Am „Denk Ort“ an der Kreuzkirche wird an Mathilde S. erinnert. Foto: privat

Die Gedenkinitiative für Nürtinger NS-Opfer erinnert an die im März 1941 ermordete Mathilde S. Die psychisch kranke Frau starb in der Gaskammer.

Nürtingen - Nur wenig ist in Nürtingen über Mathilde S. bekannt“, schreibt Anne Schaude von der Gedenkinitiative für die Opfer und Leidtragenden des Nationalsozialismus in Nürtingen über die Frau, die in der Hölderlinstadt lebte und am 10. März 1941 von den Nationalsozialisten ermordet worden ist. Die Initiative will die NS-Opfer aus Nürtingen aus dem Vergessen holen, und so ist es Anne Schaude bei ihren Recherchen gelungen, auch das Schicksal von Mathilde S. aufzudecken.

Die Nummer 51 auf der Todesliste

Mathilde S. kam in Hofs bei Leutkirch (Kreis Ravensburg) zur Welt. Nach dem Tod der Mutter heiratete ihr Vater zum zweiten Mal – in Nürtingen. Als Mathilde S. 29 Jahre alt war, wurde sie psychisch krank. Im Oktober 1910 kam sie deshalb in die Diakonissenanstalt in Schwäbisch Hall. Dort lebte sie gut beschützt bis 1940. Doch die Nazis beanspruchten die Gebäude der Diakonissenanstalt für sogenannte Volksdeutsche aus Bessarabien. So wie viele andere Patienten wurde auch Mathilde S. verlegt – in die sogenannte Staatsirrenanstalt Weinsberg. Die Einrichtung diente bei der „Euthanasie-Aktion“ der Nazis als Zwischenanstalt auf dem Weg in die Gaskammer. Am 19. November kam die 69-Jährige in Weinsberg an. Doch es war von vorneherein klar, dass ihr Aufenthalt dort nicht von langer Dauer sein würde.

Einige Monate später, genau am 10. März 1941, war Mathilde S. wieder unterwegs, dieses Mal in einem so genannten grauen Bus, wie Anne Schaude von der Gedenkinitiative berichtet. „Der ehemalige Postbus war für diese Zwecke jetzt grau lackiert, die Fenster des Busses mit Farbe überstrichen. So konnte niemand weder hinein- noch hinausschauen.“ Offiziell fuhr der Bus mit „unbekanntem Ziel“, doch weiß man heute, dass er die Gaskammer der sogenannten Tötungsanstalt Hadamar bei Limburg ansteuerte. Mathilde S. hatte die laufende Nummer 51.

Die Angehörigen erhielten gefälschte Sterbeurkunden

Für die psychisch kranke Frau endete das Leben am 10. März. Noch am selben Tag ihrer Ankunft wurde die 69-Jährige durch Kohlenmonoxidgas getötet. Mathilde S. war dabei nicht die einzige Nürtingerin, die in Hadamar ermordet worden ist. Dasselbe Schicksal erlitt auch Rosa S., die im selben Bus wie Mathilde S. saß und ebenfalls noch am Tag ihrer Ankunft umgebracht wurde. Für Maria Katharina M., die 1892 in Tübingen geboren wurde und ihre Kindheit in Tübingen verbrachte, kam von der Anstalt Heggbach über Weinsberg nach Hadamar. Sie töteten die Nazis im April 1941.

In der früheren Landesheilanstalt Hadamar sind die historischen Räume erhalten geblieben. Nach dem Krieg wurde sie zu einer Gedenkstätte mit Dauerausstellung und Archiv ausgebaut. Im Untergeschoss des damaligen Hauptgebäudes befindet sich die als Duschraum getarnte Gaskammer. Mehr als 10 000 Menschen wurden dort ermordet. Wenige Tage danach erhielten Angehörige gefälschte Sterbeurkunden mit einer „natürlichen“ Todesursache.

Das Schweigen gebrochen

Initiative
Die Nürtinger Gedenkinitiative für NS-Opfer stellt seit rund dreieinhalb Jahren Einzelschicksale an der Kreuzkirche vor. Der „Denk Ort“ wird gemeinsam mit der Stadt Nürtingen gepflegt. Die Initiative will mit ihren Recherchen den Mantel des Schweigens lüften. Die Erinnerung an den NS-Terror soll gleichzeitig eine Mahnung sein, damit Verbrechen wie damals sich nie wiederholen mögen. Als erstes gedachte die Initiative Anton Köhler. Der Sinto-Junge wurde in Auschwitz umgebracht. Bisher sind 21 Schicksale vorgestellt worden.

Internet
Am „Denk Ort“ erfährt die Öffentlichkeit in knapper Form, was den NS-Opfern widerfahren ist. Für mehr als ein paar Sätze bietet der Schaukasten an der Kreuzkirche keinen Platz. Weitaus ausführlicher sind die Schicksale indessen auf der Homepage der Gedenkinitiative im Internet dargestellt.