Auf der Suche nach der Wahrheit hinter der offiziellen Geschichte: Birgit Minichmayr als Olga und Ronald Zehrfeld als Dengler Foto: ZDF

Am Montag zeigt das ZDF die dritte Verfilmung eines Dengler-Romans von Wolfgang Schorlau. In der „Schützenden Hand“ geht der Regisseur Lars Kraume dem Tod der beiden NSU-Mitglieder nach – und schürt dabei Zweifel an der Selbstmordthese.

Stuttgart - In eine Zwangsjacke geschnürt, fiebernd und schweißgebadet, wälzt sich Georg Dengler im Bett. Durch seine Alpträume trudeln Bilder vom Kölner Nagelbombenattentat 2004, bei dem 22 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden. Auch der damalige Innenminister Otto Schily schiebt sich in die verwirbelten Erinnerungen und erklärt, dass ein rechtsradikaler Hintergrund ausgeschlossen sei: Szenen, die sich beim Stuttgarter Privatdetektiv zu einem Trauma ausgewachsen haben und den Prolog zu jedem Dengler-Thriller des ZDF bilden. Aber erst jetzt, im dritten und wieder von Lars Kraume kongenial verfilmten Fall, rühren Denglers Ermittlungen an die noch immer offene Wunde: In der „Schützenden Hand“ untersucht der Ex-Bulle den Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die zusammen mit Beate Zschäpe als NSU-Trio mordend durchs Land gezogen sind und auch fürs Nagelbombenattentat verantwortlich waren. Dengler, damals noch beim BKA, wurde von seiner Behörde an der Aufklärung des Verbrechens gehindert – sein Trauma.

„Die Schützende Hand“beruht auf dem gleichnamigen Roman des Stuttgarter Autors Wolfgang Schorlau, der in seinen Dengler-Krimis mit gut recherchierten Fällen aus der Wirklichkeit spielt. Seinen Ermittler hetzte er beispielsweise schon der Pharma-Industrie, der Fleisch-Industrie und der Wasser-Industrie auf den Hals, aber so brisant wie in seinem jüngsten Politthriller, dem letzten der bisher achtteiligen Buchreihe, war noch keiner der Fälle zuvor. Denn auch in der Realität erregen die Todesumstände von Böhnhardt und Mundlos noch immer die Gemüter: Was geschah wirklich am 4. November 2011 in Eisenach-Stregda, bevor man dort die Leichen der beiden Uwes in einem Wohnmobil fand?

Black Box Wohnmobil

Die Version von Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft: gemeinsamer Selbstmord. Doch Dengler wäre nicht Dengler, wenn er diese Darstellung – mit einem anonymen Auftraggeber im Hintergrund – nicht hinterfragen würde. „Ich will wissen, ob die offizielle Geschichte stimmt“, sagt der von Ronald Zehrfeld gespielte Ermittler im neuen Dengler-Film.

Zweifel an der „offiziellen Geschichte“ sind tatsächlich angebracht – und die Ungereimtheiten, auf die Schorlau bei seinen NSU-Recherchen gestoßen ist, bringt der vielfach preisgekrönte Regisseur nun als ZDF-Montagskrimi um 20.15 Uhr einem Millionenpublikum nahe. Um die Akten zum Tod von Böhnhardt und Mundlos zum Sprechen zu bringen, lässt Kraume die darin geschilderten Vorgänge nachstellen: in einem baugleichen Camper, den Dengler in einer Fabrikhalle unterbringt, wo er zusammen mit der von Birgit Minichmayr verkörperten Olga das Geschehen im engen Wohnmobilraum nachspielt. Schritt für Schritt, entlang den in offiziellen Schriftstücken festgehaltenen Abläufen, eine Art theatralisches Re-Enactment – und heraus kommt ein die Widersprüche der offiziellen Geschichte herausarbeitendes Kammerspiel, das den Glauben an die Selbstmordthese aufs Heftigste erschüttert.

Aus dem Weg geräumt, um Schlimmeres zu vertuschen?

In einem anderen Fall hat jüngst ein Fernsehkrimi ebenfalls Zweifel an einem offiziell als Dreifach-Selbstmord geltenden Ereignis gesät. Im letzten Stuttgarter „Tatort“ schloss der Regisseur Dominik Graf nicht aus, dass die in Stammheim inhaftierten RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe 1977 vom Staat ermordet wurden. Was folgte, war eine Debatte, in der sich Graf dem Vorwurf ausgesetzt sah, leichtfertig mit Fakten zu spielen. Diese Kritik könnte nun auch Kraume um die Ohren fliegen. Auch sein Thriller legt nahe, dass Böhnhardt und Mundlos von höherer Stelle – BKA? Verfassungsschutz? – aus dem Weg geräumt worden seien, um Schlimmeres zu vertuschen. Und er weiß, dass er sich mit dieser Spekulation auf einem schmalen Grat bewegt. „Politthriller laufen immer Gefahr, Verschwörungstheorien zu formulieren. Das ist dem Genre immanent“, sagt Kraume, der sich mit dem Hinweis auf Genre-Gesetze aber keineswegs aus der Verantwortung stehlen will. Er habe sich schon gefragt, ob er eine fiktive Figur in einem Fall ermitteln lasse, der uns noch immer bewege: „Um die Frage ins Weltkino-Format zu übertragen: Darf Jason Bourne, wie er es getan hat, die Snowden-Affäre untersuchen?“

Er darf, sagt Lars Kraume, sofern die zugrunde liegenden Fakten wasserdicht recherchiert seien. Bei Schorlau sei das der Fall – und trotzdem appelliert der Regisseur auch an den mündigen Zuschauer, dem klar sein müsse, dass die „Schützende Hand“ keine Dokumentation sei, sondern ein die Konflikte zuspitzender Spielfilm. Wobei Kraume, bei aller dramatischen Zuspitzung, in seinem Thriller nicht taub ist für die Argumente, die für einen Selbstmord von Böhnhardt und Mundlos sprechen. Bei ihren Nachforschungen werden Dengler und Olga vom Thüringer Kommissar Marius Brauer unterstützt. Er formuliert alle Einwände, die man gegen die Verschwörungstheorie des Stuttgarter Ermittlers vorbringen kann.