Anfang November hat der Landkreis Böblingen mitgeteilt, dass der jährlich verteilte Kalender mit den Müllabfuhrterminen zukünftig nur noch digital existieren wird. Das sehen einige Organisationen kritisch.
Wer wissen will, wann im Kreis Böblingen die Müllabfuhr kommt, für den genügt bisher ein Blick auf den Abfallkalender des Landkreises, der in vielen Haushalten am Kühlschrank hängt – alternativ auch an der Pinnwand. Bisher flatterte der Kalender im DIN-A3-Format – mit den Abfuhrterminen auf der einen und den Standorten der Wertstoffhöfe im Kreis auf der anderen Seite – immer um den Jahreswechsel kostenlos in gedruckter Form in die Haushalte. Jahr um Jahr, für mehr als 200 000 Haushalte. Aber das soll nun aufhören. Der Landkreis will ab 2024 rein digital darüber informieren, wann der Müll abgeholt wird. Die Gründe sind klar: Es schont die Umwelt und kostet weniger. Beispielsweise können sich die Bürger den Abfallkalender zukünftig auf der Webseite des Abfallwirtschaftsbetriebs (AWB) zusammenstellen. Alternativ gibt es eine Handy-App.
Doch nicht jedem ist es möglich, seine Informationen aus dem Internet zu holen, mahnt der Kreisseniorenrat Böblingen. „Man kann auf Familie und Nachbarn bauen, aber nicht nur“, sagt die Vorsitzende, Gabriele Wörner. Der Erste Werkleiter des AWB, Martin Wuttke, hatte nämlich mitgeteilt, man gehe davon aus, dass Personen, die weder ein Smartphone besitzen noch online unterwegs sind, in ihrer Umgebung danach fragen könnten, ob jemand ihnen den Abfallplan ausdruckt.
Leserin fühlt sich zur Bittstellerin degradiert
Eine Aussage, die eine Leserin unserer Zeitung als „zynisch“ beschreibt. Die Böblingerin beschreibt, sie sei wütend und traurig gewesen, als sie von der Neuerung bei der Bereitstellung des Abfallkalenders erfuhr. Sie sei ihr Leben lang selbstständig gewesen, habe Beruf, Familie und Ehrenämter unter einen Hut gebracht. Auch einen Angehörigen habe sie selbst gepflegt. „Aber eine Lebensleistung und menschliche Qualitäten zählen heute nichts mehr, wenn man nicht in der Lage ist, vollständig den digitalen Weg zu beschreiten“, findet sie. Sie habe zwar einen Laptop und einen Internetzugang, sei im Umgang aber „ungeschickt“. Hilfe von Familienmitgliedern und Freunden zu erbitten, schreibt sie, degradiere sie zum Bittsteller. Sie fühle sich gedemütigt, ihrer „Menschenwürde beraubt“. Selbst wenn man jemanden habe, den man fragen könne, sagt die Leserin, sei nicht sicher, dass die helfen könnten. „Die älteren Familienmitglieder sind selbst hilfsbedürftig, die jungen selten greifbar und stecken im Alltagsstress“, erzählt sie. „Dasselbe gilt für Bekannte und Nachbarn.“ In Vorbereitung auf die Umstellung habe der Landkreis neben dem Kreisseniorenrat auch andere Gremien eingeladen, die sich für Menschen mit Einschränkungen einsetzen, um sich mit ihnen auszutauschen – beispielsweise die Lebenshilfe und Beauftragte für Menschen mit Behinderung. Auch seien die PC- und Internet-Teams des Kreisseniorenrats geschult worden, anderen bei Installation und Einrichtung der Abfall-App des Landkreises zu helfen. Das bestätigt Wörner.
Kreisseniorenrat schlägt Übergangsphase vor
Es ist ein sensibles Thema, sagt sie. „Wir unterstützen grundsätzlich die Digitalisierung.“ Immerhin werde ständig gefordert, dass Ämter und Behörden in Deutschland digitaler unterwegs seien. „Wenn es dann mal eine Behörde gibt, die einen Schritt in diese Richtung macht, können wir uns nicht komplett dagegen stellen.“ Und es gebe bestimmt einen Teil der gratis verteilten Kalender, der direkt in den Müll gewandert sei.
Nichtsdestotrotz, sagt Wörner, müsse man der Tatsache ins Auge sehen, dass es immer mehr Menschen gebe, die weder Familie in der Nähe hätten, noch in der Nachbarschaft gut vernetzt seien. Zudem habe nicht jeder Haushalt einen Drucker. Für diese Menschen, hat Wörner beim Landkreis angeregt, müsse es einen analogen Umweg geben, um an einen Abfallkalender in Papierform zu kommen. „Man könnte in den Bürgerbüros und Bezirksämtern gedruckte Kalender auslegen“, sagt sie. Auch mit den Amtsblättern könne man sie verschicken. Zumindest für eine Übergangszeit von fünf bis zehn Jahren sei das eine „simple, pragmatische Lösung“.