Schweigt auch am 331. Verhandlungstag: Hauptangeklagte Beate Zschäpe Foto: dpa

Psychiater Saß hält Sicherungsverwahrung für die Hauptangeklagte Beate Zschäpe im NSU-Prozess für notwendig.

München - Für Beate Zschäpe war das ein gewaltiger Tiefschlag: Die Hauptangeklagte im Münchner NSU-Prozess zeige deutlich „antisoziale Tendenzen“, und mit einer Änderung ihres Verhaltens sei auch nach einer möglichen Haft nicht zu rechnen. Das ist ein Fazit des Gerichtspsychiaters Henning Saß, das vorläufige Gutachten haben die Verfahrensbeteiligten seit Ende Oktober in ihren Akten. Am Dienstag sollte der renommierte Psychiater seine Ergebnisse öffentlich darlegen und erklären, warum er nach einer möglichen Haftstrafe auch noch Sicherungsverwahrung für notwendig hält. Die Verteidigung von Beate Zschäpe hat daran naturgemäß kein Interesse. Und sie kämpft.

Es ist das Verteidigertrio der ersten Tage, das gegen den Gutachter vorgeht, dagegen, dass seine 176 Seiten langen Ausführungen in den Prozess eingeführt werden. Am 331. Verhandlungstag ist den Anwälten, die schon lange nicht mehr das Vertrauen ihrer Mandantin genießen, zumindest eine Verzögerung gelungen. Um eine Vorfrage zu klären beantragte das Team um Wolfgang Heer den Ausschluss der Öffentlichkeit, auch während den Beratungen darüber, ob die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden müsse, sei sie des Saales zu verweisen. Das hat erst einmal Folgen.

Strengste Eingangskontrollen

Der NSU-Prozess ist eine Hochsicherheitsveranstaltung. Die Einlasskontrollen sind um einiges schärfer als an Flughäfen. Wer auf die Zuschauertribüne möchte, der muss sich erst elektronisch durchleuchten lassen und sämtliche technischen Geräte abgeben. Akkreditierte Pressevertreter dürfen zwar das technische Equipment mitnehmen, doch das wird penibel gefilzt. Selbst der Blick in den Geldbeutel bleibt nicht aus. Die an diesem Tage mit rund 70 Menschen sehr gut gefüllte Besucherbank einmal hinaus in die Kälte zu schicken um dann den gesamten Kontrollaufwand zu wiederholen dauert somit seine Zeit. Mehr als zwei Stunden waren es am Dienstag.

Auf der für Sachverständige reservierten Bank hat Henning Saß seinen Computer aufgeklappt, das mit vielen kleinen Markierungszetteln gespickte Gutachten vorbereitet – und musste auch nach dem Wiedereintritt in das Verfahren zunächst weiter untätig bleiben. Wolfgang Heer erklärt, warum er den Antrag stellt, den Gutachter von seiner Aufgabe zu entbinden.

Saß, 72, sei zwar ein wissenschaftlicher Fachmann, so der Anwalt – das Gutachten weise jedoch erhebliche Mängel auf. Kern der Kritik: weil Beate Zschäpe es ablehnte, mit dem Fachmann zu sprechen, hatte Saß sie an vielen Verhandlungstagen beobachtet. Daher genüge das Gutachten nicht dem Stand der Wissenschaft. Das möge ein anderer klären. Heer bringt den Namen Pedro Faustmann ins Spiel, ein Kollege von Saß von der Ruhr-Uni in Bochum.

Gutachter kommt nicht zu Wort

Die Verlesung der 33-seitigen Stellungnahme Heers dauert mehr als eine Stunde. Das Gutachten sei kein psychiatrischer Befund, sondern ein Gemenge aus psychiatrischen Empfindlichkeiten, erklärt er und zitiert medizinische Literatur und Gerichtsentscheide. Es ist ein umfangreicher Ausflug in die Geschichte der forensischen Psychologie. Und Heer zitiert immer wieder aus dem Vorgutachten selbst.

Da werde aus Haaren, die ins Gesicht der Hauptangeklagten fallen, auf eine „abschirmende Wirkung“ geschlossen, obgleich auch ein fehlender Haargummi in Betracht käme. Da werde das Schmunzeln Zschäpes bei einer Zeugenvernehmung als „angenehme Erinnerung“ gewertet, ein anderes Mal ein ablehnender Zug um den Mundwinkel kommentiert: „Nichts als subjektive Wertungen“, sagt der Anwalt, wissenschaftlich verwertbar sei das nicht.

Die Ansicht des Gericht blieb gestern offen. Sechs Stunden nach dem Beginn des 331. Verhandlungstages musste Henning Saß seine Unterlagen wieder zusammen packen. Das ist zumindest ein Teilerfolg für das Verteidigerteam. Morgen wird der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts erklären, ob und wann Saß zu Worte kommt.