Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses des Landtags von Baden-Württemberg besichtigen in Heilbronn die Umgebung des Tatorts. Foto: dpa

Was geschah am 25. April 2007 auf der Theresienwiese in Heilbronn? Noch immer sind die Umstände des mutmaßlichen NSU-Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter ungeklärt. Zeugen haben am Tatort mehrere blutverschmierte Männer gesehen haben – aber die Aussagen sind widersprüchlich. Ein Besuch am Tatort in Heilbronn.

Heilbronn - Das Einschussloch ist noch zu sehen. Axel Mögelin markiert mit seinem Finger an dem roten Trafohäuschen die Stelle, an der vor mehr als acht Jahren das Projektil einschlug. Der Beamte des Landeskriminalamtes versucht den Landtagsabgeordneten des NSU-Untersuchungsausschusses zu erklären, was am 25. April 2007 auf der Theresienwiese in Heilbronn geschah. Damals starb die Polizistin Michèle Kiesewetter durch einen Kopfschuss, ihr Kollege Martin Arnold wurde schwer verletzt – mutmaßlich durch Rechtsextremisten vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU).

Mögelin versuchte als Chef der „Sonderkommission Parkplatz“ ab Juli 2010 den Mord aufzuklären. Ermittler aus Heilbronn hatten sich zuvor an dem Fall die Zähne ausgebissen. Erst das Auffliegen des NSU im November 2011 brachte Licht ins Dunkel: In einem Wohnwagen fanden Ermittler die Dienstwaffen der beiden Polizisten – neben den Leichen der mutmaßlichen NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.

Um sich ein besseres Bild vom Tatort in Heilbronn zu verschaffen, waren die Parlamentarier vom Untersuchungsausschuss am Montag auf die Theresienwiese gekommen. Dort erinnerte vieles an die Szenerie der Bluttat im April 2007: blauer Himmel, strahlende Sonne, ein großes Maifest mit Karussells und Riesenrad im Aufbau. Um die Situation nachzubilden, hatten die Ermittler ein Polizeiauto neben das kleine gemauerte Trafohaus gestellt – genau dort, wo Kiesewetter und Arnold bei einer Vesperpause von den Tätern überrascht wurden.

In einer „absolut arg- und wehrlosen Situation“, wie Mögelin sagt. Mit „enormem Kraftaufwand“ hätten die Täter ihren Opfern dann Dienstwaffen und Ausrüstungsgegenstände abgenommen. Laut polizeilichen Analysen hätten sie sich dabei mit dem Blut der getroffenen Beamten beschmutzen müssen. Und tatsächlich wurden in der Nähe des Tatortes von mehreren Zeugen blutverschmierte Männer gesehen. Auch diesen Spuren versuchte der Untersuchungsausschuss mit Mögelin am Montag zu folgen, begleitet von Journalisten. Am Neckar zeigte der Kriminaloberrat eine Stelle, an der sich ein Unbekannter Blut von den Händen gewaschen haben soll. Das sagte zumindest ein Hinweisgeber, der sich allerdings erst zwei Jahre nach der Tat meldete. Auch im nahen Wertwiesenpark ließ sich rekonstruieren, wo flüchtende Männer gesehen worden sein sollen. Zwei Zeugen sahen außerdem blutverschmierte Personen, die in wartende Autos hechteten und davonfuhren.

Was auffällt: Keiner der Männer soll eine Ähnlichkeit mit den als Täter vermuteten Neonazis Böhnhardt und Mundlos besitzen. Angefertigte Phantombilder erinnern nicht an die beiden. Die Zeugenaussagen legen außerdem nahe, dass mehr als zwei Personen an der Tat beteiligt gewesen sein könnten. Laut Generalbundesanwalt handelten Mundlos und Böhnhardt als Duo, verließen die Stadt mit einem Wohnmobil.

„Wir hatten viele Puzzleteile vor uns liegen“, sagte Mögelin am Montagnachmittag nach der Tatort-Begehung bei einer Sitzung des Untersuchungsausschusses im Heilbronner Rathaus. Insgesamt seien sie 1032 Hinweisen nachgegangen. Es gebe keine zwei Zeugenaussagen, die sich gegenseitig ergänzen und ein stimmiges Gesamtbild ergeben würden. Auch die einzige Zeugin, die Angaben über den unmittelbaren Tatverlauf machte, habe sich in Widersprüche verwickelt. Sie habe von drei Männern berichtet, die von dem Polizeiauto weggelaufen seien. Die Frau sei allerdings durch ihren Alkoholkonsum schwer gezeichnet und verkehre in der Obdachlosenszene.

Die Bilanz des Ausschuss-Vorsitzenden Wolfgang Drexler (SPD) fiel dementsprechend kritisch aus: „Kaum eine Zeugenaussage stimmt mit einer anderen überein.“ Es werde für den Ausschuss eine schwierige Arbeit werden. Grünen-Obmann Jürgen Filius sprach von einer „Herkulesaufgabe“ für das Gremium. LKA-Ermittler Mögelin wird am 22. Mai noch einmal vom Untersuchungsausschuss befragt werden.