Von der Einmündung Drosselweg bis zur Einmündung Raidwanger Straße müssen Autofahrer die Geschwindigkeit drosseln. Foto: Horst Rudel

Es bleibt bei der Geschwindigkeitsreduzierung in Neckarhausen. Das Verwaltungsgericht in Stuttgart hegt allerdings Zweifel, ob das Tempolimit im Fall der stark befahrenen Bundesstraße 297 tatsächlich gerechtfertigt ist.

Nürtingen - Normalerweise ziehen Bürger vor Gericht, weil sie ein Tempolimit erzwingen wollen. Mit dem entgegengesetzten Fall hat sich am Freitag das Verwaltungsgericht Stuttgart beschäftigt. Ein Bewohner des Nürtinger Teilorts Neckarhausen wollte die Stadt zwingen, die Tempo-30-Regelung in der Ortsdurchfahrt wieder zurückzunehmen. Zwar scheiterte die Klage vor Gericht. Doch gleichzeitig meldete die 8. Kammer Zweifel an, ob die von der Stadt in Abstimmung mit dem Regierungspräsidium (RP) eingeführte Geschwindigkeitsreduzierung an einer Straße wie der B 297 das probate Mittel ist.

Autofahrer müssen die Ermessensentscheidung akzeptieren

Mit der Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit von Tempo 50 auf Tempo 30 will die Stadt die Anwohner vor Lärm an der stark befahrenen Bundesstraße schützen. Die Straße gilt mit Werten von bis zu 79 Dezibel als „Lärmbrennpunkt“. Angefochten hat das vor anderthalb Jahren angeordnete Tempolimit Johannes Ottenwälder. Zwar wohnt der Kläger in Neckarhausen, jedoch weiter entfernt am Ortsrand. Als nicht direkt Betroffener aber – und die 8. Kammer beruft sich hier auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – hat Ottenwälder keinen Anspruch darauf, die Ermessensentscheidung der Stadt gerichtlich prüfen zu lassen. Es reiche nicht aus, dass der Kläger als Verkehrsteilnehmer die Tempo-30-Regelung als „unsinnig“ ablehnt.

Johannes Ottenwälder wendet unter anderem ein, dass Autofahrer wegen der Einführung des Tempolimits für die Ortsdurchfahrt gut eine Minute länger benötigen. Damit lässt sich die Entscheidung der Stadt jedoch nicht anfechten, machte der Vorsitzende Richter Wolfgang Gaber die Aussichtslosigkeit der Klage deutlich.

Manche weichen auf die Ortsmitte aus

Johannes Ottenwälder zog seine Klage deshalb zurück. Damit war der Fall zwar formal erledigt. Die Kammer stieg aber dennoch tiefer ein. Er habe „durchaus Verständnis“ für Johannes Ottenwälders Argumente, erklärte Gaber. Der Kläger kritisiert auch, dass viele Autofahrer wegen des Tempolimits über die Ortsmitte ausweichen. Zwar gilt auf der Parallelstrecke durch den Ort ebenfalls Tempo 30. Es gibt dort aber keine vier Ampeln wie an der B 297, so dass etliche Autofahrer die Ausweichstrecke nutzten, monierte der Kläger.

Ob die Tempo-30-Regelung auf dem rund einen Kilometer langen Teilstück angemessen ist oder nicht, hängt für Wolfgang Gaber davon ab, welchen Stellenwert man der Bundesstraße beimisst. Die B 297 sei schließlich keine Kreisstraße, gab der Vorsitzende Richter zu bedenken. Zählungen hatten vor rund fünf Jahren ergeben, dass täglich bis zu 24 000 Fahrzeuge durch Neckarhausen rollen. „Hätte man der besonderen Verkehrsfunktion der B 297 nicht besser Rechnung tragen können, zum Beispiel mit Tempo 40?“, fragte Gaber .

Tempo 30 ist Vorstufe für ein mögliches Lastwagenverbot

Die Ordnungsamtsleiterin Angela Pixa verteidigte die Entscheidung der Stadt: Tempo 30 bringe eine höhere Lärmminderung. Johannes Ottenwälder aber hält eine Lärmschutzwand für die bessere Lösung. Dem hält die Stadt entgegen, dass Tempo 30 „die einfachste und am schnellsten umzusetzende Maßnahme“ sei.

Bei dem Streit gilt es zu beachten, dass Tempo 30 die zwingend notwendige Vorstufe für ein von Nürtingen angestrebtes Durchfahrtsverbot für Lastwagen ist. Ein solches soll nicht nur für Neckarhausen gelten, sondern auch für den Teilort Reudern, durch den die B 297 ebenfalls führt. Die Stadt hatte zunächst eine auf die Nachtstunden beschränkte Tempo-30-Regelung und ein nächtliches Verbot für Lastwagen beantragt. Das RP lehnte das ab mit der Begründung, dass damit die Lärmbelastung nicht ausreichend zu verringern sei. Daraufhin rang sich die Stadt zu dem rund um die Uhr geltenden Tempolimit durch, wobei es im Gemeinderat sehr wohl Bedenken gab, dass dies Autofahrern schwer zu vermitteln sei.

Prozessgegner ziehen unterschiedliche Schlüsse

Die Nürtinger Stadtverwaltung interpretiert den Ausgang des Rechtsstreits eindeutig. Das Gericht habe zu erkennen gegeben, heißt es in einer Pressemitteilung, dass die Ermessensentscheidung der Stadt Nürtingen grundsätzlich nicht zu beanstanden sei. „Das Gericht bestätigt unsere Maßnahme zum Schutz der Bewohner Neckarhausens und unser korrektes Vorgehen mit Unterstützung des Regierungspräsidiums“, so der Kommentar des Oberbürgermeisters Otmar Heirich. Johannes Ottenwälder hingegen kommt zu einem anderen Schluss. „Wir leben mit einer Tempobeschränkung, die keinen Sinn ergibt“, sagte der Kläger am Ende des Prozesstags. Die Lehre, die er daraus ziehe, sei, „dass Bürger in Deutschland keine Möglichkeit haben, gegen unsinnige Maßnahmen der Stadtverwaltung vorzugehen“.