Die Namen der Opfer der mutmaßlichen Terrorgruppe NSU sind in Kassel in einen bronzenen Gedenkstein gegossen. Foto: dpa

Zehn Morde und zwei Sprengstoffanschläge werden der mutmaßlichen Rechtsterroristin Beate Zschäpe zur Last gelegt. Die Anwälte der Opfer kritisieren jetzt: Die Aufklärung der Straftaten wird durch die Bundesanwaltschaft behindert.

Zehn Morde und zwei Sprengstoffanschläge werden der mutmaßlichen Rechtsterroristin Beate Zschäpe zur Last gelegt. Die Anwälte der Opfer kritisieren jetzt: Die Aufklärung der Straftaten wird durch die Bundesanwaltschaft behindert.

Stuttgart - An manchen Tagen geht es im Gerichtssaal zu wie in einem Tollhaus. Wenn eine Friseurin aus Hannover nie darüber nachgedacht haben will, warum ihr einer der Angeklagten 300 Euro für ihre Krankenkassenkarte zahlte. Genau jene AOK-Karte, mit der die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe dann später einen Arzt aufsuchte. Oder wenn ein Thüringer Neonazi behauptet, wenn er mal mit Zschäpe über Politik diskutierte,dann hätten sich die beiden über das Atommülllager Gorleben unterhalten.

„Die Lügen sind ganz offensichtlich“, macht der Kieler Opferanwalt Alexander Hoffmann dann meist seinem Ärger Luft. Und zieht sich ebenso oft einen Rüffel von einem der vier Staatsanwälte zu, die Zschäpe und vier ihrer vermeintlichen Unterstützer angeklagt haben. „Hier geht es um die Personen, die angeklagt sind, und um die konkreten Vorwürfe, die diesen Personen gemacht werden. Deswegen gehören weitere Ermittlungen nach möglichen weiteren Unterstützern oder möglichen weiteren Straftaten des NSU nicht in die Hauptverhandlung, sondern sie gehören in das Ermittlungsverfahren. Und dort finden sie auch statt“, watschte Bundesanwalt Herbert Diemer kürzlich den Juristen aus dem Norden ab.

Ein Umgang, gegen den sich Hoffmann und 32 seiner Kollegen jetzt wehren. Die Bundesanwaltschaft versuche „sämtliche Aufklärung zu blockieren, die über ein bloßes Abhaken der formalen Anklagepunkte hinausgeht“, kritisieren die Anwälte der Opfer der zehn Morde und beiden Sprengstoffanschläge, die dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zur Last gelegt werden. „Obwohl erst knapp über zwei Jahre lang die Existenz des NSU offiziell bekannt ist, hat das große Abhaken schon begonnen“, heißt es einer gemeinsamen Erklärung der Advokaten.

Zu viele Fragen sind für die Juristen offen: Wer war noch im Netzwerk des NSU aktiv? Wer half vor Ort? Wie finanzierte sich die mutmaßliche Terrorgruppe? Was und wie viel wussten die Geheimdienste? Hoffmanns Fragen zielen meist genau in diese Richtung. Wo Richter und Staatsanwälte oft geduldig sanft Zeugen befragen, deren Ausflüchte und Erinnerungslücken akzeptieren, setzen der Kieler und viele seiner Kollegen die Zeugen unter Druck.

Gestoppt werden sie nicht selten durch die Ankläger. Hoffmann ist überzeugt: „Wir müssen so lange Fragen stellen, bis wir Antworten bekommen. Wir können uns gerade in diesem Prozess nicht mit Schweigen und Ausweichen begnügen.“

Zumal sich die Opferanwälte auch an anderer Stelle in ihrer Arbeit behindert fühlen: „Akteneinsichten werden faktisch verunmöglicht oder – in die Akten gegen eine unbekannte Anzahl an weiteren Beschuldigten – erst gar nicht gewährt“, kritisieren die Rechtsanwälte. Erst vergangene Woche hatten übrigens mit Ausnahme der Grünen in Baden-Württemberg die Fraktionen im Landtag beschlossen, keine offenen Fragen zum Thema NSU mehr zu haben.