Die Überreste eines Pestopfers liegen während archäologischer Grabungen in Nürnberg in der Erde. Foto: dpa/Daniel Karmann

Tausende jahrhundertealte Knochen graben Fachleute in Nürnberg aus – die Opfer einer großen Pestwelle. Forscher wollen nun dem größten Pestfriedhof in Deutschland seine Geheimnisse entlocken.

Die Grabungen auf einem riesigen Pestfriedhof aus dem 17. Jahrhundert in Nürnberg nähern sich langsam dem Ende. Die Überreste von mehr als 2000 Toten aus dem 17. Jahrhundert sind nach Angaben von Stadtarchäologin Melanie Langbein bereits freigelegt. Einige Hundert weiterer Pestopfer erwartet sie noch unter der Erde.

 

Fest steht ihr zufolge schon jetzt: Es handelt sich um den größten Pestfriedhof, der bisher in Deutschland entdeckt wurde. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse könnten vielschichtig und überraschend sein.

Die Knochen der Pestopfer sind grün verfärbt, weil eine Kupfermühle früher auf dem Grundstück Abfälle entsorgt hatte.  Foto: dpa/Daniel Karmann

Bis zu 3000 Pesttote wurden bestattet

Dass es sich um eine große Entdeckung handelt, das war Langbein und ihrem Team bereits Anfang des Jahres klar. Damals hatte sie laut Hochrechnungen mit mehr als 1000 Toten gerechnet, die nach Ansicht der Fachleute in den Jahren 1632/1633 während einer großen Pestwelle gestorben waren. Am Ende könnten es nun 2800 bis 3000 sein.

Diese Zahl sei schon sehr überraschend, betont Langbein. Die Toten liegen ihr zufolge in vielen Schichten übereinander. Bis zu eineinhalb Meter tief müssen sich die Fachleute in die Erde graben, um die Knochen vorsichtig freizulegen. Diese sind grün verfärbt, weil eine Kupfermühle früher auf dem Grundstück Abfälle entsorgt hatte.

Knochen erzählen vom Leben damals

Aus den Knochen lässt sich laut Langbein jede Menge über die Menschen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ablesen. „Wir haben von den Altersklassen alles mit dabei: Alte, Junge, Männer, Frauen, kleine Kinder, Säuglinge. Da ist der komplette Bevölkerungsquerschnitt vorhanden. Und das macht die Sache dann auch so spannend, wenn es an die anthropologische Auswertung geht.“

Anhand der Knochen können die Forscher unter anderem herausfinden, wie es den Menschen damals ging, welche Krankheiten sie plagten, wie hart sie arbeiten mussten und ob sie unter Mangelerscheinungen litten.

Nürnberg hatte um 1620 rund 50 000 Einwohner. Zwischen 1632 und 1634 habe es in Nürnberg eine große Pestwelle mit 15 000 bis 25 000 Toten gegeben. Foto: dpa/Daniel Karmann

Zahn-DNA verrät wichtige Erkenntnisse

Wichtige Erkenntnisse erhoffen sich Forscher nach Angaben Langbeins auch über die Entwicklung der Pest, denn aus den Zähnen der Toten könnte DNA des Erregers extrahierbar sein. Eine andere Forschungsarbeit rücke Darmparasiten in den Fokus, für die die Fachleute bereits Proben aus den Becken der Toten entnahmen.

Zudem interessiere sich ein Forensiker für Insektenreste aus den Massengräbern und will dadurch präzise Angaben über die Todeszeit bekommen, wie die Grabungsfirma In Terra Veritas in einem Video erläutert.

Mode aus vergangenen Zeiten wird lebendig

Spannend sei auch, dass in dem Sandboden Kleidungsreste erhalten geblieben seien, erläutert  Langbein. Leder, Wolle und Textilien verrotten sonst schnell im Boden. Das ermögliche Rückschlüsse auf die Alltagskleidung, weil die Toten in den Massengräbern nicht wie sonst üblich im Leichenhemd bestatten worden seien, so die Stadtarchäologin. Und genau über diese alltägliche Mode sei weniger bekannt als über Festtagskleidung und Prachtgewänder, die zum Teil über Jahrhunderte erhalten geblieben seien.

