Foto: Pascal Thiel

Die Grenzwerte unter der Starkstromleitung im Roßdorf sollen weit unterschritten sein. Die Stadt plant dort den Bau von Sozialwohnungen, vor allem für Flüchtlinge. Der Gemeinderat soll am 12. Januar über das Thema beraten.

Nürtingen - Ein Vermerk des Ältestenrats hat im Gemeinderat in Nürtingen am Dienstagabend Aufsehen erregt: Demnach hat ein von der Stadt beauftragter Gutachter des Tüv festgestellt, dass den Wohnbauplänen der Stadt auf der Roßdorfer Nanzwiese aus rechtlicher Sicht nichts im Weg steht. Die Stadt will dort Wohnraum unter anderem für Flüchtlinge schaffen – unter einer Starkstromleitung. Kritiker halten das für unzumutbar.

OB Heirich wehrt Diskussion ab

Über den Verweis auf den Tüv, wonach die in der Bundesimmissionsschutzverordnung festgelegten Grenzwerte „bei weitem unterschritten“ würden, war der Stadtrat Klaus Fischer (Freie Wähler) gestolpert. Für ihn sei die Aussage des Gutachters „völlig unhaltbar“. „Wenn auf der Nanzwiese die Grenzwerte bei weitem unterschritten sein sollen, dann frage ich mich, wo sie überhaupt überschritten sein können“, warf der frühere Rektor der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen in die Ratsrunde.

Der Oberbürgermeister Otmar Heirich ließ sich allerdings auf keine Diskussion ein. Das Thema Nanzwiese stehe erst für die nächste Sitzung am 12. Januar auf der Tagesordnung. In seiner Haushaltsrede hatte Heirich zuvor gesagt: „In Anbetracht der sehr schwierigen Situation appelliere ich auch hier nochmals an den Gemeinderat, keine Möglichkeit zum Anmieten von Wohnraum, aber auch zur Schaffung neuen Wohnraums auszulassen.“

Gesetzlich ist der Bau von neuen Hochspannungsleitungen über bestehende Wohngebiete in Deutschland inzwischen untersagt. Anders verhält es sich laut Auskunft des baden-württembergischen Umweltministeriums bei bestehenden Leitungen. Ein Bauherr, der unter einer Trasse baue, müsse das Risiko für sich selbst abschätzen. Voraussetzung für eine Baugenehmigung sei allerdings, dass die Grenzwerte eingehalten würden.

Stadtteilvertretung findet Baupläne „menschenverachtend“

Wie berichtet plant das Rathaus auf der Roßdorfer Nanzwiese den Bau eines bis zu dreigeschossigen Wohnblocks für bis zu 60 Menschen mit geringem Einkommen. Die Pläne sehen vor, bis zu 35 Plätze für Flüchtlinge zu reservieren. Die Bürgervereinigung Roßdorf (BVR) als Interessenvertretung des Stadtteils lehnt diesen Vorschlag jedoch als „menschenverachtend“ ab. Über der Fläche verläuft eine 380 000-Volt-Leitung. Befürchtet werden gesundheitliche Risiken durch den Einfluss starker elektromagnetischer Felder.

Als Reaktion auf die Proteste hatte der Gemeinderat vor fünf Wochen die Nanzwiese in die Warteschleife geschickt. Zunächst sollten mögliche Gesundheitsrisiken geprüft werden. Bei der jetzt bekannt gewordenen Einschätzung des Tüv handelt es sich um eine gutachterliche Stellungnahme. Wegen des augenscheinlich klaren Ergebnisses erscheint es fraglich, ob der Gemeinderat für mindestens 10 000 Euro ein zusätzliches detailliertes Gutachten in Auftrag gibt.

In der Schweiz dürfte nicht gebaut werden

Dem Vernehmen nach liegt die Belastung der Nanzwiese in einem Bereich zwischen acht bis zwölf Mikro-Tesla. Dies ist die Einheit zur Messung von Magnetfeldern. Der Grenzwert liegt in Deutschland bei 100 Mikro-Tesla. Manche Länder haben strengere Grenzwerte, in der Schweiz liegt er bei einem Mikro-Tesla für Bereiche, in denen sich Menschen längere Zeit aufhalten. In der Fachwelt gibt es unterschiedliche Risikobewertungen von elektrischen und magnetischen Feldern. Wegen dieser „wissenschaftlichen Unsicherheiten“ rät das Bundesamt für Strahlenschutz grundsätzlich zur Vorsorge – auch wenn Grenzwerte eingehalten sind.

Die Jahresrede im Gemeinderat gehörte in diesem Jahr der SPD. Die Fraktionsvorsitzende Bärbel Kehl-Maurer streifte dabei auch das Thema Nanzwiese und formulierte es zugespitzt so: „Jeder braucht in irgendeiner Form Energie. Ob das jedoch mit einer 380-Kilovolt-Leitung direkt über dem Dach gut tut, ist sicherlich keine alternativlose Frage.“