Erfuhr erst aus unserer Zeitung, was seine Spitzenbeamten so alles treiben: Innenminister Reinhold Gall (SPD) Foto: Leif Piechowski

Aus der Zeitung hat Verfassungsminister Gall erfahren, dass seine Ministerialen den Job der Parlamentarier im NSU-Untersuchungsausschuss machen: Vermeintliche Missstände beurteilen und an die Staatsanwaltschaft melden.

Stuttgart - Bis zum 10. September 2015 muss Innenminister Reinhold Gall (SPD) geglaubt haben, dass in seinem Haus alles wie am Schnürchen lief. Muss er darauf vertraut haben, dass seine Mitarbeiter ihm sofort melden würden, wenn im Innenressort etwas passieren würde, was auch nur den Anschein davon hätte, brisant zu sein. An diesem 10. September wurde Gall eines Besseren belehrt.

An diesem Tag berichtete unsere Zeitung, dass das Innenministerium eine Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Verdachts des Geheimnisverrats stellte. Unbekannt ist in diesem Fall ein überschaubarer Kreis von Abgeordneten des Landtages, Parlamentarischen Mitarbeitern des NSU-Untersuchungsausschusses sowie den Ministerialen, die die Landesregierung in dieses Gremium entsandt hat. Gegen sie ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart, weil einer oder mehrere von ihnen Informationen aus einer nichtöffentlichen Sitzung an unsere Zeitung weitergegeben haben sollen. Das die staatsanwaltlichen Nachforschungen auslösende Schreiben hatte ein Mitarbeiter Galls schon am 20. Juli an Kollegen im Innenministerium geschickt – ohne seinen Minister darüber zu informieren.

Der Hausherr erfuhr vom Treiben seiner Untergebenen erst nach 52 Tagen – aus der Zeitung. Das geht aus einer aktuellen Antwort der Innenministerialen auf eine Anfrage des FDP-Fraktionschefs Hans-Ulrich Rülke hervor. In der heißt es auf die Frage, wann und wie Gall von den einzelnen Aktivitäten in seinem Haus erfuhr: „Herr Innenminister Gall erhielt durch die Presseberichterstattung der Stuttgarter Nachrichten vom 10. September 2015 Kenntnis von dem Vorgang.“

Bittbrief aus Innenministerium nimmt Parlament ins Visier

Der birgt doppelte Sprengkraft: Der Bittbrief aus dem Innenministerium nimmt das Parlament ins Visier. Denn gegen die Abgeordnete und deren Mitarbeiter im NSU-Untersuchungsausschuss richtet sich der Vorwurf vor allem. Zudem hat er ein zweites Ziel: Er soll und will das Vertrauensverhältnis von Journalisten und deren Gesprächspartner zerstören. In den vergangenen Monaten waren zahlreiche Fälle öffentlich bekannt geworden, die für das Innenministerium peinlich waren: Von Akten des Verfassungsschutzes, die den Parlamentariern vorenthalten wurden.

Von einem Disziplinarverfahren, das Galls Ausschussbeamte gegen einem unliebsamen Polizisten initiierten. Der hatte sich vertraulich an die NSU-Rechercheure des Landtages gewandt. Es wurden Ermittlungspannen im Fall des Neonazi-Aussteigers Florian Heilig bekannt. Und – wie in dem Fall der Strafanzeige – die Aussage eines V-Mann-Führers des Verfassungsschutzes offengelegt, sein Amt habe einen Spitzel nicht etwa wegen dessen rassistischer Gesinnung gefeuert, sondern nur deswegen, weil er log. Man habe sogar versucht, dem Informanten Brücken zu bauen.

FDP-Mann Rülke bilanziert: „Innenminister Gall hat sein Ministerium offenbar nicht im Griff, wenn er in einer so politisch heiklen Sache erst aus der Zeitung erfährt, was seine Mitarbeiter eineinhalb Monate zuvor mit Einbeziehung des Justizministeriums in Gang gesetzt haben.“

Der ministeriale Geheimnisverrat bleibt im wesentlichen ohne Konsequenzen: Galls Männer im NSU-Ausschuss dürfen zwar künftig nicht mehr zu hören, wenn Abgeordneten vertrauliche Briefe an den Ausschuss diskutieren. Solche Post bekommen die Beamten auch nicht mehr zu lesen. Das sind dann auch schon die Folgen für den Geheimnisverrat im Innenministerium. Den wollen die Abgeordneten des Ausschusses offenbar auch nicht ahnden. Dabei wirft vor allem die Tatsache Fragen auf, dass ein Beamter das machte, was ureigene Aufgabe der gewählten Abgeordneten ist: Vermeintliche Missstände in den eigenen Reihen zu bewerten und gegebenenfalls zur Anzeige zu bringen.

Sein Gremium, sagt dessen Vorsitzender Wolfgang Drexler (SPD), habe das Problem durch die Informationsblockade gelöst, „weil wir aus zeitlichen Gründen das nicht mehr weiter verfolgen wollen“. Seien Fraktionen der Meinung, den Fall klären zu wollen, „müssen sie das in den Innenausschuss bringen“. Galls Beamte wird diese Haltung freuen: Die Antwort auf die Anfrage Hans-Ulrich Rülkes formulierte einer von Galls Ausschussbeamten: Genau der, der seinen Minister 52 Tage lang im Dunkeln lies.