Familiendrama in Nürtingen-Reudern: Hier hat ein Mann zwei Menschen in den Kopf geschossen. Foto: Andreas Rosar Fotoagentur-Stuttg

Er hat seine Ehefrau und den Freund seiner Tochter in Nürtingen erschossen. Dafür muss ein 53-Jähriger lebenslang hinter Gitter.

Stuttgart/Nürtingen - Jörg Geiger, Vorsitzender Richter der 9. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Stuttgart, fasst das Drama in zwei Sätze: „Der Angeklagte hat ein unfassbares Verbrechen verübt, das außer ihm niemand vorhersehen konnte. Dadurch sind zwei Familien desaströs in den Abgrund gestürzt.“

Geiger spricht über den 53-jährigen Mann auf der Anklagebank, der im Juli vorigen Jahres im Nürtinger Teilort Reudern zum Doppelmörder geworden sein soll. Die Strafkammer verurteilt den Mann zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Und sie entscheidet, dass seine Schuld besonders schwer wiege. Durch diesen Zusatz kann der Mann nicht nach 15 Jahren auf freien Fuß kommen. Er muss, so das Urteil rechtskräftig wird, mindestens 18 bis 20 Jahre hinter Gittern verbüßen.

Damit sind die Richterinnen und Richter dem Antrag der Staatsanwältin gefolgt. Der Verteidiger hatte versucht Zweifel am Tötungsvorsatz zu säen, stellte jedoch keinen konkreten Strafantrag.

Der Frau das Lebensrecht abgesprochen

Das Motiv des gelernten Schlossers, der 1990 mit seiner Frau vom Kosovo nach Deutschland übergesiedelt war, ist ein klassisches: „Wenn seine Frau nicht mit ihm leben wollte, sollte sie überhaupt nicht mehr leben“, so Richter Geiger. Der Mann habe seiner 45-jährigen Ehefrau das Lebensrecht abgesprochen. Der 40 Jahre alte Freund einer seiner Töchter war zum Opfer des Angeklagten geworden, weil er sich ihm in den Weg gestellt hatte.

Es ist der Abend des 15. Juli 2017. Die Frau, die ihrem Mann fünf Kinder geboren und mit ihm jahrzehntelang ein nach außen harmonisches Leben geführt hat, ist bei ihrer 24-jährigen Tochter und deren Lebenspartner in Nürtingen-Reudern zu Besuch. Zwei weitere Schwestern sind ebenfalls da. Kinder wuseln durch die Wohnung und den Garten. Abends zuvor hatte es Streit zwischen den Eheleuten gegeben, die Frau hatte vier Taschen gepackt, eine Trennung scheint kurz bevorzustehen.

Gezielte Schüsse in den Kopf

Der Angeklagte lässt sich von seinem Sohn nach Reudern fahren. Zu dieser Zeit habe er bereits den Entschluss gefasst, seine Frau zu töten, falls sie nicht zu ihm zurückkommt, so Richter Geiger. Vater und Sohn gehen ins Haus, es kommt schnell zum Streit, es wird handgreiflich, Vater und Sohn werden hinausbugsiert. Der 53-Jährige geht zurück zum Auto, schnappt sich die Pistole, lädt sie, lädt sie durch, entsichert sie und steckt die Luger hinten in den Hosenbund.

Als er sich dem Gartentor nähert, stellt sich ihm der Freund der Tochter entgegen. Aus einem Meter Abstand schießt der 53-Jährige dem 40-Jährigen ins Gesicht. „Gezielt“, so der Richter. Die Ehefrau will fliehen, ihr Mann schießt ihr in den Hinterkopf. „Ebenfalls gezielt“, sagt Jörg Geiger. Die Opfer hätten keine Chance gehabt, sie seien förmlich hingerichtet worden, hatte die Staatsanwältin zuvor ausgeführt. Dem widersprach der Verteidiger. Sein Mandant habe niemanden töten wollen, er sei nicht er selbst gewesen. Die Strafkammer sieht es völlig anders.

Die Tatwaffe war 104 Jahre alt

Schon die Textnachrichten, die der Vater dem Sohn geschickt hatte, sprächen eine deutliche Sprache, so der Richter. Als Huren habe er seine Frau und seine älteste Tochter bezeichnet, die man „wegmachen“ müsse. Und wenn die Frau ihn verlasse, werde sie das „teuer bezahlen“. Die Aussage des Mannes, die Schüsse müssten sich versehentlich gelöst haben, verwiesen die Richter ins Reich der Fabel.

Bei der Tatwaffe handelt es sich um eine 104 Jahre alte Neun-Millimeter-Luger, die extrem schwer durchzuladen sei und die eine Sicherung habe, so ein Sachverständiger. Versehentliche Schüsse seine höchst unwahrscheinlich. Zudem kenne sich der Angeklagte aus seiner Militärzeit mit Waffen aus, so Richter Geiger.

Nach den tödlichen Schüssen hatte der 53-Jährige seine Tochter im Haus gesucht. Ob er sie auch erschießen wollte, bleibt unklar. Nach der Bluttat hatte er selbst die Polizei alarmiert und sich festnehmen lassen. Sein Notruf sei „kühl und emotionslos“ gewesen, sagt Richter Geiger.