Spannende Frage: Wer hat künftig das Sagen im Offenburger Rathaus?Foto:dpa Foto:  

Bei der OB-Wahl in Offenburg am Sonntag testet die AfD, ob sie aus einem Verbrechen Kapital schlagen kann. Im August wurde ein beliebter Arzt in seiner Praxis von einem Asylbewerber erstochen.

Offenburg - Die Marktschreier schonen noch ihre Kehlen. Der zehnte „Hamburger Fischmarkt“ in Offenburg ist eröffnet, die Buden sind gut bestückt. Ein Bauhandwerker gönnt sich eine Zwischenmahlzeit. „Oberbürgermeisterwahl? Das würde doch schon in Achern niemanden interessieren, wenn nicht dieser Kerle kandidieren würde.“ Diesen „Kerle“ hat Offenburg als OB-Kandidaten in letzter Minute bekommen: Ralf Ökzara (47): Er ist der Landessprecher der Alternative für Deutschland (AfD). Es ist das erste Mal in Baden-Württemberg, dass ein AfD-Funktionär zu einer Oberbürgermeisterwahl antritt, und dass es am 14. Oktober in Offenburg geschieht, ist kein Zufall.

„Die Sicherheitslage in Offenburg ist desaströs, das Sicherheitsgefühl kaputt“, behauptete der AfD-Kandidat bei der offiziellen Vorstellung der fünf Männer und einer Frau, die die Rathauschefin Edith Schreiner (60) ablösen möchten, die nach 16 Jahren nicht mehr antritt. Man habe ihn „gerufen“, um wieder Ordnung zu schaffen. Und selbstverständlich werde er sich als Oberbürgermeister massiv dafür engagieren, dass straffällige Asylbewerber abgeschoben würden. Der Schramberger Ralf Özkara, geboren als Ralf Helble, hat den Namen seiner türkischstämmigen Frau Rukiye, Parteifreundin und Geschäftspartnerin, angenommen. Zusammen betreibt das Paar eine Zeitarbeitsfirma für Pflegekräfte in Schorndorf und Erfurt.

„Mahnwachen“ und Trauermarsch

Warum Özkara in letzter Minute kandidiert hat, liegt an einer grausigen Bluttat, die Offenburg aufgewühlt hat. Am 16. August war ein beliebter, in der Flüchtlingshilfe engagierter Arzt in seiner Praxis von einem offenbar psychisch gestörten somalischen Asylbewerber erstochen worden. Kurz darauf mobilisierten örtliche und auswärtige AfD-Politiker „Mahnwachen“. Obwohl die Bürger bei allem Entsetzen die Nerven behielten und sich einem Generalverdacht eindrucksvoll mit einem Trauermarsch widersetzten, sei eine „gewisse Aufgewühltheit“ geblieben, bestätigt der Grünen-Gemeinderat Stefan Böhm. „Das versucht die AfD nun, für sich zu nutzen und suggeriert, dass Härte gegen Flüchtlinge die Stadt sicherer machen würde“.

Gelungen ist der AfD auf jeden Fall, sich bemerkbar zu machen. Ihr Offenburger Stadtrat Taras Maygutiak drohte Gegendemonstranten, er werde „die Reihen der Störer anschauen“ und nach „Mitgliedern des Gemeinderates und/oder der Stadtverwaltung sichten“. Stadträte der Grünen erhielten wüste Drohungen, und der Ortenauer AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Räpple forderte den Rücktritt der OB Schreiner, weil sie versuche, „den Bürgern Sand in die Augen zu streuen“ und „Ausländerkriminalität verharmlost“. Räpple und Özkara marschierten am 1. September bei der rechten Großdemonstration zusammen mit Neonazis in Chemnitz, Özkara in der ersten Reihe mit Björn Höcke.

AfD setzt auf russische Aussiedler

Dazu hat sich der Offenburger Kandidat unumwunden dort bekannt, wo er hofft, die meisten Stimmen zu holen: im Stadtteil Albersbösch. Im dortigen Quartier Kreuzschlag wohnen viele Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion. Knapp 5000 sind es in Offenburg insgesamt. Weit weg von der schönen Innenstadt sind die Häuser eher praktisch als schmuck, nicht verwahrlost, aber eben trist. Am Stadtteilzentrum hängt schon das Schild „Wahlraum“, in drei Tagen wird auch dort gewählt. Und was wählt man am Sonntag? „Nein“ – das ältere Ehepaar wendet sich ab und geht hastig weiter. Man spricht hier nicht mit Fremden, schon gar nicht mit der Presse. Man geht auch nicht auf Wahlversammlungen, auch nicht auf die offizielle Kandidatenvorstellung in der vornehmen Oberrheinhalle am Kinzigufer. Die Meinungsbildung findet anderswo statt – im Familienkreis vor allem. Das Resultat kann erst nach dem Urnengang besichtigt werden. Bei der Bundestagswahl 2017 hielt Wolfgang Schäuble (CDU) das Direktmandat, aber seine Partei verlor mehr als zehn Prozent. Der AfD-Kandidat bekam auf Anhieb 13 Prozent, im Wahllokal Albersbösch 37,5 Prozent.

Die Stadt Offenburg, Kreisstadt der Ortenau mit 60 000 Einwohnern, ist kein Sanierungsfall, im Gegenteil, sie prosperiert und steht finanziell gut da, ist durch Unternehmen wie Burda, Vivil, Grohe und Tesa international bekannt. „Ich gehe davon aus, dass der AfD-Kandidat abgeschlagen hinten liegen wird“, wagt Christoph Jopen (67) eine Prognose. Der Sozialdemokrat hat als Finanzbürgermeister den Offenburger Haushalt schuldenfrei gemacht. Im Wahlkampf ist der Pensionär für den parteilosen, von SPD und Grünen gestützten Kandidaten Harald Rau (56) von Haus zu Haus gegangen, der noch Sozialdezernent in Köln ist. „Die Stimmung ist nicht aufgeheizt, die Offenburger haben die Nerven nicht verloren“, ist sich Jopen sicher.

Vermutlich gibt es Stichwahl

Rau und der CDU-Kandidat Marco Steffens (40), Bürgermeister von Willstädt nahe Offenburg, werden wohl die ersten Plätze belegen, es kommt vermutlich zu einer Stichwahl. Die Hauptthemen bei den Häuserbesuchen, am Infostand und auf Versammlungen, sagt der Wahlkämpfer Jopen, seien der Verkehr, die Wohnungsfrage und die Unsicherheit über den Klinikstandort gewesen. Damit haben sich die Kandidaten und die Kandidatin bei der Vorstellung am Dienstag ausführlich beschäftigt.

Der AfD-Kandidat konnte oder wollte bei solchen Sachfragen nicht mithalten, seine improvisierte Rede quittierte das Publikum überwiegend mit eisiger Zurückhaltung. „Dann noch einen schönen Abend. Tschüss und keine Fragen bitte“ – so beendete der AfD-Mann seinen Auftritt nach 17 Minuten abrupt – und verschwand.