Die Forschung stehe aber noch am Anfang, unterstreicht Langbein. „Das ist ein Projekt, das sich sicherlich über mehrere Jahre ziehen wird.“ Jetzt stehe vor allem die Ausgrabung im Vordergrund, damit das Gelände möglichst bald für Bauarbeiten freigegeben werden kann. Auf dem rund 5900 Quadratmeter großen Grundstück sollen dann ein Pflegeheim und Wohnungen für Senioren entstehen.

Info: Pest – Geißel der Menschheit

Inbegriff von Infektionskrankheit
Die Pest ist Inbegriff ansteckender, todbringender Krankheiten. Durch das Bakterium Yersenia pestis ausgelöste Pandemien rafften Millionen Menschen dahin. Daneben gab es in der Spätantike, im Mittelalter und in der Neuzeit immer wieder regionale Pest-Epidemien – auch in Süddeutschland. Historiker unterscheiden drei große weltweite Pest-Pandemien:

  • Justinianische Pest mit der ersten Welle in den Jahren 541 bis 544, auf die bis Mitte des 8. Jahrhunderts mehr als ein Dutzend weitere Wellen in Europa und im Mittelmeerraum folgten.
  •  Schwarzer Tod, der Europa, Vorderasien und Nordafrika im 14. Jahrhundert heimsuchte.
  •  Dritte Pandemie, die ab Ende des 19. Jahrhunderts in Süd- und Ostasien wütete und sich auch nach Madagaskar und Lateinamerika ausbreitete.

Pestausbruch in Ellwangen
Als Arbeiter im Jahr 2013 begannen, den Marktplatz von Ellwangen umzubauen, stießen sie auf etliche Skelette. Mitten in der Stadt im Osten Baden-Württembergs tauchte ein Massengrab auf, in dem um die Mitte des 16. Jahrhunderts mehr als hundert Menschen bestattet worden waren.

Massiver Bevölkerungsschwund
Auch in den Jahrhunderten danach flackerten immer wieder Pestepidemien auf, die allerdings deutlich glimpflicher verliefen, weil die Menschen sich an den Erreger gewöhnt hatten und lernten, die Gefahr zu meistern. Besonders betroffen aber waren fast immer Hafenstädte und Ballungsgebiete. Die extreme Sterblichkeitsrate durch die großen Pestepidemien im 14. und 15. Jahrhundert führte auch in Süddeutschland zu verheerenden Bevölkerungsverlusten. So wurde die Bevölkerung in Württemberg und der Pfalz bis zu 50 Prozent dezimiert. In Bayern, Schwaben und Franken starben zwischen 30 und 50 Prozent der Bewohner.

Eine Epidemie folgt der nächsten
Doch war es wirklich immer die durch das Bakterium Yersinia pestis ausgelöste Infektionskrankheit? Im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit grassierte mehr als eine Seuche. Ruhr, Infektionen der Atmungsorgane, Tuberkulose, Typhus, Grippe, Masern, Pocken, Cholera, Lepra: Eine Epidemie folgte über Jahrhunderte in Europa der nächsten. Um welchen Erreger es sich konkret handelte, lässt sich heute – auch aufgrund der oft mageren Quellenlage – kaum noch rekonstruieren. Vor allem in Kriegszeiten wie während des Dreißigjährigen Krieges 1618 bis 1648 wüteten Pest und Fleckfieber – auch Kriegspest genannt. Erreger der durch Läuse und Flöhe übertragenen Infektion sind Bakterien der Gattung Ricketttsien. 1633 bis 1635 gehören zu den schlimmsten Pestjahren in der deutschen Geschichte. So starben nach der Schlacht von Nördlingen im August 1643 Tausende an der Pest.