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Im NSU-Verfahren tritt ein maskierter Verfassungsschützer als Zeuge auf. Seinen ominösen Aktenordner stellt das Gericht sicher.

München - Reinhard Görlitz hat sich trotz des Sonnenscheins draußen drinnen dick eingemummelt: Kapuzenpullover, seinen stattlichen Körperbau hat er offenbar einem polsterndem Schaumstoffbauch zu verdanken, braune Perücke, dicke Hornbrille. In seinem Mummenschanz bewegt sich der Verfassungsschützer aus Brandenburg so elegant wie sonst nur die Maskottchen der Fußball-Bundesligisten. Im Verfahren gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe soll der V-Mann-Führer mit dem Tarnnamen „Görlitz“ über seine Quelle „Piatto“ aussagen.

Die hieß mit bürgerlichem Namen Carsten Szczepanski, hatte zu Beginn der 1990er Jahre begonnen, in Deutschland die Rassistentruppe Ku-Klux-Klan aufzubauen und am 8. Mai 1992 den nigerianischen Asylbewerber Steve Erenhi mit einer 18 Neonazis umfassenden Meute niedergeschlagen. Erenhi lag längst bewusstlos am Boden, als jemand „das Schwein verbrennen“ wollte. Weil aber das Benzin fehlte, wurde der besinnungslose Lehrer zu einem nahegelegenen See geschleppt und reingestoßen. Dass Steve Erenhi den Abend überlebte, verdankte er einem Türsteher, der ihn in „buchstäblich letzter Sekunde“aus dem Wasser zog.

Szczepanski wurde zu acht Jahren Haft verurteilt und bot sich im Gefängnis den Geheimen als Quelle an. Bald schon versorgten die Agenten ihre Vertrauensperson mit einem Handy, zahlten ihm ein Zubrot und chauffierten ihn als Freigänger vom Gefängnis zu Neonazi-Treffen – auch der wie ein Teddybär vermummte „Görlitz“.

Monotone Kurzantworten vor Gericht

Der gibt sich vor dem Münchener Oberlandesgericht (OLG) einsilbig. Schon bei der ersten Frage nach einem weiteren brandenburgischen V-Mann verweist der Spitzelführer auf seine einschränkende Aussagegenehmigung. Ob Szczepanski Zugang zu Waffen hatte, will ein Anwalt wissen? „Ist mir nicht bekannt.“ Die Frage nach einem weiteren bekannten Neonazi. „Weiß ich nicht.“

Vor seinen monotonen Kurzantworten blättert der Geheime in einem vor ihm liegenden Aktenordner. In dem – stellt sich auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl heraus – hat Görlitz „Unterlagen und Kopien, die ich zur Vorbereitung meiner Aussage gefertigt habe“ abgeheftet. Insgesamt habe er in vier Aktenordnern studiert, die nur die Zeit 1996 bis 1997 umfassen.

Deutlich weniger wurde bislang dem Gericht zu Carsten Szczepanski übergeben. Der ist deswegen für das NSU-Verfahren interessant, weil auf seinem vom Verfassungsschutz gestellten Handy am 25. August 1998 eine SMS einging. „Wo ist die Bums?“, wollte der mutmaßliche Fluchthelfer des Trios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Zschäpe, Jan Werner, wissen. Ermittler mutmaßen, dass mit „Bums“ eine Waffe gemeint ist. Zu der Zeit wurden in der rechten Szene nach Waffen für das wenige Monate zuvor abgetauchte Trio um Zschäpe gesucht.

Blick in Görlitz- Aktenordner wäre spannend

Auch für Baden-Württemberg ist Szczepanski sehr interessant: In der letzten Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses will ein Zeuge den Neonazi 1998 in Korb am Neckar erkannt haben. In einem als geheim eingestuften Bericht informierten die Verfassungsschützer in Mecklenburg-Vorpommerns ihre Südwesten-Kollegen am 30. September 1996 über die Umtriebe einer Stuttgarter Ku-Klux-Klan-Gruppe unter der Führung des Neonazis Markus Frntic. Auch diese Spur führt zu Szczepanski. Schon aus diesem Grund wäre ein Blick in den Görlitz- Aktenordner auch für die Abgeordneten des Landtages spannend.

Zumal der in der Hand der Richter ist: Opferanwälte regen an, Verfassungsschützer „Görlitz“ solle seine Unterlagen dem Strafsenat übergeben. Richter Götzl nimmt die Empfehlung auf: Der Ordner könne sichergestellt und versiegelt werden. Dann könne Brandenburgs Innenminister entscheiden, wie er in der Sache verfahren wolle: Die Akte sperren oder freigeben.

Genauso verfährt Götzl nach einer erregten, halbstündigen Diskussion im Gerichtssaal. Ein sichergestellter Gewinn für Opferanwalt Alexander Hoffmann: Angesichts des Gedächtnisausfalls von Szczepanski und seinen V-Mannführer seien „die Deckblattmeldungen des V-Mannes zu möglichen Waffenkäufen für den NSU, dessen Aufenthalt in Chemnitz und zu den Banküberfällen für den Prozess von einiger Bedeutung“. Übrigens: Szczepanski lebt heute im Zeugenschutz.