mögliche Unterstützer auf www.turner.de wissen. Parteispenden über 10 000 Euro müssen veröffentlicht, über 50 000 Euro umgehend dem Bundestagspräsidenten angezeigt werden. Der muss die Spender innerhalb von zwei Wochen öffentlich machen.
Turners Verein erhält offenbar auch Gelder aus den Kreisverbänden der ihn unterstützenden Parteien. „Alle Rechnungen werden vom Verein bezahlt“, sagt dessen Sprecherin Stefanie Schorn auf Anfrage unserer Zeitung. Der Stuttgarter CDU-Kreisverband habe „keine Position im Haushalt für den OB-Wahlkampf“, sagt Kreisvorsitzender Kaufmann, der Verein könne „nicht ins Minus gehen“. Er freue sich jedenfalls, „dass wir nun auch an einer so prominenten Fläche sichtbar sind“. Man erfahre breite Unterstützung, sagt Kaufmann.
Aus der Finanzierungsmechanik könnte sich folgendes Problem ergeben: Turners Verein ist nicht gemeinnützig, Parteien sind es. Deshalb können ihre Spender und Mitglieder Beiträge von der Steuer absetzen. Bei alleinstehenden Privatpersonen werden bis zu 1650 Euro pro Jahr angerechnet, bei Ehepaaren reduziert sich die Steuerlast um bis zu 3300 Euro. Firmen können zwar nichts absetzen, ihr Aufwand ist aber eine Betriebsausgabe, die den Gewinn schmälert und damit die Steuer drückt. Eine Quersubventionierung von Turners Verein durch Parteien würde Fragen der Finanzämter auslösen.
30.000 Euro bringen Turner und Kuhn selbst mit
„Das Steuerrecht ist sehr schwierig“, sagt Ulrich Henke, der langjährige Kreisschatzmeister der SPD. Finanzämter schauten den Parteien sehr auf die Finger, „auch der SPD, jedem Ortsverein“, fasst Henke seine Erfahrungen zusammen. Selbst wenn der Verein für den OB-Kandidaten sammele und zahle, werde es schon kompliziert. Womöglich werde das Geld als Turners persönliches Einkommen gewertet, das er dann versteuern müsste. Die Plakatfläche jedenfalls, sagt Henke, müsse mit dem regulären Preis bewertet werden, selbst dann, wenn sie im August leer geblieben wäre.
Die SPD will samt Spenden 200 000 Euro für den Wahlkampf der von ihr unterstützten Bettina Wilhelm aufbringen. 100 000 kommen laut Henke aus dem Kreisverband. 20 000, maximal 30 000 Euro steuere sie selbst bei, sagt Wilhelm, die eine „Materialschlacht“ befürchtet, bei der sie nicht mithalten könne. „Aber viel hilft hier nicht viel“, spricht sich Wilhelm Mut zu. „So ein Plakat ist nicht unser Stil“, wiegelt SPD-Wahlkampfleiter Hans Pfeifer ab.
Turner, der im jüngsten Interview mit einer Sonntagszeitung nicht bestritt, ein reicher Mann zu sein, werde selbst rund 30 000 Euro für den Wahlkampf beisteuern, heißt es im Verein. Das sei klar vereinbart, und „die Vereinbarung hält er ein“, so Sprecherin Stefanie Schorn.
Den Gegenwert eines ordentlich ausgestatteten Kompaktwagens wird auch Fritz Kuhn (Grüne) bringen. „Es werden wohl 30 000 Euro sein, genauer kann ich es nicht sagen“, so der Grünen-Kandidat. Darüber hinaus geben der Kreisverband der erfolgsverwöhnten Partei 80 000 Euro, der Landesverband 10 000 Euro, weitere 40 000 Euro werden als Spenden erwartet, sagt Thomas Dengler aus Kuhns Wahlkampfbüro.
Turners Werbefläche hat auch Kuhn überrascht. Er empfinde es „als Belästigung für die Bürger, schon jetzt derart zu plakatieren“, so Kuhn. Die Finanzierung des Banners stelle die Unabhängigkeit des Konkurrenten infrage. Er glaube nicht, dass Turner daraus Nutzen ziehen könne. „Die Stuttgarter werden keinen Großkotz wählen, sie lieben die Bescheidenheit“, sagt Kuhn, und glaubt, mit seiner Linie richtig zu liegen.
Starke Worte findet Hannes Rockenbauch, OB-Kandidat von Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS), zum Thema. Das Brezellogo stehe offenbar für die aktuelle Politikregel „Eine Hand wäscht die andere“. Turner sei „nach diesem Vorfall nicht mehr wählbar“. CDU, FDP und Freie Wähler sollten sich von ihm distanzieren. „Ich fordere Herrn Turner zum Verzicht auf seine Kandidatur auf“, so der Stadtrat.