Unaufgeregter OB-Kandidat: Harald Hermann sucht Lösungen für Systemfehler. Foto: Leif Piechowski

Die OB-Kandidaten im Porträt: Harald Hermann von der Piratenpartei bringt nichts aus der Ruhe - auch ein Tiefschlag nicht.

Stuttgart - Nichts bringt ihn aus der Ruhe. Auch dieser Tiefschlag nicht: Gerade haben die Besucher der Podiumsdiskussion im Treffpunkt Rotebühlplatz probehalber abgestimmt, und Harald Hermann erhielt – null Stimmen.

Andere wären vielleicht geneigt, sich in ein Mauseloch zu verkriechen oder über einen frühzeitigen Rücktritt von der Kandidatur nachzudenken. Der Bewerber der Piraten aber bewahrt nach dem unersprießlichen Resultat bei der Volkshochschule Gleichmut. Er lichtet den Anker und hält Kurs. Die Teilnahme an der OB-Wahl ist und bleibt sein Ziel. Die weiße Flagge hissen, das kommt nicht infrage. Noch nicht. Nicht vor dem ersten Wahlgang. Wenn er da nicht mehr als zehn Prozent der Stimmen erringe, hat er gesagt, dann habe es keinen Sinn, auch noch in den zweiten Wahlgang zu gehen.

Das alles war vor den Ferien. Inzwischen hat der 52-Jährige wie die Mitbewerber viele Veranstaltungen hinter sich gebracht. Aber hat ihn das auch weitergebracht?

Attacke ist nicht sein Ding

Auch am Dienstag dieser Woche, als die Jugendräte im Rathaus die namhaften Bewerber testen und das Sextett mit Ausnahme von Hannes Rockenbauch präsent ist, segelt der Pirat eher im Windschatten mit. Würde er nicht selbst dann und wann Anmerkungen machen, dann könnte er bei der Fragerunde fürs junge Publikum ein Ruhepäuschen machen. Gefragt sind die anderen.

Wahlkampf? Bei Harald Hermann kann nur bedingt davon die Rede sein. Attacke ist nicht sein Ding. Einmal ist er sogar gesichtet worden, als er sich erhob und einem Mitbewerber stehend Beifall bekundete – nachdem der bürgerliche Kandidat Sebastian Turner das Programm für den Fall seiner Wahl vorgestellt hatte.

Kommunikation hat Hermann zwar zu dem Mittel erklärt, wie er die städtischen Probleme nach gründlicher Analyse mit anderen zusammen lösen möchte – wenn er OB wäre. Doch im ungewohnten Wahlkampfstress schalten die Piraten das Mobiltelefon nicht selten auf stumm. Und besonders kommunikativ wirkt Hermann auch auf dem Podium nicht. Der Mann mit den grauen Locken äußert sich sparsam. Als EDV-Experte bei der Stadtverwaltung ist er es gewohnt, Probleme im System einzugrenzen und sachlich zu lösen. Ohne künstliche Aufregung.

Ein netter Kerl sei dieser Hermann, sagt ein Kollege, der manchmal mit ihm zu tun hat. Aber was ihn wohl antreibe, sich um den OB-Sessel zu bewerben?

Regelmäßig soll es in Stuttgart Bürgerbefragungen geben

Ein paar Antworten darauf hat der Pirat geliefert. „Unsere Sachthemen anbringen und gut präsentieren, nur das zählt im Moment“, sagte er am Anfang der Kampagne. Hermann und die anderen Piraten haben schon die nächsten Ziele im Blick: die Bundestagswahl 2013 und die Gemeinderatswahl 2014. Außerdem die Erweiterung der Mitgliederkartei. Aus der OB-Kampagne heraus wollen sie ein Kommunalwahlprogramm entwickeln. Auch dafür formulieren sie Ziele und Visionen wie diese: Stuttgart, wo im Zusammenhang mit dem Bahnhofsprojekt so viel schiefgelaufen ist, soll ein Vorbild für Bürgerbeteiligung, kulturelle Vielfalt und soziale Standards werden. Regelmäßig soll es Bürgerbefragungen geben.

Möglicherweise ist Hermann unter den Piraten auch die beste Wahl, die Botschaften zu vertreten. Schließlich hat er als Stuttgarter, der 1959 im Bethesda-Krankenhaus zur Welt kam und in den Stadtteilen Zazenhausen, Freiberg und Rot groß wurde, einen Draht zu Stadt und Leuten. Gleichwohl eine gewisse Distanz, weil er nach der Lehre als Bankkaufmann und nach dem Abitur auf dem zweiten Bildungsweg zehn Jahre in Köln lebte. Dort studierte er Volkswirtschaft und geriet mehr und mehr in den Bann der Computertechnologie. Alles zusammen ist genügend Erfahrung, damit er Fettnäpfchen auf dem politischen Parkett ganz gut aus dem Weg gehen kann. Dabei hatte er noch vor wenigen Jahren mit dem althergebrachten politischen Metier wenig im Sinn. Es brauchte eine Art von Erweckungserlebnis, das nicht von ungefähr mit dem Computer zu tun hatte, um ihn zu aktivieren. Der Wahl-O-Mat, der online befragt werden kann und den Auskunftswilligen auswirft, welches Parteiprogramm am besten zu ihnen passt, brachte Hermann auf Kurs. Und 2009 in die Mitgliederkartei der Piraten. Seither hat er Oberwasser. Persönlich zumindest. Seither fühle er sich besser, sagt Hermann. Im Wahlkampf dagegen hat er einen schweren Stand. Denn da gibt es Konkurrenz, die viel mehr redet und auch mehr Erfahrung hat. Und solche, die viel leidenschaftlicher für ihre Ideen und Überzeugungen eintreten.

Fertig zum Ändern, wie es die Piraten auf Plakaten versprechen? Oder doch eher fertig zum Kentern? Keiner weiß, wie viele Stimmen er am 7. Oktober bekommen wird. Immerhin: Der Neustart ist jedem Computerfachmann vertraut. Auch Harald Hermann. Vielleicht macht er ja 2013 oder 2014 Gebrauch davon, wenn wieder Wahlen sind.